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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 18. Februar 2010

Ein Dorf wird autark

Das Bioenergiedorf Oberrosphe hat seinen Kohlendioxid-Ausstoß fast halbiert

Das weiße Betongebäude mit dem rauchenden Schornstein und den Holzhaufen davor ist der Stolz des mehr als 1200 Jahre alten Burgwalddorfes. Oberrosphe bei Marburg ist ein Bioenergiedorf – eines von bundesweit nur 25. Mit dem Biomasse-Heizwerk hat das 850-Seelen-Dorf einen Beitrag zum Klimaschutz gebracht, der weit über die aktuellen Ziele der Bundesregierung hinaus geht. Der Kohlendioxidausstoß des Dorfes wurde innerhalb von zwei Jahren fast halbiert.

Wenn in der Oberrospher Kneipe über Klimapolitik diskutiert wird, kann kaum einer das magere Ergebnis des Weltklimagipfels Ende 2009 verstehen. "Wir sind doch nur ein kleines Beispiel", sagt der Vorsitzende der Genossenschaft Bioenergiedorf Oberrosphe, Hans-Jochen Henkel: "Das müsste viel mehr vorangetrieben werden."

Dabei war Oberrosphe bis vor drei Jahren keineswegs ein besonders grünes Dorf. Biobauern gibt es keine. Natürlich fahren die Dörfler mit dem Auto zu ihren Arbeitsstellen. Immerhin konnten sie Grundschule, Kindergarten, Lebensmittelladen und eine Gaststätte im Dorf halten. Größte Attraktion ist der alte Forsthof, der zu einem beliebten Heimatmuseum ausgebaut wurde.

Doch ihr Gemeinschaftssinn ist stärker ausgeprägt als anderswo, erzählt der langjährige Pfarrer, Bernd Arlt: "Ich habe noch nie ein Dorf kennen gelernt, das so zusammenhält." Die Linken bekämen bei den Wahlen fast ebenso viele Stimmen wie die CDU, erzählt der Theologe: "Das sind kritische Geister hier."

Deshalb rannte der Pfarrer offene Türen ein, als er dem Ortsvorsteher vor drei Jahren seine Idee für die Bewahrung der Schöpfung vortrug: eine Gemeinschaftsanlage für Hackschnitzel. Bioenergiedorf nannte das damals noch keiner, doch die Dörfler waren begeistert. Ihr größtes Motiv: "Wir wollen uns autark machen und etwas Eigenes aufbauen", erklärt Vorsitzender Henkel. Sie gründeten vier Arbeitsgruppen und organisierten Ausflüge zum ersten deutschen Bioenergiedorf Jühnde bei Göttingen. Nach einer Machbarkeitsstudie wurde klar, dass sich das Projekt lohnen würde, sobald 130 Haushalte mitmachen.

120 und damit die Hälfte des Dorfes gewannen die Aktivisten in Info-Veranstaltungen und beim Gespräch über den Gartenzaun. 6000 bis 10000 Euro musste jeder Haushalt investieren, um die Umbauarbeiten zu finanzieren. Ein halbes Jahr lang war der Ort eine einzige Baustelle. Sieben Kilometer Rohrleitungen wurden verlegt, davon zwei Kilometer in Eigenleistung. In den Häusern wurden die alten Brenner rausgeschmissen und Wärmetauscher eingebaut.

Im Oktober 2008, kurz nach dem zweiten hessischen Bioenergiedorf in Rai-Breidenbach im Odenwald, konnten die Oberrospher ihr Heizwerk einweihen. Und seitdem hat niemand auch nur einen einzigen Tag gefroren. Günstig angekaufte Resthölzer aus der Sägeindustrie und übrig gebliebenes Kronenholz aus dem Forst werden in dem Betongebäude mit dem großen Lager verfeuert. Dadurch wird Wasser erhitzt und über das Nahwärmenetz in die Häuser gepumpt. 300 000 Liter Heizöl und 900 Tonnen Kohlendioxid spart Oberrosphe nun jedes Jahr: "Damit erfüllen wir schon heute die CO2-Ziele, die die Bundesregierung für 2040 ausgegeben hat", sagt Henkel: "Hier hinterlassen wir unseren Kindern und Enkelkindern keine verbrannte Erde."

Seit das Heizwerk läuft, sind auch die Kritiker still geworden. Sie hatten den Initiatoren vorgeworfen, das Dorf in den Ruin zu treiben. Doch die Heizkosten der Mitglieder sind nicht gestiegen. Bereits das erste Jahr wurde mit einer schwarzen Null abgeschlossen. Henkel geht davon aus, dass sich die Anlage bereits in ein bis zwei Jahren rechnet. Das funktioniert aber nur, weil das Heizwerkehrenamtlich betrieben wird. Nur für das Kleinmachen des Holzes engagiert das Dorf Lohnhacker. Drei Jugendliche schaufeln die Hackschnitzel in den Vorratsbehälter. Beaufsichtigt wird das Heizwerk durch ein Team von acht Rentnern und Vorruheständlern aus dem Dorf, die täglich darauf achten, dass die Hackschnitzel optimal verbrannt werden. "Personalkosten können wir uns nicht leisten", sagt Henkel.

In zwei Jahren wollen die Oberrospher auch beim Strom unabhängig von den Energieriesen werden. Auf vielen Dächern gibt es bereits Photovoltaik-Anlagen. Gemeinsam mit Landwirten planen sie eine Biogasanlage, die über Kraft-Wärme-Kopplung Strom liefern soll. Und das Heizwerk könnte bald auch noch besser ausgelastet werden. Im Nachbarort Mellnau gibt es nämlich eine Initiativgruppe, die den Heiz-Anschluss an Oberrosphe plant.

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 18. Februar 2010

Holzgeschichten

Die Studie ...
... "Tree-ring indicators of German summer drought over the last millennium" ist in der renommierten Fachzeitschrift "Quaternary Science Reviews" erschienen. Erstautor ist Dr. Ulf Büntgen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf bei Zürich. Neben weiteren Wissenschaftlern der Universitäten Bonn, Göttingen und Mainz war von Seiten der Justus-Liebig-Universität Prof. Jürg Luterbacher (Professur für Klimatologie, Klimadynamik und Klimawandel des Instituts für Geographie) an der umfangreichen Untersuchung beteiligt.
kro
Eichen-Jahrringe zeigen Sommerklima der letzten 1000 Jahre / Studie unter Beteiligung Gießener Wissenschaftler

Wie trocken war der Sommer in Mittelhessen vor 900 Jahren? Ulf Büntgen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft weiß es. Zusammen mit Wissenschaftlern der Unis Gießen, Bonn, Göttingen und Mainz hat der Geograph und Klimaforscher anhand von Eichen-Jahrringen das Klima der letzten 1000 Jahre in Deutschland untersucht. "Das ist die erste Studie, die über einen so langen Zeitraum den jährlichen Sommerniederschlag rekonstruiert", berichtet Studienleiter Büntgen.

Das Ergebnis der einmaligen Datensammlung: Die Wissenschaftler haben drei wichtige Klima-Etappen ausgemacht. So gab es im 13. und 14. Jahrhundert ("Mittelalterliches Klimaoptimum") feucht-warme Sommer, trocken-kalte Sommer vom späten 15. bis ins frühe 18. Jahrhundert ("Kleine Eiszeit") und trocken-warme Sommer in den letzten rund 200 Jahren ("Industrielle Erwärmung"). "Es gibt mehr Klimaschwankungen, als wir zuvor angenommen hatten", bilanziert Büntgen.

953 Eichen aus Nordhessen und Südniedersachsen haben Büntgen und seine Kollegen für die Studie untersucht. "Über 90 Prozent der Holzproben stammen nicht von lebenden Bäumen, sondern aus historischen Fachwerkgebäuden, alten Kirchen oder Klöstern", berichtet Büntgen. "Nur für die Ermittlung der Niederschläge in den vergangenen 100 Jahren haben wir Bohrkerne aus lebenden Bäumen untersucht." Insgesamt konnten sich die Wissenschaftler auf einen Datensatz aus 135.000 individuellen Jahrring-Breitenmessungen aus den Jahren AD 996 bis 2005 stützen. Material, das über viele Jahre beispielsweise zur Altersbestimmung von Gebäuden erhoben wurde.

Dass gerade die deutsche Eiche im Fokus der Forscher stand, hat seinen guten Grund: "Wir brauchen Bäume, welche sensibel auf Klimaveränderungen reagieren", erklärt Klimaforscher Büntgen. In deutschen Wäldern wird das Eichenwachstum wesentlich durch Sommertrockenheit beziehungsweise durch das zur Verfügung stehende Bodenwasser beeinflusst. Das heißt, in trockenen Jahren sind die Ringe eher dünner. So ermöglicht synchrones Jahrringwachstum eine präzise Datierung historischer Holzproben. Büntgen: "Erst die Einzigartigkeit der Abfolge der Jahrringe macht die Datierung der historischen Eichenproben und daher deren klimatische Interpretation möglich."

Freilich nehme die Unsicherheit der Studie je weiter man in der Zeit zurückgehe etwas zu – weil aus den ersten Jahrhunderten weniger Holz zum Vergleichen erhalten ist.

Belege für eine Zunahme der Sommertrockenheit in jüngerer Zeit haben die Forscher übrigens nicht gefunden. So lasse sich aus den Untersuchungen keine Entwicklung zu stärker und länger andauernden Dürreperioden ableiten, betonen die Forscher, da es auch früher schon ähnliche lange Etappen mit bestimmten klimatischen Bedingungen gegeben habe. Büntgen: "Wenn man die natürlichen Niederschlags-Schwankungen über 1000 Jahre betrachtet, erscheinen die Veränderungen während der letzten 100 Jahren eher unspektakulär."

Georg Kronenberg

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