Marburg vergibt weitere 50 Prämien an Bürger*innen, die auf ihr Privatauto verzichten.

Es war ein Test – mit großem Erfolg: Im Juni hat die Stadt Marburg ein Anreizprogramm für 50 Marburger*innen gestartet, die ein Jahr auf ihr privates Auto verzichten. Dafür gab es 1250 Euro für Carsharing, Bus, Bahn und zum Einkaufen. Die Prämie war schnell „ausverkauft“. Nun legt die Stadt weitere 50 Prämien nach.

„Wie immer, wenn man etwas Neues versucht, waren wir zunächst unsicher, ob und wie die Reaktionen auf die Prämie für ein Jahr ohne eigenes Auto ausfallen würden“, sagt Stadtrat Michael Kopatz und ergänzt: „Ich bin positiv überrascht, dass die Bürger*innen die Prämie so gut angenommen haben.“ Bereits nach etwa einem Monat waren die 50 Plätze der Pilotphase vergeben. Das Interesse ist laut Stadt weiterhin groß, es gibt sogar eine Warteliste. Aus diesem Grund hat sich die Stadtverwaltung dazu entschieden, die Prämie auszuweiten: weitere 50 Plätze stehen nun zur Verfügung.

Die Prämie für die Teilnahme an dem Programm „Ein Jahr ohne Privatauto“ umfasst maximal 1250 Euro pro Jahr. Sie wird in Form von Gutscheinen ausgezahlt. Teilnehmende können das Deutschland-Ticket für bis zu 12 Monate erhalten, Gutscheine für Carsharing, Marburg-Gutscheine und sogenannte „Klimaboni“, die in Marburg für nachhaltige Produkte ausgegeben werden können.

Wer die Prämie beantragt, kann zwischen den verschiedenen Angeboten wählen beziehungsweise diese kombinieren: zum Beispiel 800 Euro Guthaben für Carsharing und 400 Euro für Einkaufen/Einkehren, die dank der Marburg-Gutscheine auch zu 100 Prozent in Marburg bleiben und so die lokale Wirtschaft stärken. Wer sich für den ÖPNV und damit automatisch für ein Deutschland-Ticket für ein Jahr entscheidet, kann dies auch mit dem Marburg-Gutschein und nur vereinzelt Carsharing ergänzen. Außerdem gibt die Firma VIA aus Rauschenberg einen 500 Euro-Gutschein für den Kauf eines ihrer Lastenfahrräder hinzu.

Bedenken, dass die Prämie missbräuchlich genutzt werden könnte, haben sich aus Sicht der Stadt bisher nicht bestätigt. „Die Menschen sind sehr offenherzig. Sie berichten uns in den Gesprächen von ihrer persönlichen Lage und ihren Beweggründen, warum sie das Auto stehen lassen möchten“, berichtet Stadtrat Kopatz. In der Regel seien es Menschen, die schon lange darüber nachgedacht haben, das Auto abzuschaffen, da es die meiste Zeit „eh nur rumsteht“.

„Da hatte aber der letzte Impuls gefehlt, es wirklich einfach mal zu tun. Diesen letzten Anreiz hat die Prämie diesen Menschen schließlich geboten“, so Kopatz. Es sei wichtig, Angebote und somit Anreize zu schaffen, die den Menschen ermöglichen, andere Routinen kennenzulernen und zu erfahren, dass diese genauso gut funktionieren können. „Der Alltag soll nicht erschwert, sondern anders bequem werden. Aber man muss es erstmal ausprobieren“, so Kopatz.

Ein eigenes Auto ist praktisch und für viele für den Alltag unverzichtbar. Einige benötigen es jedoch nur in seltenen Fällen. Hier können Carsharing und ÖPNV eine Alternative bieten. Denn auch ein stehendes Fahrzeug kostet laufend Geld – neben dem Tanken fallen Kosten für Inspektionen, Reparaturen, Reifenwechsel und Versicherung an. Hinzukommt die Wertminderung. Zudem kostet jedes Auto Platz: so würden für jedes Fahrzeug dauerhaft zwei bis drei Parkplätze bereitgehalten – weil diese Stellflächen beim Neubau von Wohnhäusern, Bürogebäuden, Schulen oder Supermärkten seit Jahrzehnten verpflichtend bereitgestellt werden müssten, wie Kopatz erklärt.

Viele der Antragstellerinnen und Antragsteller haben nach Auskunft der Stadt ihren Zweitwagen abgemeldet oder sogar verkauft. So auch die Marburgerin Ulrike Töllner. Sie hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, das eigene Auto abzuschaffen, da sie es kaum genutzt hat. Als ihr Auto schließlich aufwendigere Reparaturen gebraucht hätte, hat sie sich dazu entschieden, das Auto endgültig abzuschaffen und die Prämie beantragt. Ihren Marburg-Gutschein hat Ulrike Töllner für die Anschaffung eines E-Bikes genutzt.

„Es ist erstaunlich, wie unkompliziert der Umstieg auf mehrere Mobilitätsangebote wie Bus, Bahn, Carsharing – auch innerhalb der Nachbarschaft – oder das Fahrrad ist, wenn man es erst einmal ausprobiert. Das Problem ist, dass man sich am Anfang immer auf das fokussiert, was nicht mehr möglich ist, anstatt auf das zu achten, was alles möglich ist. Das ändert sich aber recht schnell und es tun sich neue Wege auf. Man bewegt sich bewusster“, so die Rentnerin. Neben dem Marburg-Gutschein hat sie sich für Carsharing-Guthaben und ein Seniorenticket für den ÖPNV entschieden. Diese Optionen werde sie wohl in den kälteren und nasseren Monaten nutzen. Dabei sei ihr klar, dass es immer auf die persönlichen Umstände ankommt, was für einen gut passt und möglich ist. „Die Prämie ist ja erst einmal für ein Jahr. Das ist finde ich ein guter Zeitraum, um es mal für sich auszuprobieren und dann kann man ja für sich entscheiden, ob das funktioniert hat oder nicht. Ich kann es nur empfehlen und aus meiner Erfahrung berichten, dass es wesentlich unkomplizierter ist, als man denkt, ganz besonders dann, wenn man das Auto eh nur selten wirklich braucht. Gerade in der Innenstadt empfinde es als deutlich angenehmer und schneller, mit dem E-Bike unterwegs zu sein.“

Jedes dauerhaft abgemeldete Fahrzeug mindert den Parkdruck in Marburg, darauf weist die Stadtverwaltung hin. Stadtrat Kopatz: „Jeder Parkplatz, den wir nicht errichten müssen, spart uns eine Investition von 30.000 Euro. Zudem entstehen uns für die Unterhaltung eines öffentlichen Parkplatzes jährliche Kosten von mehr als 300 Euro.“

Schritt für Schritt zur Prämie

Den Antrag für die Prämie können alle Marburger PKW-Halterinnen und Halter stellen, die mindestens noch ein Jahr in Marburg wohnen und in der Zeit ihr in Marburg zugelassenes Privatauto abmelden. Der Antrag wird zusammen mit dem Wohnsitznachweis, Führerschein und der Bescheinigung über die Autoabmeldung bei der Stadt eingereicht. 

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Patricia Grähling, Stadt Marburg