Instituts- und Hörsaalbesetzungen, Studentendemonstrationen, Ausnahmezustand an der Uni: Im Zuge des bundesweiten Bildungsstreiks brauchte sich Gießens neuer Unipräsident Joybrato Mukherjee schon vor seiner Amtsübernahme nicht über mangelnde Arbeit beklagen. In abendfüllenden Verhandlungsrunden hat Mukherjee in seinem bisherigen Amt als Uni-Vizepräsident zusammen mit weiteren Hochschul-Vertretern mit den protestierenden Studenten einen konkreten Fahrplan abgesprochen, wie die Bologna-Reform an der Hochschule weiterentwickelt und Fehler behoben werden.
So ein Dialog wäre an allen Unis in Deutschland wünschenswert. Da wundert auch der Spitzname nicht, den der neue, gerade mal 36-jährige neue Unichef längst verpasst bekommen hat. "Unser Obama" wird Mukherjee gern genannt. Das Lob, das er selbst für "überhöht" hält, hat sich der Sohn einer indischen Einwandererfamilie freilich weniger durch seine Hautfarbe als durch seine offene und unkomplizierte Art im Umgang mit seinen Mitarbeitern verdient. Und durch die Fachkompetenz, mit der der eloquente Anglist seinen länger erkrankten Amtsvorgänger Stefan Hormuth vertrat.
Bei der Bewerbung und den Chefposten an der Uni hat Mukherjee zudem das mit Abstand detailreichste Konzept für die Hochschulentwicklung bis 2020 vorgestellt. Schließlich hat die 74.000-Einwohner-Stadt Gießen aus seiner Sicht ein enormes Profilierungspotential: "Wir sind die Stadt mit der höchsten Studentendichte in ganz Deutschland. Hier gibt es eine Universität, eine Fachhochschule und das weltweit einmalige Mathematikum. Objektiv lässt es sich hier sehr gut studieren. Das müssen wir in Zusammenarbeit mit der Stadt noch mehr bewerben."
Wie sehr er Gießen schätzt, hat der ausgebildete Gymnasiallehrer, der über seine Begeisterung für englische Literatur zum Anglistik-Studium kam und bereits mit 29 Jahren habilitierte, mehrfach gezeigt: Er lehnte mehrere Rufe anderer Universitäten ab, etwa nach Zürich und Salzburg. Sicher, er habe sich intensiv mit den Angeboten auseinandergesetzt, sagt Mukherjee. "Aber für die Uni Gießen hat immer gesprochen, dass hier vieles möglich ist, was an anderen Hochschulen nicht geht." Was die Uni im Sommer prompt mit der Wahl von Mukherjee zum jüngsten Unipräsidenten Deutschlands bewiesen hat.
Basalt. Wenn die Erde bricht, kommt er glutflüssig zur Welt. Der Stoff aus dem Abteien bestehen und Gleisschotter. Der Stoff, aus dem Georg Hüter seine Skulpturen schafft. Eine davon ist bereits seit geraumer Zeit vor der Kunsthalle installiert. Mehr sind aktuell ausgestellt.
Zwei kantige Säulen bilden ein tonnenschweres T im Foyer.In fragile wirkender Balance gibt das Arrangement den Eintritt frei. Auf prismatische Klötze und Abschnitte, Gruppen und Gefallenes. Ruinöse Zeitlosigkeit. Gedanken an äonenalt Kultisches drängen hervor, gebunden an die Faszination, wie sie von Zeugnissen archaischer Monolithkulturen herrührt, Stonehenge, Bretagne, Osterinsel. Doch die Basaltstelen Georg Hüters wollen mehr als solcherart assoziative Zusammenhänge herstellen.
Mit chirurgischer Präzision gesetzte Sägeschnitte öffnen die ursprüngliche geometrische Erscheinung des Säulenbasalts, legen Inneres frei, kontastieren in der Perfektion ihrer glattlackschwarzen Winkelflächen die angewittereten Oberflächen der mannshohen Menhire. Dem flechtenbesetzten, organisch anmutenden grüngrauen Gepräge des Gewordenen stehen eine licht- und ereignisschluckende Flächen von Gemachtem entgegen. Die künstlerische Bearbeitung verleiht dem halben Dutzend titelloser Objekteeine Ahnung von Verborgenem, macht sie zu tonnenschwere Chiffren einer nicht nachvollziehbaren Funktionalität.
Bändigt Georg Hüter in seinen Skulpturen die geronnene Urgewalt des Materials durch den berechneten Eingriff, so geht geht die Malerei von Ralph Fleck einen entgegensetzten Weg. Seine ruhenden Sujets, die Fassaden, Feldstücke, Detailaufnahmen vibrieren in der Art, wie der Maler seine pastosen Farblandschaften schichtet. Im vielzentimeterdicken Farbauftrag der großformatigen Ölgemälde sucht er nach Strukturen, bildet einen Mikrokosmos nach, der den Betrachter in Bewegung zu halten vermag. Hüters Arbeitsweise fordert den Blick aus nächster Nähe. Im Wechsel der Ansicht, in der Annäherung wie im Zurücktreten offenbart sich das Bild auf dem Bild, das gelenkte Zufallsspiel von eruptiven Farbenclustern und sicher gesetzten Pinselspuren. Manches ragt bis in die impressionistische Auflösung hinein, Manches schuldet Hüters Malerei der Fotografie, der kühlen Geometrie der Perspektive, der Technik von Ausschnittsvergrößerung und Momentaufnahme. Hinter der Folie freilich, die nie zum photorealistischen Korsett gerät, brodelt es gewaltig ...
Obwohl beide Künstler gänzlich unterschiedliche Lesarten der Manipulation und darüber hinaus Beherrschung von elementarer Form präsentieren, ergänzen sich die Gemälde von Ralph Fleck und Georg Hüters Skulpturen in äußerst anregender Weise.
Eine gelungene Doppelschau, mit der der Marburger Kunstverein sein Ausstellungsjahr 2009 beendet.
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