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Express Online: Thema der Woche | 10. März 2011

"Einen breiten Rücken machen"

Ausgeglichene Haushalte, Schuldenabbau und der Umgang mit einem Millionenbetrug vor der Kommunalwahl: OB Egon Vaupel im Express-Interview

Express: Der Campus kommt, die Umgestaltung des Bahnhofvorplatzes endlich auch, im Nordviertel wächst das DVAG-Kongresszentrum in die Höhe. Wie sieht Marburg im Jahr 2020 aus, was ist Ihre Vision?
Egon Vaupel: Weiterhin zu gewährleisten, was wir in den letzten Jahren versucht und geschafft haben: Die historische Stadt Marburg an der Lahn mit ihren vielen markanten Gebäuden und Ensembles zu schützen und zu erhalten, aber eben auch das moderne Marburg weiterzuentwickeln. Und dafür sind die angesprochenen Projekte von entscheidender Bedeutung und gute Beispiele.
Marburg 2020 – das ist eine Stadt, in der die Menschen gerne leben, die die Energiewende geschafft hat, in der die Planungen für die Untertunnelung der B3 begonnen haben und in der die Menschen die Lahnufer als urbane Erholungs- und Freizeitzone nutzen. Und in der die Menschen aus Marburg genauso gerne einkaufen wie diejenigen aus der Region und die zahlreichen Touristen, die auch gerne das Chemikum und unser neues Stadtmuseum besuchen oder über den interessanten Behring-Pfad wandern.

Express: Was muss in der Stadt bis dahin am dringendsten ausgebaut werden – der innerstädtische Wohnraum, die Sozialeinrichtungen, die Kultureinrichtungen?
Egon Vaupel: Wir müssen versuchen, diese drei notwendigen Dinge gleichzeitig zu tun. Für die Kultur sind der Umbau der Stadthalle und die Weiterentwicklung des Waggonhallen-Geländes wichtige Bausteine.
Es wird darüber hinaus schon eine Leistung sein, die Standards, die wir in den letzten Jahren in den Bereichen Soziales und Schule geschaffen haben, zu halten, und zusätzlich die Ganztagsschule und den Bereich Kinderbetreuung in Richtung auf mehr Flexibilität, noch höhere Qualität und Zuverlässigkeit hin weiterzuentwickeln.
Fakten wie steigende Studierendenzahlen oder den Trend in der Stadt zu wohnen, können wir aber auch nicht ignorieren. Deshalb müssen wir weiteren bezahlbaren innerstädtischen Wohnraum schaffen, der auf die besondere Situation der historischen Stadt z.B. im Biegenviertel und in der Oberstadt, Rücksicht nimmt.

Express: Stichwort Gutenberg-Center: Braucht die Stadt neben Ahrens wirklich neue Einzelhandelsgeschäfte oder ließe sich hier nicht prima zentraler Wohnraum schaffen? Der ist ja in Marburg ziemlich teuer und Mangelware, wie nicht nur jeder Student weiß.
Aller gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz haben viele Einzelhändler in der Oberstadt Angst vor einem Verdrängungswettbewerb durch das neue Gutenberg-Center. Welche konkreten Pläne gibt's für die Oberstadt-Entwicklung?
Egon Vaupel: Die Entscheidung für ein Einkaufszentrum ist ja bereits gefallen. Insofern klappt die Alternative nicht. Wir versuchen aber, den Entwicklungsprozess im neuen Allianz-Center so intensiv zu begleiten, dass keine Situation entsteht, die dem Einzelhandel in der Oberstadt schadet.
Viel wichtiger finde ich allerdings eins: Können wir nicht einmal damit beginnen, die Stärken der Oberstadt zu betonen und weiterzuentwickeln, anstatt immer Bedrohungsszenarien zu malen? Die Oberstadt ist einmalig – auch in ihren Möglichkeiten. Ich würde gern in meiner nächsten Amtszeit alle Interessierten und Verantwortlichen zusammenbringen, damit wir gemeinsam entwickeln können, wie wir uns die Oberstadt wünschen.

Express: Szenenwechsel: Was ist für Sie der größte Erfolg, den Sie in ihrer Amtszeit erreicht haben?
Egon Vaupel: Ausgeglichene Haushalte, Abbau der Schulden, weniger Zinsen, damit wir mehr Geld haben für all das, was wir an Positivem umsetzen möchten. Das wir das Vermögen der Stadt Marburg, der Marburgerinnen und Marburger, vergrößert haben. Und vor allem: Das während meiner Amtszeit gut 3000 neue Arbeitsplätze in Marburg entstanden sind! Aber auch die Auszeichnungen als "Stadt des fairen Handels" und als "Ort der Vielfalt" sind mir sehr wichtig.

Express: Und was war die größte Niederlage, der größte Fehler?
Egon Vaupel: Vielleicht, dass ich mich manchmal zu sehr zurück gehalten habe, wenn mir etwas wirklich gegen den Strich ging. Aber auch ich bin lernfähig!

Express: Mitten im Wahlkampf fliegt ein Millionenbetrüger im Rathaus auf, die Opposition fordert Ihren Rücktritt, eigentlich naheliegend und berechtigt – oder?
Egon Vaupel: Nein. Wenn ich selbst Fehler gemacht hätte, wäre ich zurückgetreten. Ich hätte darüber nachgedacht, ob es klug ist, mich allein für ein System verantwortlich zu machen, das ich bei Amtsantritt übernommen habe, aber sofort eine Überprüfung anordnete, als erste Anzeichen von möglichen Unregelmäßigkeiten auftauchten. Allein schon deswegen ist es absurd, aus dieser Angelegenheit eine Parteipolitiksache zu machen. Denn ich bin derjenige gewesen, der die Aufklärung dieses Betrugs initiiert und vorangetrieben hat.
Ich fände es besser und angemessen, wenn wir wirklich gemeinsam versuchen würden, Licht in diese Affäre zu bringen. Da sind die Fraktionen von Linke und FDP weiter als CDU und MBL. Die beiden letzten machen genau das, was die Leute an Politik nervt: Rituale abfeiern nach dem Motto: Wir haben OB-Wahlkampf, also beschmeißen wir den Kandidaten der SPD mit Dreck. Es wird schon etwas hängen bleiben. Die vielen Briefe und Mails aus der Marburger Bevölkerung, die ich erhalten habe, sprechen da eine andere Sprache!
Vor allem habe ich aber gemacht, was jeder Arbeitnehmer von seinem Chef erwartet, wenn es wirklich einmal Probleme gibt: Einen breiten Rücken machen, sich vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen und sie vor unverschämten und falschen Anschuldigungen zu schützen und die versuchte Kriminalisierung einer ganzen Verwaltung nicht einfach durchgehen zu lassen. Denn trotz dieses einen schlimmen Falls: Unsere Verwaltung ist klasse!
Ich habe die politische Verantwortung für einen Konstruktionsfehler in der Bearbeitung und Kontrolle von Beihilfe-Angelegenheiten städtischer Beamter übernommen. Verantwortung übernehmen leitet sich von Antwort ab – es geht also um das Suchen und Geben von Antworten. Und das ist es, worum es mir geht.

Express: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Affäre?
Egon Vaupel: Ich habe zwei Konsequenzen gezogen: Ich habe dafür gesorgt und dazu beigetragen, dass dieser Fall lückenlos aufgeklärt wird. Und ich habe gesagt, ich stelle mich am 27. März dem Votum der Wählerinnen und Wähler. Denn der Souverän sind die Marburgerinnen und Marburger!

Express: Was ist die Schlagzeile am Montag nach der Wahl?
Egon Vaupel: Mehrheit für Vaupel – SPD stärkste Fraktion

Interview: Georg Kronenberg

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