Kätzchen über Kätzchen im Cappeler Tierheim – und kein Ende in Sicht. Das Problem: Unkontrollierte Tiervermehrung.
Das Katzenhaus des Tierheims Marburg-Cappel platzt mal wieder aus allen Nähten. Zuletzt wurde dort eine Gruppe aus vier Mutterkatzen mit 14 Kätzchen abgegeben, die alle aus einem Haushalt stammten. In den letzten Wochen hat das Tierheim außerdem sechs Mutterkatzen mit insgesamt 19 Kätzchen aufgenommen, von denen eine bereits wieder trächtig ist. Dazu kommt noch ein gutes Dutzend verwaiste Kätzchen.
Alle stammen aus unkontrollierter Katzenvermehrung – von Streunerkatzen oder aus Privathaushalten.
Überforderung, schlechte Vorbereitung, Naivität
Die Anzahl der privaten Abgaben von Katzen, die noch unter 3 Monate alt sind, steigen in den letzten Jahren, sagt die Tierheimleiterin Maresi Wagner. Insgesamt seien es jährlich etwa 150, manchmal auch deutlich mehr. Die Personen seien oft entweder davon überfordert, wie viel Energie die jungen Katzen haben und dass sie auch mal Lärm und Dreck machen. Oder Personen sei nicht bewusst gewesen, dass eine Katze und kein Kater bei ihnen wohne, und der plötzliche Kätzchentrubel sei ihnen dann einfach doch zu viel. Schlechte Vorbereitung und Naivität seien wohl die Gründe für die meisten Abgaben.
„Wir haben auch schon eine Mutterkatze bekommen, die war mit vier Monaten das erste Mal rollig und hat mit sechs Monaten die ersten Babys bekommen. Die Leute haben sie weiterhin rausgelassen und haben sie dann bei uns abgegeben, als sie zwölf Wochen alte Babys hatte. Sie wurde also abgegeben mit den Kätzchen vom ersten Wurf und sie war bereits wieder tragend. Und hat dann einen Monat später bei uns nochmal sieben Babys zur Welt gebracht. Das heißt, die Mama war noch kein Jahr alt, da hatte sie schon zehn Kätzchen geboren. Und ihre ersten Kätzchen waren auch schon kurz vorm geschlechtsreifen Alter. Also das geht ganz, ganz schnell und die Leute unterschätzen das massiv.“
Maresi Wagner, Tierheimleitung Marburg-Cappel
Natürlich gebe es aber auch Personen, die auf eigene Faust Katzen züchten und die Kätzchen dann verkaufen möchten, sich dann jedoch durch Schicksalsschläge oder veränderte private Umstände dazu genötigt sehen, die Katzen im Tierheim abzugeben. Angesichts des überfüllten Tierheims drängt sich hier die Frage auf, warum es nötig ist, noch mehr Kätzchen in die Welt zu setzen.


Im Juli musste das Tierheim bereits einen temporären Aufnahmestopp für alle Tierarten verhängen. Auf den sozialen Medien berichten die Mitarbeiter*innen von Notständen: „Wir haben in vier Tagen fünfzehn Katzen vermittelt. Aber es sind in derselben Zeit eben auch vierzehn dazugekommen.“
Auch Krankheiten wie der Katzenschnupfen sind laut Maresi Wagner bei unkontrollierter Tiervermehrung häufig schon unter den Jungtieren verbreitet, einige haben bereits chronische Erkrankungen, obwohl sie erst ein paar Monate alt sind.
„Jedes Jahr ist es so, dass ich bei den allerersten Katzenbabys, die wir aufnehmen, immer noch denke, ‚Oh die Kätzchen, es geht wieder los‘ und nach dem dritten, vierten Wurf reicht es schon, weil es so viele sind jedes Jahr, wir gar nicht Plätze für alle haben und gar nicht für alle da sein können. Und wir wissen, wie viele draußen verwildern, die eben nicht eingefangen werden können und die wir nicht bei uns aufnehmen – und wie viele Mutterkatzen dann wieder daraus resultieren.“
Maresi Wagner, Tierheimleitung Marburg-Cappel
Extremfälle: Animal Hoarding
In Extremfällen können Fälle von unkontrollierter Tiervermehrung auch psychologische Gründe haben – sogenannte „Animal Hoarder“ / „Tierhorter*innen“ lieben zwar ihre Haustiere, können sich jedoch aus Überforderung oder aus ökonomischen Gründen nicht mehr angemessen um sie kümmern und sind nicht mehr in der Lage, die Vermehrung der Tiere zu stoppen. Der Deutsche Tierschutzbund unterscheidet zwischen fünf Animal-Hoarding-Typen: der Anfänger, der Pfleger, der Züchter, der Retter und der Ausbeuter. Bei allen Typen vermuten Expert*innen physische und psychische Probleme als Auslöser.
Der Appell: Bei Verdachtsfällen nicht wegschauen, sondern das Gespräch mit dem*der Tierhalter*in suchen und im Ernstfall das Veterinäramt kontaktieren. Tiere sind oft verwahrlost, die Horter*innen brauchen psychologische Hilfe.
Der Tierschutzbund fordert daher auch die Einrichtung eines übergreifenden Zentralregisters, welches Informationen über Tierhalter*innen sammelt, die gegen gesetzliche Anforderungen
in der Tierhaltung verstoßen haben. Weiterhin fordert er die Anerkennung von „Animal Hoarding“ als eigenständiges Krankheitsbild, um psychologische Hilfe und Therapien für die Betroffenen sicherstellen zu können, sowie eine rechtsverbindliche Heimtierschutzverordnung mit Vorgaben zur Zucht und Haltung.

Auch das Cappeler Tierheim fordert für alle Gemeinden im Landkreis Marburg-Biedenkopf sowie bundesweit eine Katzenschutzverordnung. Laut dieser sollten alle Freigängerkatzen kastriert und gekennzeichnet sein, sodass das Tierheim seine Ressourcen auf die Streunerpopulationen verwenden kann, die auch im Landkreis weiterhin ein großes Problem darstellen. Erst Ende August rettete das Team des Tierheims eine Katzenfamilie mit vier Kätzchen in der Nähe einer Hauptstraße im Marburger Stadtgebiet.
Für die nun heimatlosen Kätzchen wünscht sich das Tierheim eine Vermittlung zu zweit oder zu einer schon im Haushalt lebenden Katze. Auch Pflegestellen werden gesucht. Zukünftige Halter*innen sollten sich darüber bewusst sein, wie viel Zuwendung die jungen Katzen brauchen. Und sie sollten ihre neuen Lieblinge unbedingt kastrieren lassen, sobald sie geschlechtsreif sind – damit nicht bald der nächste Wurf im Tierheim landet.
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