Express Online: Thema der Woche | 20. August 2009

"Klare Kante"

SPD-Familien-Sommerfest am 29.8.
Beim Neuaufbau der hessischen SPD soll es zu einem Ort der "sozialdemokratischen Identität" werden: das landesweite Familien-Sommerfest mit großem Musik- und Unterhaltungsprogramm, dass die Sozialdemokraten dieses Jahr erstmalig auf dem Gießener Schiffenberg feiern wollen. Dabei will die in Bund und Land durch miese Umfragewerte zurzeit so gebeutelte Partei sich in ihrer ganzen Vielfalt vorstellen und in die heiße Phase der Bundestagswahl starten.
Gäste sind u.a. Ex-SPD-Chef Kurt Beck, Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und Justizministerin Brigitte Zypries. Das Hessenfest auf dem Gelände des Klosters Schiffenberg beginnt am Samstag, 29. August um 11 Uhr und endet gegen 18 Uhr.
kro
Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel über die Chancen der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl und den Neuaufbau seiner Partei in Hessen

Express: Die SPD steckt in einer tiefen Krise. Wo steht ihre Partei nach der Bundestagswahl? Ist sie dann noch eine Volkspartei – mit vielleicht gerade mal 20 Prozent Wählerstimmen.
Schäfer-Gümbel: Erstens: Das Ergebnis der Bundestagswahl ist überhaupt noch nicht absehbar. Dafür werden wir im Endspurt noch vieles tun. Sie werden erleben, dass wir einen außerordentlich engagierten Wahlkampf machen – auch und gerade hier in Hessen, wo wir ja eigentlich seit zweieinhalb Jahren im Dauer-Wahlkampf sind.
Und selbstverständlich bleibt die SPD eine Volkspartei – auch falls wir schlechte Ergebnisse einfahren.

Express: Auch wenn die SPD ein Wahlergebnis einfährt, das nur 5-6 Prozent über dem der FDP liegt?
Schäfer-Gümbel: Die SPD ist in ihrem Gesamtcharakter eine Volkspartei. Während das für die FDP sicherlich nicht gilt, die sich ja selbst einmal als Partei der Besserverdienenden charakterisiert hat.

Express: Das Vertrauen der Wähler, dass die SPD die wichtigen gesellschaftlichen und ökologischen Probleme lösen kann, scheint weg. Wie kann die SPD das zurückgewinnen?
Schäfer-Gümbel: Wir müssen selbstbewusster und klarer unsere Themen formulieren. Wir müssen auch klar Fehler eingestehen – wie ich das hier in Hessen auch gemacht habe. Weil das Eingeständnis, dass man auch Fehler macht, eine Grundvoraussetzung dafür ist, ernst genommen zu werden – und einem ein Neuanfang wie hier in Hessen auch abgenommen wird.

Express: Reicht das aus? Merkel hat mit der CDU die Mitte geschickt besetzt – soziale Härten von Schröders Agenda 2010 wurden unter ihrer Regierung zurückgedreht ...
Schäfer-Gümbel: Angela Merkel hat keine soziale Härten zurückgedreht. Sie ist die Kanzlerin der Leipziger Beschlüsse der CDU, sie steht für das marktradikale Programm der Union. Es ist mitnichten so, dass sie für den sozialen Ausgleich steht. Etwa beim Konjunkturpaket II hat sie lange Zeit intensiv gemauert. Merkel agiert heute schon so, wie Helmut Kohl am Ende seiner Amtszeit: sie sitzt viele Probleme einfach aus. Aber ich muss in der Tat anerkennen: sie schafft es leider, sich ganz anders – und viel sozialer als ihre Politik in Wirklichkeit ist – zu verkaufen. Aber es kommt nicht aufs Verkaufen an, sondern auf die Substanz und die ist weiter unsozial.

Express: Da bleibt für Steinmeier nicht viel zu gewinnen, der mit seiner ruhigen, braven Art auf der Politiker-Beliebtheitsliste inzwischen längst hinter CSU-Star Guttenberg zurückgefallen ist – trotz Steinmeiers Deutschland-Plan.
Schäfer-Gümbel: Wir sind überzeugt, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier gewinnen können – und der Deutschland-Plan die richtigen Antworten auf wesentliche Fragen unserer Gesellschaft gibt. Wir spüren auch, dass das permanente Runterschreiben der SPD langsam ins Gegenteil umschlägt.

Express: Tatsächlich? Die SPD schafft keine Aufreger mehr. Ihr gelingt es nicht, Themen zu setzten, wie das noch unter Schröder im Wahlkampf funktioniert hat. Etwa die kurze Debatte über die Sicherheit von Atomkraftwerken ist kaum bemerkt worden.
Schäfer-Gümbel: Wir müssen den Mut haben, eine klare politische Kante zu ziehen. Ich glaube, dass man da auch einiges von der Arbeit der hessischen SPD in den vergangenen Monaten lernen kann: und zwar, wie man sehr klar, sehr akzentuiert Positionen vertritt, ohne populistisch zu sein.

Express: Wie weit ist der Neuaufbau der hessischen SPD?
Schäfer-Gümbel: Wir haben uns viel Zeit genommen, für eine genaue Fehleranalyse, die natürlich viel mit der Frage vom "Wortbruch" zu tun hat, und dem verloren gegangenen Vertrauen der Bürger. Wir sind bei der parteiinternen Aufarbeitung aber auch zu dem Ergebnis gekommen, dass das nicht das einzige Thema ist, was wir bearbeiten müssen. Manche fragen etwa, ob sich die SPD sich nach wie vor als Partei der kleinen Leute versteht – was für mich eine Selbstverständlichkeit ist. Das müssen wir stärker herausstellen. Und wir wollen in Hessen mit einer Strategie der "neuen Sachlichkeit" in die politische Auseinandersetzung gehen. Das heißt, wir wollen nicht skandalisieren, sondern uns intensiv inhaltlich mit den politischen Positionen beschäftigen, weil wir glauben, dass eine sachliche Debatte über unterschiedliche politische Ansichten Vertrauen aufbaut.

Interview: Georg Kronenberg

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