Freitag, 19. April 2024
Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 15. Dezember 2005

Nachwuchs-Sorgen

Info: "Studieren und Forschen mit Kind"
In dem Modellprojekt "Studieren und Forschen mit Kind", das von der 2001 vom hessischen Sozialministerium gegründeten Hessenstiftung in Auftrag gegeben und mit 130.500 Euro finanziert wird, sollen deshalb in Zusammenarbeit mit Stadt und weiteren lokalen Partnern passgerechte Maßnahmen für das Studium mit Kind entwickelt und erprobt werden. Die Vorteile einer frühen Elternschaft während des Studiums sollen dabei herausgestellt werden.
Laut einer Umfrage des Wissenschaftsministeriums Mitte 2003 existieren an Hessens Hochschulen 474 Betreuungsplätze für Kinder in 17 Horten und Krabbelstuben. Die meisten Einrichtungen werden von Elterninitiativen getragen, den Kommunen und dem Land gefördert, während die Hochschulen Räume zur Verfügung stellen.
Georg Kronenberg
Studieren mit Kind gilt bisher eher als Notfall. Die Einführung von Studiengebühren sowie internationaler Studienabschlüsse verschärfen den enormen Zeitdruck für studierende Eltern weiter.

Knapp ein Jahr ist Inka Burkhardts Tochter alt. "So langsam habe ich wieder mehr Zeit", erzählt die Gießener Medizinstudentin, die sich gerade im dritten Urlaubssemester befindet. Der Zeitverlust durch den Nachwuchs reut die 27-Jährige nicht: "Mein Gefühl lässt nicht zu, dass ich mein Kind schon so früh abgebe." Nebenbei für die noch anstehenden Prüfungen zu lernen, sei bisher einfach nicht gegangen. "Ich habe gemerkt, das Zeit das beste ist, was ich meinem Kind geben kann", sagt Burkhardt. "Studentische Eltern brauchen auch den Freiraum, um zuhause bleiben zu können. Dafür fehlt es aber an Finanzierungsmöglichkeiten undgesellschaftlicher Akzeptanz."

Weiteres Problem: Zwar sind seit den 70er Jahren, meist ausgehend von Elterninitativen an Hessens Hochschulen Kindergärten, Krippen und Horte entstanden. Speziell für Kinder unter drei Jahren ist die Deckung an Betreuungsplätzen in ganz Hessen aber nach wie vor schlecht. Und ohne Betreuungsplatz drohe studentischen Eltern nicht selten ein Studienabbruch, weiß Silke Lorch-Göllner, Frauenbeauftragte der Uni Marburg. "Für jemanden, der seine Ausbildung beendet hat, ist es deutlich leichter, zwei, drei Jahre aus dem Beruf auszusteigen, bis der Nachwuchs einen Kindergartenplatz hat."

Das Thema stehe erst seit kurzen auf der Tagesordnung vieler Hochschulleitungen. So stehen Studierenden und Beschäftigten der Marburger Uni seit rund einem Monat neun Ganztags-Betreuungsplätze für Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und drei Jahren im Zappel-Philipp zur Verfügung. Dafür erlässt die Hochschule der von einer Elterniniative getragenen Kinderkrippe, die im ehemaligen Verwaltungsgebäude des Botanischen Gartens auf den Lahnbergen untergebracht ist, die Miete.

Im Juni erhielt die Marburger Uni zudem das Grundzertifikat "Familiengerechte Hochschule" der gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Die Uni hatte zuvor Ziele definiertet, durch deren Umsetzung familiengerechtere Strukturen bis 2008 hergestellt werden sollen. Eine Reauditierung durch die Stiftung soll dann prüften, inwieweit die Ziele umgesetzt werden konnten.

Die Leiterin des hessischen Modellprojekts "Studieren und Forschen mit Kind", Uta Meier-Gräwe, mahnt freilich einen "Mentalitätswechsel" insbesondere bei den Lehrkräften an, damit Hochschulen künftig familienfreundlich gestaltet werden könnten.

Es gibt noch sehr viele, die meinen, Hochschulen bilden Eliten aus und das Thema Kinderbetreuung gehöre nicht da hin", kritisiert Meier-Gräwe, die als Professorin für Haushalts- und Familienwissenschaften an der Gießener Universität arbeitet und bei dem Anfang 2005 gestarteten vierjährigen Modelprojekt Studierende und Lehrende wiederholt in Tiefeninterviews über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen mit Kind befragt.

Selbst alltägliche Kleinigkeiten wie zum Beispiel die Buchausleihe würden mit Kind oft zur Hürde, berichtet Meier-Gräwe. Ein Umdenken an den Unis sei aber dringend nötig, weil Deutschland im weltweiten Vergleich die höchste Kinderlosigkeit bei Akademikern habe. Die Einführung von Studiengebühren sowie der internationalen Studienabschlüsse Bachelor und Master verschärfe zudem den enormen Zeitdruck, unter demstudierende Eltern mangels ausreichender Kinderbetreuungsangebote ständen. Das hätten erste Interviews mit studentischen Eltern ergeben. Dabei ist die Situation schon jetzt dramatisch:

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hatten 2001 in Westdeutschland von den 30- bis unter 35-jährigen Akademikerinnen mehr als 62 Prozent keine Kinder. Derzeit bleiben über 40 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss zeitlebens ohne Kinder. "Entscheidend sind weniger Versagensängste oder eine fehlende Studienmotivation, sondern vielmehr die schlechten Bedingungen für die Verbindung von Studium und Familie an den jeweiligen Studienstandorten", sagt Meier-Gräwe.

Georg Kronenberg



Copyright © 2005 by Marbuch Verlag GmbH
Tipp des Tages

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Foto: Arte
"Werde nicht wie alle, die du nicht sein willst" ist das Lebensmotto des zwölfjährigen Paul Silberstein, der mit seiner wohlständigen Familie im Wien der späten 50er Jahre lebt. Doch Paul will so gar nicht in das steife Bild eines Jungen aus besserem Hause passen.
Fr 5.2. | 20.15 Uhr | TV | Arte
 
Tipp der Woche

Guardians of the Galaxy

Foto: Vox
Peter "Star-Lord" Quill ist ein Weltraumbandit. Er tut sich mit den Kopfgeldjägern Rocket und Groot sowie der rätselhaften Gamora und dem rachgierigen Drax zusammen, um das Universum zu beschützen.
Do 11.2. | 20.15 Uhr | TV | Vox
 
Aktuelles Heft
Zum Anschauen und Blättern klicken Sie bitte auf den Hefttitel.
 
Kulturtipps 2019
Zum Anschauen und Blättern klicken Sie bitte auf den Hefttitel.
 
Ausgehen & Einkaufen
Zum Anschauen und Blättern klicken Sie bitte auf den Hefttitel.