Express Online: Thema der Woche | 5. November 2009

"Dein Job ist Soldat, Mama"

Ob der Kriegseinsatz deutscher Truppen in Afghanistan sinnvoll ist oder nicht – darüber gehen die Meinungen auseinander. Eines ist jedoch sinnvoll: Humanitäre Hilfe. Besonders die medizinische Versorgung muss gewährleistet sein. Dabei begeben sich die Mediziner oft in Lebensgefahr. Eine von ihnen ist Heike Groos, Bundeswehrärztin in Afghanistan. Über ihre Erlebnisse dort hat sie ein Buch geschrieben. Im Interview mit dem Express spach sie offen darüber wie es ist, als Ärztin im Krieg zu sein.

Express: Wann haben Sie sich als Bundeswehrärztin verpflichtet? War ein Kriegseinsatz damals für Sie vorstellbar?
Heike Groos: Ich war von 1987 bis 1991 Zeitsoldat in Giessen, Bundeswehrkrankenhaus und Steubenkaserne. 2001 erhielt ich eine Anfrage von der Bundeswehr, ob ich mir eine Wiedereinstellung vorstellen könnte. Von Afghanistan war auch die Rede, einer friedensbewahrenden und humanitären Mission. Von einem Kriegseinsatz war und ist ja bis heute keine Rede.

Express: Versorgen Sie in Afghanistan nur Bundeswehrsoldaten?
Heike Groos: Nein, wir leisten auch medizinische Versorgung für die einheimische Bevölkerung. Wir besuchen Krankenhäuser und Arztpraxen und behandeln und operieren einheimische Patienten in unseren Feldlazaretten.

Express: Als Frau beim Bund und noch dazu in einem islamischen Land – werden Sie akzeptiert?
Heike Groos: Manchmal mehr als in Deutschland als arbeitende Frau, so hatte ich oft den Eindruck. Vor allem die Frauen begrüßten mich begeistert, quasi als Symbol für die Gleichberechtigung und Unabhängigkeit der Frau, waren froh, dass sie nach dem Ende der Talibanherrschaft auch wieder arbeiten durften. Oft bekam ich gesagt, ich bräuchte kein Kopftuch und auch keine langen Ärmel, wir sollten doch gegenseitig unsere Kulturen akzeptieren, so hieß es.

Express: Gab es Situation, in denen Sie sich in unmittelbarer Lebensgefahr befanden?
Heike Groos: Schwer zu sagen – überall liegen Minen, es gab oft Raketenangriffe auf das Lager und auch auf der Straße, auf der der Bus am 07. Juni 2003 in die Luft gesprengt wurde, sind wir andauernd lang gefahren. Ich denke, jeder ist dort potentiell immer in Lebensgefahr, ich hatte Glück, nie im "falschen Moment am falschen Ort" gewesen zu sein.

Express: Der Blick auf die Arbeit der Ärztin Fr. Groos im Krieg ist sicherlich ein anderer als der der Ärztin Fr. Groos in Deutschland – kann man das sagen?
Heike Groos: Natürlich. Die eigenen Kameraden zu versorgen, nachdem sie Opfer von Minenunglücken oder Bombenanschlägen geworden sind ist noch einmal eine andere Kategorie als selbst der schrecklichste Verkehrsunfall in Deutschland.

Express: Wie reagiert Ihre Familie auf Ihre Bundeswehrarbeit?
Heike Groos: Meine Kinder haben in 2007, als mein Vertrag auslief, kategorisch verweigert, eine Verlängerung in Betracht zu ziehen – nach den Erfahrungen der Jahre davor. Mit meinem Wiedereinstieg in 2002 waren sie einverstanden, die Entsendung nach Afghanistan sahen sie anfangs pragmatisch. "Dein Job ist Soldat, Mama, also musst du auch nach Afghanistan gehen, wenn sie dich schicken."

Express: Haben/Hatten Sie Angst, dass Ihre Kinder vielleicht ohne Mutter weiter aufwachsen könnten?
Heike Groos: Zu keiner Zeit. Ich fühlte mich unverwundbar, als hätte ich wie Siegfried in Drachenblut gebadet. Ein Abwehrmechanismus, weil man mit so viel Angst nicht leben kann und den Gedanken, dass die Kinder Waisen werden, nicht einmal ansatzweise zulassen kann.

Express: Die Mutter als großes Vorbild: wie würden Sie reagieren, wenn eines Ihrer Kinder nach Afghanistan (oder wo sonst noch Kriegherrscht) wollte?
Heike Groos: Ich hätte Angst um sie, aber würde sie unterstützen, wenn sie es wollten.

Express: Warum haben Sie das Buch geschrieben? Diente es auch der psychischen Verarbeitung?
Heike Groos: Es war meine Art, die Geschehnisse zu verarbeiten – heilsam und hilfreich, es alles einmal von der Seele zu schreiben. Meine Zustimmung zur Veröffentlichung gab ich, als ich durch Reaktionen im Freundeskreis erkannte, dass ich nicht allein bin und auch andere darauf brennen, dass "wir" Veteranen endlich wahrgenommen werden und wir in Deutschland darüber ins Gespräch kommen müssen – als ich erkannte, dass es dazu beitragen kann, dass Frauen nun ihre Männer besser verstehen und umgekehrt und Soldaten anfangen zu reden. "Wenn es die Heike kann, kann ich es vielleicht auch." Zitat eines Kameraden. Die riesige Anzahl von mails und Briefen, die ich seit der Veröffentlichung erhalte, bestätigen die Richtigkeit dieser Entscheidung, auch wenn es ein sehr persönlicher Bericht ist und etwas Überwindung kostete, damit so öffentlich zu werden.

Express: Sehen Sie in der ständigen Militärpräsenz in Afghanistan inabsehbarer Zeit eine Perspektive für das Land?
Heike Groos: Auf jeden Fall. Man kann die Bevölkerung dort nun nicht einfach hängen lassen, allerdings sollte man versuchen, aus dieser Spirale der Gewalt wieder auszutreten und zurückzufinden zu mehr Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt. Der Schwerpunkt sollte auf der humanitären Arbeit liegen. Wenn die Bevölkerung sich stabilisiert durch Abschaffung von Hunger, Krankheit, Armut, sollte sie in der Lage sein, selbst ihre Probleme zu lösen.

Heike Groos wurde 1960 in Gießen geboren. Nach dem Humanmedizinstudium verpflichtete sie sich als Zeitsoldatin bei der Bundeswehr. 2001 wurde sie nach Afghanistan rekrutiert, wo sie zwei Jahre lang als Oberärztin im Einsatz war. Dazwischen arbeitete sie als Notärztin und Allgemeinmedizinerin und zog fünf Kinder groß. Ihr Buch heißt "Ein schöner Tag zum sterben" und ist im Krüger-Verlag erschienen. Am 6.11. liest sie aus ihrem Buch im Schloss Hungen.

Interview: Stefan Schweidler

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