Express Online: Editorial | 27. Januar 2005

OB-Wahl

Welchen Oberbürgermeister hätten's denn gern? Eine Handvoll stehen zur Auswahl, wenn die Marburgerinnen und Marburger am 30. Januar gen Urne ziehen. Nach Oberbürgermeister Dietrich Möller (CDU), der im Sommer in den Ruhestand geht, wird es erst der zweite per Direktwahl ermittelte OB dieser Stadt sein (siehe Thema der Woche). Und der klassische Zeitvertreib im Vorfeld des Votums sind natürlich Trends und Prognosen.

So hat Dr. Norbert Kersting, Politikwissenschaftler an der Philippina, auch für die OB-Wahl wieder eine repräsentative Umfrage durchgeführt, derzufolge Bürgermeister Egon Vaupel (SPD) als gemeinsamer Kandidat von rot-grün sich im ersten Wahlgang mit 55 Prozent durchsetzen würde. CDU-Import Lutz Heer und Dr. Gregor Huesmann (MBL), der Apotheker mit Entertainment-Anspruch, folgen in der Prognose mit 22 und 17 Prozent. Abgeschlagen in der Kersting-Erhebung Gastronom Jan-Bernd Röllmann (BfM / FDP) und Blista-Betriebsrat Pit Metz (PDS / Marburger Linke) mit vier bzw. zwei Prozent.

Ganz anders – und viel spannender – sieht der Trend unter den Express-Leserinnen und Lesern aus. Rund 4.000 haben bis Redaktionsschluss online auf die Frage geantwortet "Wie heißt der kommende Oberbürgermeister?"

Eine Frage die, zugegeben, nicht nur prognostische Anstrengungen auslöst, sondern häufig nach dem Wunschprinzip beantwortet wird und keine repräsentativen Zahlen ermittelt. Auch hier liegt zwar Vaupel vorn (37,19 Prozent), aber das Feld rückt dichter zusammen: Heer (19,99) und Metz (19,49) Kopf an Kopf, gefolgt von Huesmann (14,74) und Röllmann (8,58).

Daniel Hajdarovic


Express Online: Editorial | 27. Januar 2005

Humankapital

Zum Unwort des Jahres 2004 hat die unabhängige Jury aus sechs Sprachwissenschaftlern nun also den Begriff "Humankapital" erkoren. Begründung des Frankfurter Jury-Sprechers Horst Dieter Schlosser: Der Begriff fördere "die primär ökonomische Bewertung aller denkbaren Lebensbezüge". Der Verwendung des Wortes als Fachterminus innerhalb der Wirtschaftswissenschaften wurde durchaus das Placet erteilt. Die Jury beanstandete aber, dass darüber hinaus in immer mehr Lebensbezügen vom "Humankapital" schwadroniert wird und erst durch diese Omnipräsenz Menschen zur rein wirtschaftlich relevanten Größe degradiert würden.

Nicht nur aus Kreisen von Konzernmanagern, die unfreiwillig zum Paten des "Sieger"-Wortes wurden, gab es Kritik an dieser Wahl. Auch manche journalistischen Kommentare fanden am "Humankapital" nichts auszusetzen: Kapital ist doch eine tolle Sache und der Begriff ist ja auch gar nicht böse, sondern eher würdigend gemeint. Eine bessere Bestätigung für die Jury-Entscheidung hätte es freilich gar nicht geben können als diese Art von Kritik.

Die Ökonomisierung unseres Denkens und unserer Sprache ist schließlich ein schleichender Prozess – irgendwann bemerkt man nicht mehr, welche Zynismen da aus der Feder fließen. Um das zu begreifen sei ins Gedächtnis gerufen, auf wen dieser Begriff 1998 schon angewendet wurde, als die Jury ihn erstmals anprangerte: auf Kinder. Und wenigstens die sollten eine Lobby auch jenseits ihrer Verwertbarkeit finden.

Daniel Hajdarovic



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