Express Online: Thema der Woche | 12. November 2009

Soziale Verantwortung im Schnelldurchgang

Der Wehrdienst soll in Zukunft nur noch sechs Monate dauern. Gelassene Reaktion bei der Bundeswehr, lauter Aufschrei bei den Pflege- und Sozialeinrichtungen.

Der militärische Nutzen der Wehrpflicht wurde schon häufiger infrage gestellt. Sie sei zu teuer und könne ohnehin nicht mit den professionellen Berufsarmeen anderer EU-Länder mithalten. Abgeschafft werden soll die Wehrpflicht dennoch nicht, nur verkürzt. Damit einher geht allerdings auch die Verkürzung des Zivildienstes. Schon 2011 soll es soweit sein. Die kürzere Vakanz der Wehrpflichtigen wird anscheinend weniger als Verlust empfunden als die wegfallenden drei Monate der (derzeit 77.511) Zivildienstleistenden.

Heute rücken mehr als doppelt so viele Zivis in Krankenhäuser etc. ein, als Wehrpflichtige in die Kaserne. Somit ist der Zivildienst ein nicht wegzudenkender Pfeiler des sozialen Netzes. Seine Unabdingbarkeit im Sozialen Bereich wird nicht zuletzt bei den Kosten deutlich. "Viele soziale Vereine stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand", berichtet Gabriele Mangold vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Gießen. Schon bei der Verkürzung auf neun Monate hätten viele soziale Einrichtungen Alarm geschlagen; bei einer weiteren sind sich viele nicht sicher, ob sie überhaupt noch Zivildienstleistende beschäftigen werden. "Es ist für die Einrichtungen schlecht, aber auch für die zu betreuenden Personen (...) Die sozialen Vereine profitieren vom dem Einsatz junger Menschen".

Nicht nur Betreuungseinrichtungen, sondern auch Krankenhäuser befürchten durch die Verkürzung Schwierigkeiten. So auch die Universitätskliniken Gießen und Marburg (UKGM): "Im UKGM beschäftigen wir an den beiden Standorten (...) rund 160 Zivildienstleistende. Diese sind (...) in der Pflege beschäftigt und übernehmen Hilfstätigkeiten auf den Stationen", berichtet Dr. Doris Benz, Sprecherin der Rhön-Kliniken. "Die Verkürzung der Zivildienstdauer bedeutet für uns einerseits eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes und andererseits wird es sich für die Zivildienstleistenden schwieriger gestalten, sich in der verkürzten Zeit an ihrem Einsatzort zurechtzufinden".

Ausbildungs- und Verwaltungsaufwand könnten unverhältnismäßig hoch werden. Gerade anspruchsvolle Stellen, wie beispielsweise im Rettungsdienst, brauchen eine Intensive Einarbeitung. Hinzu kommen Urlaub, eventueller Krankheitsausfall etc. "Bei einer Zivildienstzeit von sechs Monaten macht die Ausbildung keinen Sinn mehr", stellt Susanne Papendorf vom DRK-Rettungsdienst Marburg fest, der derzeit 22 Zivildienstleistende beschäftigt. "Dann werden wir keine Zivildienstleistenden mehr beschäftigen". Das hätte auch Auswirkungen auf alle jungen Männer, die nicht zu Waffe greifen wollen. Diese könnten in naher Zukunft "keine Möglichkeit mehr haben, eine Zivildienststelle zu finden", prophezeit Holger Claes von der Diakonie in Gießen.

Einen möglichen Ausgleich sieht man momentan im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ). Bei der DRK-Schwesternschaft Marburg überlegt man bereits jetzt, ob und wie die Zivis in den Einsatzstellen durch Freiwillige im FSJ ersetzt werden können.

Ob der Bund durch die Verkürzung Geld spart wird fraglich. Um die Ausfälle zu kompensieren braucht es gezwungenermaßen eine "andere Lösung, die dann mehr kosten wird", erklärt Papendorf.

Um der Kritik der Einrichtungen entgegenzukommen wollte man den Zivis ermöglichen, den Dienst freiwillig zu verlängern. Die Zentrale Stelle für Kriegsdienstverweigerer hat diese bereits abgelehnt. Da freiwillige Zivi-Monate wie freiwillige Wehrdienstmonate bezahlt werden müssten, "wären Zivis in vielen Bereichen, etwa der Pflege, teurer als regulär nach Tarif bezahltes Personal", so Peter Tobiassen von der Zentralestelle gegenüber der SDZ.

Abgesehen von der prophezeiten Kostenexplosion, gerade für die Kommunen, hat die Verkürzung auch andere, weitaus schlimmere Auswirkungen, beispielsweise für die Personen in Alten- und Behinderteneinrichtungen. Hier sei es, so Mangold, besonders wichtig, dass die "Klienten" über einen längeren Zeitraum eine konkrete Bezugsperson haben.

Es ist wichtig über Alternativen nachzudenken", erklärt Papendorf. Sie befürchtet großen Schaden im sozialen Netz, wenn diese Frage eine allein politische Antwort erhält: "Die Hilfsorganisationen müssen hier unbedingt mit einbezogen werden".

sfs

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