Express Online: Thema der Woche | 2. Juli 2009

Dr. House im Hörsaal

Marburger Medizinprofessor demonstriert seltene Krankheiten anhand der Fernsehserie

Dr. House wäre in jeder Klinik schon zehnmal rausgeschmissen worden, betont der Marburger Medizinprofessor Jürgen Schäfer. Deswegen warnt er die Studierenden jeden Dienstag: "Die durchgeknallte Persönlichkeit von Dr. House entspricht in keinster Weise dem Arztbild der Philipps-Universität." Trotzdem nimmt Schäfer die beliebte Fernsehserie mit Hugh Laurie zum Anlass, um seltene Erkrankungen zu besprechen. "Dr. House revisited" oder "Hätten wir den Patienten in Marburg auch geheilt?", heißt der Titel des Seminars, mit dem der Kardiologe bundesweit Neuland betritt.

Obwohl es keinen Schein für das Lernen nach Dr. House gibt, kommen jeden Dienstagabend etwa 50 angehende Mediziner, wenn verzwickte Krankheiten anhand von Schlüsselszenen aus der Serie vorgestellt werden. Wird der Patient ohnmächtig oder spuckt er Blut, drückt Schäfer auf die Stopp-Taste. Dann überlegt er gemeinsam mit den Studierenden, was der Kranke haben könnte. Dabei lernen sie auch, ihre Diagnose immer wieder zu hinterfragen und neue Befunde zusammenzupuzzeln.

Für den Unterricht sei die Serie geradezu ideal: "Die Patienten von Dr. House haben alles, was im Medizinlehrbuch steht", weiß Schäfer. Nur, dass die dramatischen Szenen aus der TV-Klinik natürlich besser hängen bleiben als die Fußnote in der wissenschaftlichen Abhandlung. Aber der Hochschullehrer ist überzeugt: "Wenn man es ernsthaft betreibt, ist Medizin wie ein Krimi."

Da ist die Kindergärtnerin, die mit einem schweren epileptischen Anfall in die Klinik von Dr. House eingeliefert wird. Das Team rätselt, was die Ursache der Krankheit sein mag: Ein Hirntumor, eine Hirnverletzung, die Wernicke-Enzephalopathie, die Creutzfeld-Jakob-Krankheit oder eine Vaskulitis? Natürlich alles falsch. Die Patientin entgeht nur knapp dem Tod, bis Dr. House schließlich die richtige Diagnose stellt: Ein Schweinebandwurm im Gehirn hat die Epilepsie ausgelöst, die nun mit einem Entwurmungsmittel behandelt werden kann.

Den Fall, da ist sich Schäfer ziemlich sicher, hätte die Marburger Universitätsklinik schneller als Dr. House gelöst. Bei anderen Krankheiten kann er nicht garantieren, dass sie auf die richtige Diagnose gekommen wären.

Der ungewöhnliche Unterricht kommt an. "Ich habe mich immer gefragt, ob die Fälle realistisch sind", erklärt Medizinstudentin Andrea Förster die Faszination. In Marburg beteiligen sich inzwischen drei weitere Mediziner an dem Seminar, das auch in Zukunft auf dem Lehrplan bleiben soll. Schließlich haben die Professoren sonst durchaus Mühe, die Studierenden in den Hörsaal zu locken. In Berlin, Bonn und Jena soll das Projekt nachgeahmt werden.

Medizinisch ist die Serie nämlich sehr gut recherchiert, erzählt Schäfer. Die Krankheitssymptome, Dosierung und Auswahl der Medikamente stimmten meist bis ins Detail. Trotzdem schildert er in jedem Fall, was die Ärzte in Marburg anders gemacht hätten: Natürlich sollen die Studierenden nicht in die Wohnungen ihrer Patienten einbrechen, um nach Hinweisen auf rätselhafte Krankheiten zu suchen. Eine ordentliche Anamnese würde auch reichen. Meist ist der Fernseharzt auch viel zu schnell mit seinen Behandlungen dabei. Und, so Schäfer: "Wir wären wesentlich freundlicher, weniger zynisch und weniger aggressiv."

Menschlich findet Dr. Schäfer seinen amerikanischen Fernsehkollegen nämlich ziemlich fies. Auf der anderen Seite machten nette Ärzte allein nicht gesund. Am besten wäre der Charakter von Dr. Brinkmann mit den diagnostischen Fähigkeiten von Dr. House, sinniert der Fachmann für präventive Kardiologie.

Trotzdem stört sich er nicht daran, wenn ihn verzweifelte Patienten mit nicht diagnostizierten Krankheiten aus dem ganzen Bundesgebiet als den "deutschen Dr. House" ansprechen. "Fachlich wäre ich gern so gut", sagt Schäfer: "Menschlich möchte ich nicht so verkümmern."

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 2. Juli 2009

Richtungsentscheidung

Justus-Liebig-Universität
Die 1607 gegründete Gießener Uni hat heute rund 23.000 Studierende und knapp 3.200 Beschäftigte, davon gut 300 Professorinnen und Professoren. Das breite Studienangebot der Hochschule umfasst die klassischen Naturwissenschaften, die Psychologie, die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Mit der Medizin und Veterinärmedizin, den Agrarwissenschaften sowie den Haushalts- und Ernährungswissenschaften und der Biologie verfügt die Universität über eine einzigartige Fächerkonstellation im Themenbereich "Mensch – Ernährung – Umwelt". Die Lehramtsstudiengänge ergänzen das Angebot.
Prof. Dr. Dorothea Hegele
Prof. Hegele, Jahrgang 1959, ist Juristin und seit 2000 selbstständige Rechtsanwäl­tin in Leipzig und freiberufliche Dozentin. Zuvor hatte sie von 1995 bis 1999 eine befristete Professur am Fachbereich Allgemeine Verwaltung der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Meißen. Der Schwerpunkt ihrer dortigen Lehrtätigkeit lag im Kommunal-, Umwelt- und Baurecht.
Prof. Dr. Joybrato Mukherjee
Prof. Mukherjee, 35, hat seit 2004 eine C4/W3-Professur für Englische Sprachwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er ist Mitglied in zahlreichen universitären Gremien und seit April 2008 1. Vizepräsident und Stellvertreter des Präsidenten.
Prof. Dr. Harald Schmidt
Prof. Schmidt, 50, ist Pharmakologe. Er ist seit 2005 Professor und Leiter des Departements of Pharmacology an der Monash University in Australien. Seit 2007 ist er dort auch Direktor des Centre for Vascular Health. Vorher war er von 2000 bis 2005 Professor und Leiter des Rudolf-Buchheim-Instituts für Pharmakologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
red
Wer führt die Justus-Liebig-Universität in die nächste Dekade? Drei Kandidaten treten bei der Unipräsidentenwahl am 8. Juli an

Da waren es nur noch drei: Nachdem der Pädagogikprofessor Hermann J. Forneck vergangene Woche überraschend seine Kandidatur zurückgezogen hat, hat der erweiterte Senat der Uni am 8. Juli die Wahl zwischen dem aktuellen Uni-Vizepräsidenten, Anglistikprofessor Joybrato Mukherjee, dem Pharmakologen Prof. Harald Schmidt, der fünf Jahre das Rudolf-Buchheim-Instituts für Pharmakologie der Gießener Uni geleitet hat, bevor er 2005 nach Australien wechselte sowie der Leipziger Juristin Prof. Dorothea Hegele, die als Rechtsanwältin und freie Dozentin arbeitet.

Hegele, die als einzige Gießens Uni nur von außen kennt, hat bei der Anhörung der Präsidentschaftskandidaten besonders die Bedeutung der Frauenförderung hervorgehoben: "Der höchste Frauenanteil in Deutschland von 2/3 Studentinnen verpflichten aus meiner Sicht die Universität und die Präsidentin, besonders auf gute Lebens-, Bildungs und Berufsperspektiven für Studenten und Studentinnen gleichermaßen zu achten – tut sich doch in ihren drei wichtigen Säulen Lehre, Forschung und Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft statistisch dargestellt eine gewaltige Schere auf", so Hegele in ihrem Statement. Die Frauenanteile fielen bei den Master- und Diplomabschlüssen, Promotionen und Habilitationen, den Professuren ( 15 % ) in Lehre und Forschung immer weiter zurück.

Als Unipräsidentin will sie "zuvorderst" an der Entwicklung "exzellenter Personalentwicklungs- und Finanzsteuerungskonzepte", der Weiterentwicklung der Qualitätssicherung in Lehre, Forschung und Wissenstransfer, an der Zusammenarbeit mit der Stadt Gießen, bei der Baukoordination und bei der Umsetzung des Gleichstellungskonzeptes arbeiten. Auch eine "nachhaltige Kooperation" mit den über 250 Wirtschaftsunternehmen in der Region sei für den Erfolg bei der Profilbildung und der Gleichstellung maßgeblich.

Gießens junger Uni-Vize Joybrato Mukherjee hat in seinem Statement ein Konzept für die Hochschulentwicklung bis 2020 vorgestellt – Titel: "Entwicklung und Erneuerung der Justus-Liebig-Universität in der kommenden Dekade". Dabei müsse sich die Uni neuen Herausforderungen stellen: dem härter werdenden Wettbewerb um Studierende bedingt durch den demographischen Wandel, der weiteren Ausdifferenzierung der Universitäten sowie dem härter werdenden Kampf um die knapper werdenden Ressourcen des Landes.

Um sich zu behaupten, müsse die JLU "Stärken stärken" und "Potentiale fördern". So gebe es etwa ein großes Profilierungspotential in der Graduiertenausbildung. Mukherjee regt an, ein drittes "Staatswissenschaftliches Graduiertenzentrum" einzurichten.

Mit "höchster Priorität" müsse das Präsidium die Ansiedlung eines Fraunhofer-Teilinstituts für Bioressourcen in Gießen verfolgen. Zudem unterstreicht der Uni-Vize die Bedeutung der Medizinerausbildung in Gießen – spricht sich aber gegen "eine wie auch immer geartete Zwangsfusion der beiden Medizin-Fachbereiche in Gießen und Marburg" aus.

Die Bildungsforschung und Lehrerbildung sieht er als ein weiteres wichtiges profilbildendes Element der JLU. Nicht zuletzt gilt es aus Sicht von Mukherjee, eine "Marke JLU" – auch durch ein Marketingkonzept – zu entwickeln: "Wir müssen uns hierfür gemeinsam mit der Stadt als eine echte "Universitätsstadt" präsentieren."

Gießen hat echte Stärken, ja Superlative", ist der dritte Prasidentschaftsbewerber, Pharmakologe Harald Schmidt, überzeugt: Gießen habe eine Forschungsbreite wie nur wenige andere Universitäten, "diese wollen wir uns voll erhalten – ja eher noch ausbauen". Gegenwärtige Stärken müssten durch neue Zukunftsfelder, "insbesondere in den aufregenden Grenzbereichen zwischen Fächern" entdeckt und gefördert werden.

Der approbierte Arzt und Apotheker will sich für die Anwerbung und Ansiedelung außer-universitärer Forschungseinrichtungen in der Region einsetzen, um die Attraktivität Gießens für Studenten und Nachwuchswissenschaftler zu erhöhen.

Um die Außendarstellung der Uni zu verbessern, plant er mit Partnern des öffentlichen Lebens, Stiftungen, Privatpersonen, Firmen, "Allianzen zum beiderseitigen Nutzen".

Eine Spitzenuniversität brauche Spitzenmitarbeiter: Jedem Mitarbeiter sollten passende Weiterbildungsangebote gemacht werden, z.B. in verantwortungsvoller Personalentwicklung, Projektmanagement, Drittmitteleinwerbung, Rhetorik und Didaktik. Schmidt: "Auch von Professoren und Präsidenten wird erwartet, ihre Führungsqualitäten evaluieren und verbessern zu lassen. Wir sind ein Team!"

Die Amtszeit des amtierenden Unipräsidenten Stefan Hormuth endet am 15. Dezember 2009.

red

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