Express Online: Thema der Woche | 25. Juni 2009

Saufen auf dem "Chillerplatz"

Jugendforscher Hafeneger legt Milieustudie zu Marburgs Partymeile vor

Geduld und Gelassenheit angesichts der saufenden Jugendlichen in Marburgs neuer Mitte empfiehlt Jugendforscher Benno Hafeneger. Keinesfalls solle man sie von ihrem Treffpunkt rund um den Elisabeth-Blochmann-Platz vertreiben: "Die Stadt kann froh sein, dass sie so einen attraktiven Ort hat", sagt Hafeneger. Auch von Alkoholverboten rät er ab. Dann werde nur andernorts getrunken: "Die Jugendlichen müssen ja lernen, mit Alkohol umzugehen", meint der Erziehungswissenschaftler.

Hafeneger hat die Milieustudie über die jungen Leute erarbeitet, deren Saufgelage seit zwei Jahren zum politischen Zankapfel in der Universitätsstadt geworden sind. Dabei handele es sich um die bundesweit erste Studie dieser Art, berichtet der Forscher. Überraschend: Die meisten Befragten sind Gymnasiasten – zwischen 15 und 19 Jahren, mehr als zwei Drittel männlich. Sobald es wärmer wird, bevölkern sie den Platz in kleinen und großen Gruppen. Aber nur etwa ein Drittel verbringt den ganzen Abend auf dem "Chillerplatz" zwischen Kino, Kneipen und Supermärkten. Die meisten nutzen den Ort nur als Treffpunkt zum "Vorglühen".

Dass die Jugendlichen insgesamt viel mehr trinken als frühere Generationen, bestreitet Hafeneger. Es gebe nur eine kleine Gruppe von Komasäufern. Dass die Erwachsenen dies anders erleben, liege vor allem an einem neuen Phänomen der Jugendkultur: "Früher haben nur die Penner in der Öffentlichkeit getrunken. Heute trauen sich immer mehr Jugendliche, sich mit der Bierflasche in der Hand zu zeigen." Sich während der Kirmes zu besaufen und zu raufen, sei aber immer schon üblich gewesen.

Hafeneger rät der Stadt Marburg, nicht hektisch neue Projekte anzustoßen. Er empfiehlt lediglich, Streetworker häufiger in die Szene zu schicken. Allerdings hat die rot-grün regierte Kommune auch schon vieles ausprobiert. Marburg war die erste hessische Stadt, die ein Alkoholverbot verhängte. Von Dezember 2007 bis Mai 2008 durfte auf den Straßen rund um den Elisabeth-Blochmann-Platz nach 18 Uhr niemand mehr eine Bierflasche an den Hals setzen. Das war zwar erfolgreich. Trotzdem wollte Oberbürgermeister Egon Vaupel das Alkoholverbot nicht fortsetzen: "Das ist immer nur das letzte Mittel", sagt er.

Seitdem sucht die Stadt nach anderen Wegen, an die Jugendlichen heranzukommen. Unter dem Motto "Ohne Alkohol geht’s auch" gibt es Fußball, Badminton und Hip-Hop zu nächtlicher Stunde. Mit den Marktleitern der nahegelegenen Supermärkte vereinbarte die Stadt, dass nach 20 Uhr kein Schnaps mehr verkauft wird. In einem Markt wird auch sonst weder Bier noch Wein an 16- bis 18-Jährige abgegeben. Suchtberater gehen noch am Krankenbett zu den Jugendlichen, die mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Jugendkonflikthilfe stattet den Familien einen Besuch ab, wenn ihre Kinder durch Pöbeleien, Randale oder Schlägereien auffallen. Zudem patrouilliert die Polizei deutlich häufiger.

Mit diesem Mix liegt die Stadt richtig, meint Hafeneger. Insgesamt ist die Situation seitdem auch nach Einschätzung der Jugendlichen ruhiger geworden. Die Polizei registriert weniger Straftaten. Schlägereien, umgeworfene Müllcontainer, zerdepperte Bierflaschen und krakeelende Teenies sind zumindest seltener geworden.

Indes werde es immer einen Teil der Jugendlichen geben, die auch mit Angeboten der offenen Jugendhilfe nicht zu erreichen seien, sagt Hafeneger: "Die wollen in Ruhe gelassen werden."

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 25. Juni 2009

Wissensdurst

Stadt der jungen Forscher
Diese Auszeichnung wird gemeinsam von der Körber-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Deutsche Telekom Stiftung an Städte verliehen, die Kooperationen von Schule und Wissenschaft fördern und dieses Engagement intensivieren möchten. Der Preis ist mit 50.000 Euro dotiert. Um die Auszeichnung als "Stadt der jungen Forscher 2010" hatten sich bundesweit 13 Städte beworben. Drei von ihnen – Gießen, Kiel und Stuttgart – waren für die Endrunde qualifiziert. Die Entscheidung fiel, nachdem die drei nominierten Städte einem Auswahlgremium ihre Konzepte präsentiert hatten. "Alle Finalisten haben tolle Bewerbungen eingereicht, daher fiel uns die Wahl schwer", erklärt Matthias Mayer, Leiter des Bereichs Wissenschaft der Körber-Stiftung und Mitglied in der Auswahljury. "In allen drei Städten wird viel dafür getan, schulisches und außerschulisches Lernen sinnvoll miteinander zu verbinden und Kinder und Jugendliche dauerhaft für die Wissenschaft zu interessieren und zu begeistern."
kro
Gießen wird die "Stadt der jungen Forscher 2010" und will die ganze Region einbinden / Wissenschaftsfestival im Mai 2010

Ein erfolgreiches Wissenschaftsfestival im Liebig-Jahr 2003, zahllose Aktionen im Uni-Jubiläumsjahr 2007 und die alljährliche "Straße der Experimente" vor dem Mathematikum, die regelmäßig mehr als 10.000 Besucher anlockt: Seit Jahren versucht sich Gießen als innovativer Wissenschaftsstandort zu positionieren.

Mit zunehmenden Erfolg: Die Lahnstadt mit dem weltweit einmaligen Mathematikum als Touristenmagnet, zwei Hochschulen und der laut einer Studie höchsten Studentendichte in ganz Deutschland wird die "Stadt der jungen Forscher 2010". Bei dem Wettbewerb der Körber-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Deutsche Telekom Stiftung hat sich die 74.000-Einwohnerstadt gegen mächtige Konkurrenz durchgesetzt – und nicht weniger als Stuttgart und Kiel in der Endrunde auf die Plätze verwiesen. Der Grund: Gießen habe "vor allem durch die sehr gute Vernetzung von Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur sowie langjährige Erfahrung in der Durchführung von Wissenschaftsfestivals" überzeugt, erläutert Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung, die Jury-Entscheidung.

In Gießen stehen Wissenschaft und Forschung sehr hoch im Kurs, so dass wir eine sehr gute Ausgangsposition haben. Mit dem Preisgeld werden wir das Bestehende konsequent mit Blick auf die Schnittstelle Schule/Wissenschaft weiterentwickeln und ausbauen", sagt Sadullah Gülec, Projektkoordinator und Geschäftsführer der Gießen Marketing GmbH.

Konkret heißt das, dass Gießen die regionale Vernetzung von Schulen mit Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen weiter vorantreiben und neue Projekte anstoßen will, bei denen Schüler in Begleitung von Lehrern und Wissenschaftlern Forschungsfragen nachgehen. "Die Zielgruppen sind Schüler der 8. bis 12. Klasse", berichtet Mathematikum-Leiter Albrecht Beutelspacher. Nicht nur Schulen aus Gießen können teilnehmen, sondern aus der gesamten Region Mittelhessen – von Marburg bis Wetzlar. "Dass wir gesagt haben, ‚wir wollen eine Vernetzung in der ganzen Region‘ war einer der Punkte, mit denen wir gewonnen haben", sagt Beutelspacher.

Die Hälfte des Preisgeldes – 25.000 Euro – steht für die Umsetzung dieser Schul-Wissenschaftsprojekte zur Verfügung.

Mit der anderen Hälfte kann Gießen im kommenden Jahr ein neues Wissenschaftsfestival ausrichten: Die Auszeichnung "Stadt der jungen Forscher" prämiert neben Kooperationsprojekten auch ein gelungenes Konzept für ein solches Festival, bei dem Schulen und Einrichtungen ihre Vorhaben öffentlichkeitswirksam präsentieren können. Beim "Festival der jungen Forscher", das vom 28. bis 30. Mai rund um Kirchenplatz, Marktlauben, Brandplatz und Botanischer Garten geplant ist, sollen sich freilich nicht nur junge Naturwissenschaftler sondern auch junge Geisteswissenschaftler präsentieren können, unterstreicht Beutelspacher: "Ich glaube, dass wir die Geisteswissenschaften einbezogen haben, war ein weiterer Punkt in unserem Konzept, mit dem wir die Jury überzeugen konnten." Wenn es Gießen gelingt, für das geplante Festival im Mai 2010 zusätzliche Sponsorengelder einzuwerben, erhöhen die Stiftungen die Fördersumme um weitere 15.000 Euro.

Parallel zum Festival werden die Stiftungen im nächsten Jahr in Gießen eine bundesweite Fachtagung für Lehrer und Wissenschaftler organisieren. "Mit dieser Tagung schaffen wir ein Forum für alle, die sich für die Zusammenarbeit von Schulen und Forschungseinrichtungen einsetzen, Erfahrungen austauschen und Netzwerke knüpfen möchten", erläutert Atje Drexler, stellvertretende Leiterin des Bereichs Wissenschaft und Forschung in der Robert Bosch Stiftung.

Georg Kronenberg

Archiv 2009 >> 2008 >> 2007 >> 2006 >> 2005 >> 2004 >>


Copyright © 2009 by Marbuch Verlag GmbH