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Express Online: Thema der Woche | 18. November 2010

Von Herd zu Herd

Auf Kochmission: Bei "Gießen kocht!" werden nicht nur die verschiedensten Zutaten wild miteinander kombiniert, sondern auch Gäste und Gastgeber

Im Grunde sei Kochen "wie Musik komponieren", schwärmt Jonas. "Das macht man aus dem Gefühl heraus." Jonas ist begeisterter Hobbykoch und Freitagabend einer von 70 Teilnehmern bei "Gießen kocht". Zusammen mit seinem Teampartner Johannes hat er für vier unbekannte Gäste leckere Bruschetta mit Tomaten und Mozzarella angerichtet. Getroffen haben wir Jonas und Johannes beim Hauptgang. Denn bei "Gießen kocht!" werden nicht nur die verschiedensten Zutaten wild miteinander kombiniert, sondern auch die Gäste und Gastgeber.

Aber zurück zum Anfang: Vor etwa einer Woche erhielten alle Teilnehmer des von Studierenden organisierten Kochtreffs "Gießen kocht!" eine E-Mail mit dem Namen ihres Kochpartners und dem Gang, den sie zubereiten sollen. Ein wenig später folgte dann die "Speiseroute", die den herkömmlichen Speiseplan ersetzt. Anstelle von schmackhaften Beschreibungen der Gerichte, sind auf diesen Plänen die Adressen verzeichnet, an denen man die einzelnen Gänge kredenzt bekommt. Was es geben wird und wer zu Tisch geladen hat, beziehungsweise wer zum Essen kommt, ist eine Überraschung ...

Avocado-Creme

Der Abend beginnt ungewiss. Ist das wirklich eine gute Idee, bei Fremden, mit Unbekannten zu essen? Das kann entweder ein unglaublich großartiger und lustiger Abend werden oder eine merkwürdige Erfahrung, die man dann unter "Gießen schräg" ablegt. Jetzt ist es zu spät, also raus aus dem Regen und hinein in die Wohnung von Ivan und Ina. Und schnell wird klar, dass man alle Bedenken getrost über den Haufen werfen kann. Das wird ein schöner und abwechslungsreicher Abend mit vielen interessanten Menschen. Im ersten Augenblick sitzt man sich noch etwas reserviert und gehemmt gegenüber. Aber Gesprächsthemen sind schnell gefunden. Was kocht ihr? Kanntet ihr euch vielleicht schon vorher? Wie kamt ihr auf die Idee teilzunehmen? Und ruckzuck ist die exzellente Avocado-Lachs-Creme samt Salatbeilage gegessen und es ist schon fast wieder Zeit zum Weiterziehen. Doch nicht ohne einen, noch recht jungen Brauchfortzuführen. Ivan und Ina waren nämlich schon beim letzten Mal mit von der Partie. "Wir haben schon eine Tradition, wir spielen den Leuten etwas vor und was, das entscheiden wir spontan." Ivan, der in der Gießener Band "Ächt Jäzzt" spielt, greift nach hinten und holt seine Gitarre hervor. "Da das Essen nicht gerade landestypisch war, wie wäre es mit etwas Volkstümlichen?" Einander zugeneigt, stimmt der in St. Petersburg geborene Ivan die ersten Takte von "Schwarze Augen", einem alten russischem Volkslied an, während Ina mit hoher und melancholischer Stimme auf russisch singt. Zum Abschied überredet die Moldawierin ihren Freund noch zu einem Duett: "Er muss auch singen." Bei dem Lied "Buna dimineata", rumänsch für "Guten Morgen", bekommt der ein oder andere Gast sogar feuchte Augen und Gänsehaut, so traumhaft schön musizieren beide zusammen.

Nach dem kleinen musikalischen Intermezzo geht es viel zu spät wieder hinaus in den Regen. Damit ihre Gäste nicht total durchnässt und zu spät zum Hauptgang kommen, laden uns die zwei in ihr Auto ein und geschwind geht es zur nächsten Station des Running Diners.

Kürbis

Bedenken gibt es jetzt keine mehr. Gespannt ist man trotzdem noch, wer wartet hinter dieser Tür? Etwas verspätet klingeln wir in der Friedensstraße und werden prompt von dem Gastgeber in den "Lounge Bereich" geführt und auf den aktuellen Stand gebracht. Gekocht haben Jan und Lena. Vom Essen wird schon mal soviel verraten, dass es erstens noch einen Augenblick braucht und zweitens vegetarisch ist. Mit am Tisch sitzen Maria und Vanessa sowie Jonas und Johannes. Das Besondere an dieser Kombination: Maria ist eigentlich die Mitbewohnerin von Jan, das Losverfahren führte sie als Gast in ihre eigene WG, in der sie später auch den Nachtisch, der gerade im Kühlschrank verweilt, servieren wird. Während sich die Gespräche um Politik, selbstgemachtes Brot, das Studium, den Journalismus und kleine bunte Plastikschweine mit Schnurrbärten drehen, beginnt es im Wohnzimmer immer appetitlicher zu riechen. Nur einordnen lässt sich der Geruch noch nicht. Auf Platte ertönt knisternd Bob Marleys "Stir it up", als Lena und Jan nach und nach das Hauptgericht hereintragen: Mit Käse überbackener Hokkaidokürbis mit Reisfüllung und Brokkoli. Für alle überraschend – der Kürbis kann komplett mitgegessen werden. Die würzige Füllung ergänzt sich dabei unglaublich gut mit dem nussigen Geschmack des Kürbis', allen schmeckt es und selbst Jonas, der anfangs Zweifel am vegetarischen Essen hegte, sagt: "Ich hätte nie gedacht, dass ich von vegetarischem Essen satt werden könnte."

Satt und zufrieden verabschieden wir uns und machen uns auf dem Weg zur nächsten Station. Der Regen hat inzwischen fast aufgehört und die Luft ist angenehm mild.

Balsamico und Eis

Bereits an der Haustür treffen wir auf Tobi, einem der Initiatoren von "Gießen kocht" und Kati. Beide haben das gleiche Ziel wie wir, die Wohnung von Barbara. Zum Nachtisch gibt es Vanilleeis mit Balsamico und Früchten. Das Rezept stammt von einem Freund von Philip. Schon lange wollte Philip es mal nach kochen obgleich es nicht ganz einfach war. Beim ersten Versuch wurde der Essig durch den hinzugefügten Zucker karamellisiert, so dass man eher einen Bonbon hatte, als eine Dessertsoße. Dann, beim zweiten Versuch ist das Ergebnis ausgesprochen lecker. Nach dem Essen spendiert Philip jedem Gast einen Eierbecher mit selbst gemachten Pflaumenschnaps. Der brennt bis in die Ohrenspitzen – und der ebenfalls angebotene Glühwein schmeckt nach einem Schluck Selbstgebrannten höchstens noch nach Traubensaft. Doch das kann den aus Kanada stammenden Philip kaum schrecken: Als er sich ein zweites Glas einschenkt, führt er auch noch einen kleinen Flammentrick vor. Der Glühwein wird gemeinsam gelehrt, der ein oder andere wagt noch ein Schluck vom Pflaumenschnaps und probiert sich ebenfalls an dem Kunststück. Bis sich dann langsam alle auf dem Weg zur After Diner Party im internationalen Studentenbegegnungszentrum "Lokal International" machen.

After Diner

Hier sieht man fast alle wieder, die Tischnachbarn und Gastgeber, aber auch Bekannte und Freunde, die nicht mitgemacht haben und natürlich all jene, von denen man beim Essen und Trinken nur gehört hat: "Ach, du hast die Rosmarinkartoffeln gemacht?" und "Ihr seit die, die gesungen haben." Am Ende hat man das Gefühl, dass nicht nur Gießen verdammt klein und unglaublich vernetzt ist, sondern die ganze Welt ein Dorf, das unglaubliche Überraschungen für einen bereithalten kann.

Zum Schluss bleibt nur zu sagen: Vielen Dank für den wunderbaren Abend, das leckere Essen und die herzliche Bewirtung!

Info

Die Band "Ächt Jäzzt" von Vorspeisekoch Ivan spielt am Sa, 18.12., um 20.00 Uhr im Café Giramondi. Weitere Infos unter www.giessen-kocht.de

Corinna Wilhelm


Express Online: Thema der Woche | 18. November 2010

Symbolhafte Bilder, verwundete Seelen

Aus der Bahn geworfen: "Trennschärfe" vom Gießener Regisseur Csongor Dobrotka am 24. November in der Waggonhalle

Mit so einem Andrang hatte Csongor Dobrotka nicht gerechnet: "Bei der Premiere in Gießen mussten wir 50 Leute nach Hause schicken, weil das Kino total ausverkauft war", berichtet der junge Filmemacher. Weiterer Erfolg: "Trennschärfe", der erste Spielfilm des in Wetzlar aufgewachsenen 34-jährigen Regisseurs, wurde für den Hessischen Filmpreis nominiert.

In-poetischen Bildern, mit eindringlichem Schauspiel und untermalt von einem hypnotischen Soundtrack erzählt der rund eineinhalbstündige Film, der 2008 in zehn Städten und Vororten Mittelhessens gedreht wurde, von einem obdachlosen Mann und einer geheimnisvollen jungen Frau, deren jeweiliges Leben aus den gewohnten Bahnen bricht. Unerwartet werden sie von früheren Erlebnissen eingeholt. Für beide beginnt ein rätselhafter Albtraum, in dem ihre Geschichten mehr und mehr aufeinander zulaufen, bis sie sich am Ende überraschend miteinander verbinden.

Mir war es wichtig, filmisch auszuloten, was Menschen im Augenblick der Erinnerung empfinden und erleben, erklärt der Dobrotka die Grundidee seines Films, der auch gleichzeitig seine Abschlussarbeit am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Gießener Uni ist. "Ich möchte zeigen, dass ihnen dabei Vergangenes wie Gegenwart erscheinen kann und Vorgestelltes wie Realität." Diesen Anspruch hat er zusammen mit den Autorinnen Beate Bambauer und Maike Schönfeld sowie dem Autor und Soundtrackkomponisten René Rösler zu einem komplexen Drehbuch verarbeitet, in dem Zeit und Raum sowie das innere und äußere Erleben der beiden Hauptfiguren Eduard und Karla sich zunehmend miteinander verschränken.

Die Geschichte: Eduard lebt schon seit Jahren auf der Straße und wandert von Ort zu Ort. Eines Tages werden in ihmlängst vergessene Erinnerungen wach und er begibt sich auf eine Reise zurück. Er steigt in einen Bus, der ihn unerwartet von seinem Ziel entfernt. Gemeinsam mit zwei Fremden versucht er einem menschenleeren Gebiet zu entkommen, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt. Karla lebt zurückgezogen und verlässt niemals ihre Wohnung. Zweimal in der Woche vermietet sie ihr Wohnzimmer an einen Klub älterer Damen, diese Abende sind Karlas Fenster zur Außenwelt. Als ein Anruf ihre berechenbare Zuflucht zerstört, verschwinden alte Freunde, während unerwünschte wieder auftauchen. Für beide, Eduard und Karla, beginnt eine poetisch inszenierte Veränderung, an deren Ende sie sich auf schmerzhafte und für den Zuschauer unerwartete Weise begegnen.

Die Darsteller: Für die Rolle des obdachlosen Eduard hat Regisseur Dobrotka den in der freien (mittelhessischen) Theaterszene tätigen Schauspieler und früheren HR-Journalisten Peter Gerst gewonnen, der in Marburg als Regisseur und Schauspieler bekannt ist (u.a. Titelrolle in "Casablanca Jones", und Regie von "Bestattungsinstitut Krämer"). "Er gab diesem Charakter Lebenstiefe und verkörperte ihn so glaubwürdig, dass Passanten ihn während der Dreharbeiten für echt hielten. Einige schenkten ihm Geld, andere beschwerten sich, dass das Team ganz schamlos Aufnahmen von so einem 'armen Kerl' macht", berichtet Dobrotka. Die zweite Hauptfigur, Karla, wird von Judith Niederkofler gespielt, die bereits am Schauspiel Frankfurt zu sehen war.

Dreh und Produktion: Die Dreharbeiten fanden an insgesamt sechs Wochen im August und September an Locations in und um Gießen und Wetzlar statt. Insgesamt wirkten über 60 Personen an dem rund 15.000 Euro teueren Film mit. Entstanden ist er im Rahmen der Hessischen Theaterakademie in Kooperation zwischen dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus Liebig Universität und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main.

Trennschärfe wird am Mittwoch, 24. November, erstmals in Marburg gezeigt, um 20.00 Uhr in der Waggonhalle.

kro/pe

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