auch darum, dass man einen fest- en Stand hat, damit man die Rück- wärtsbewegung des Punching- balls wieder auffangen kann. Wie erfolgreich sind Sie mit den Therapien? Bei 80 Prozent der Patienten er- reichen wir eine deutliche Verbes- serung. Die Erfolge hängen aber von der Schwere der psychischen Stö- rung, der körperlichen Erkran- kung und von der Empathie mit den Behandlern ab. Wegen der Corona-Pandemie ist die Haut zurzeit oft hinter Masken ver- borgen. Ist das für Ihre Patienten ein Segen oder eine zusätzliche Last? Manche Hautkrankheiten ver- schlechtern sich durch die feuchte Wärme hinter einer Maske. Aber in der Regel sind die Patienten sehr froh, weil sie mit Maske ein- kaufen gehen können, ohne kri- tische Blicke auf sich zu ziehen. Damit können sie sich besser ver- stecken. Psychosomatisch be- trachtet ist das nicht gut, weil sie sich dann nicht mit ihrer Krank- heit konfrontieren. Interview: Gesa Coordes durchaus ten Schullebens völlig zurückge- zogen hat, weil er eine ausge- dehnte Schuppenflechte hatte. Er wurde nie ausreichend behandelt, bekam immer nur Cremes und Salben und kam ziemlich verzwei- felt und depressiv hier an. Er war schon nach der Realschule abge- gangen und wusste nicht, was er machen sollte. Wir haben ihn zum einen dermatologisch konsequent mit sogenannten Biologica behan- delt – das sind die neuen Medika- mente, mit denen man die Hauter- scheinungen weitgehend wegbe- kommt. Zum anderen konnte er seine Depressionen hier so gut aufarbeiten, dass er sich am Ende der Therapie noch verliebt hat. Er hatte im Kontakt mit anderen er- lebt und gelernt, dass er als nor- maler, attraktiver Mensch behandelt und respektiert wird, der sich nicht ausgrenzen muss. Zugleich hat er mit der So- zialberatung eine klare berufliche Perspektive entwickelt. Wie helfen Sie den Patienten? Wir nehmen nicht nur die Le- bensgeschichte, die Hintergrün- de und die Verhaltensweisen der Patienten auf, sondern machen auch eine sehr ausführliche kör- perliche Diagnostik. Eine gute der- matologische Behandlung ist die Grundvoraussetzung. Zu unserem multimodalen Therapieprogramm gehören Gruppen- und Einzelthe- rapien. In den Gruppentherapien geht es um das Miteinander und die Auseinandersetzung mit Mit- patienten. Wir arbeiten mit einem psychodynamischen Grundkon- zept. Das bedeutet, dass wir da- von ausgehen, dass die biographi- schen Entwicklungen einen Ein- fluss auf das eigene Leben und das eigene Verhalten haben. Wir haben aber auch verhaltensthera- peutische Bausteine. Dazu gibt es Entspannung, Achtsamkeitstrai- ning, Bewegungs-, Kreativ- und Ergotherapie. Sie arbeiten sogar mit Boxen und Hippo-Therapie. Inwiefern ist das hilf- reich? Dabei kann man psychische Hin- tergründe erleben, die sich verbal oft nur schwer fassen lassen. Bei den Pferden sieht man sehr gut, wie es um das eigene Selbstbe- wusstsein bestellt ist. Wer ein Pferd rückwärts führen möchte, muss diesem ganz klar vermitteln, dass er das jetzt will. Daran sieht man oft recht schnell, ob jemand dieses Selbstbewusstsein aufbrin- gen kann oder ob es damit Pro- bleme gibt. Beim Boxen geht es Der kleine, silbrig schimmernde Igelball gehört zu Sarah Spechts* Notfallsystem. Zur Not hilft der Igelball Der kleine, silbrig schimmernde Igelball gehört zu Sarah Spechts* Notfallsystem. Wenn der Druck in ihrem Inneren zu stark wird, knetet sie den Ball mit ihren Händen. Und wenn die innere Unruhe noch schlimmer wird, nimmt sie die Luftpolsterfolie aus ihrer Handtasche. Langsam drückt und quetscht sie die Polster, bis sie schließlich mit lautem Knall aufplatzen. Das Notfallsystem hindert sie daran, sich die Haut aufzuknibbeln. Wobei Aufknibbeln ein zu harmloses Wort ist. Be- vor Sarah Specht in die Vitos Klinik für Psychoso- matik nach Gießen kam, verbrachte sie bis zu drei Stunden am Tag damit, jede kleine Unebenheit, je- den Pickel und jeden Kratzer so lange und so oft zu bearbeiten, dass sie bald „extreme Wunden“ im Gesicht hatte, so erzählt sie. Und weil sie die Stellen immer wieder aufgekratzt hatte, entzündeten sie sie sich, bis tatsächlich eitrige Stellen daraus wur- den. „Skin Picking“ heißt der Fachausdruck. „Die meisten Leute dachten, es sei die Folge von Akne“, sagt die 21-Jährige. Angefangen hat sie damit, als sie in die Pubertät kam. Ob sie je wirklich Akne hatte, kann Sarah Specht im Rückblick gar nicht mehr sagen. Jeden- falls war ihre Gesichtshaut bald von Wunden und entzündeten Stellen übersät. Es dauerte aber noch Jahre, bis sie schließlich so verzweifelt war, dass sie sich in der Vitos-Klinik für Psychosomatik mel- dete. Hier hat jeder zweite Patient eine Hautkrank- Und wenn die innere Unruhe von Sarah noch schlimmer wird, nimmt sie die drückt und quetscht sie die Polster der Luftpolsterfolie. Das Notfallsystem hindert sie daran, sich die Haut aufzuknibbeln. heit. Schon die Diagnose sei erleichternd gewesen, erzählt Specht. Seit knapp sechs Wochen lebt die junge Frau im Haus 10 in der Parkanlage der Vitos Klinik am Ran- de Gießens. Ihrer Haut sieht man das Skin Picking nicht mehr an. Geholfen hat ihr die Mischung aus vielen unterschiedlichen Therapien: „Die Gruppen- gespräche sind genauso wichtig wie die Einzelge- spräche“, sagt sie. Warum sie immer wieder an ih- rer Haut knibbelt, möchte sie nicht so genau sagen. Aber in der Therapie habe sie für sich gut auf- schlüsseln können, welche Ereignisse in ihrem Le- ben zu diesem Drang zum Kratzen, Abzupfen und Ausdrücken geführt haben. Durch die Therapie nimmt sie ihren Körper heute ganz anders wahr: „Skin Picking ist bei mir immer ein Druckventil“, sagt sie. Aber jetzt spürt sie den Druck bereits früh und kann die Situation analysieren, bevor sie er- neut „an die Haut geht“. Sport hilft – Joggen, Wan- derungen und Krafttraining. In der Klinik hat sie aber auch die Hippo-Therapie ausprobiert: „Sobald man unkonzentriert ist, folgt einem das Pferd nicht mehr“, sagt sie: „Das ist spannend.“ In wenigen Tagen kehrt sie in ihren Job als Erzie- herin zurück. Was sie für sich mitnimmt? „Es ist natürlich schön, dass die Haut nicht mehr so kaputt ist“, sagt Sarah Specht: „Aber es geht auch um die Seele, dass die geheilt wird.“ *Name von der Redaktion geändert gec 11