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Express Online: Thema der Woche | 12. Mai 2011

"Lessing ist wichtiger als Paulus"

In seinem Buch "Der Jesuswahn" geht der Marburger Autor und Verleger Heinz-Werner Kubitza mit dem christlichen Glauben ins Gericht.

Express: Sie nennen die Bibel das am meisten überschätzte Buch der Weltliteratur, Jesus die am meisten überschätzte Person der Weltgeschichte. Warum?
Heinz-Werner Kubitza: Die frühen Christen haben den Menschen und frommen Juden Jesus in einen Gott umgeglaubt. Deutlicher kann man einen Menschen gar nicht überschätzen. Der historische Jesus selbst, so wie er von der vor allem neutestamentlichen Forschung heute gesehen wird, hätte dies sicherlich entrüstet abgelehnt, denn aus seinem monotheistischen Glauben heraus hätte er dies als Blasphemie empfunden. Aber ein Toter kann sich nicht mehr wehren. Die Überschätzung der Person Jesus hat aber abgefärbt auf das Ansehen der Bibel. Dieser wird von den Gläubigen nicht nur der Rang einer Offenbarung zuerkannt, sondern ihr wird auch als Schriftensammlung ein hohes und werthaftes Ethos unterstellt. Dabei zeigt sich, dass, wie bei antiken Urkunden nicht anders zu erwarten, viele der ethischen Positionen heutigen Standards hoffnungslos hinterher hinken. So finden wir vor allem im Alten Testament, auch durch den Gott Jahwe, die Rechtfertigung von Angriffs- und Vernichtungskriegen und die Propagierung aus heutiger Sicht irrwitziger Rechtsbestimmungen. Dafür fehlen dem Alten Testament und der Bibel insgesamt wichtige Konstitutiva einer modernen Gesellschaft. Die wichtigen Werte unserer Gesellschaft, wie Menschenrechte, Toleranz, Meinungsfreiheit – auch religiöse –, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Gleichheit, Freiheit finden sich in der Bibel gerade nicht. Sie sind im Wesentlichen Werte der Aufklärung. Lessing ist wichtiger als Paulus.

Express: Die Zahl der Konfessionslosen in Deutschland steigt zunehmend. Muss man da überhaupt noch eine Weltreligion "entzaubern"?
Heinz-Werner Kubitza: Es lässt sich nachweisen, dass die Neigung zur Religion mit zunehmender Bildung abnimmt. In Europa hat das Christentum deshalb seinen Höhepunkt auch schon lange überschritten. Die meisten Menschen kommen dort ohne religiöse Gehhilfe aus. In vielen anderen Regionen der Welt, ich denke da an Gebiete in Asien und Lateinamerika, hat aber in den letzten 20 Jahren vor allem ein evangelikaler pfingstlerischer Protestantismus sich ausgebreitet, eine Spielart des Christentums, die auch vielen anderen Christen als leicht neurotisch erscheint. Es wird lange dauern, bis eine aufgeklärte Vernunft diesen religiösen Flächenbrand einigermaßen wieder unter Kontrolle hat. Die Entzauberung des Christentums, die ich in meinem Buch versuche, möchte da helfen, in dem sie darstellt, wie bestimmte von den Kirchen propagierte angeblich göttliche Wahrheiten sich rein innergeschichtlich erklären lassen. Einen Gott braucht man dazu nicht.

Express: Als promovierten evangelischen Theologen würde man Sie eher auf der affirmativen Seite vermuten. Wie kam "Der Jesuswahn" zustande?
Heinz-Werner Kubitza: Konkreter Auslöser war das Buch von Franz Buggle "Denn sie wissen nicht was sie glauben", in welchem die inhumanen und menschenverachtenden Inhalte der biblischen Schriften dargelegt werden. Hinzu kam die jedem studierten Theologen und auch den Kirchenleitungen bekannte Tatsache, dass der historische Jesus ein ganz anderer war als der Jesus der Kirche. Der Jesus der Kirche ist ein Geschöpf der Kirche. Und das Christentum ist insofern ohne ein tragbares Fundament, die zentralen Lehren der Kirche verdanken sich den Gegensätzen in der frühen Kirche und auch bloßen geschichtlichen Zufälligkeiten, nicht etwa dem "Wirken einen heiligen Geistes", wie von den Kirchen heute immer noch behauptet. Aus verständlichen Gründen werden die Ergebnisse der historischen Forschung, die eigentlich für Glauben und Kirche vernichtend sind, nicht so propagiert. Um im Bilde zu sprechen: Man weiss längst, dass die Erde eine Kugel ist, rühmt aber immer noch den Glaubenseifer derjenigen, die sie nach wie vor für eine Scheibe halten. Doch im Grunde bewegt sich das Christentum in der Weltgeschichte ohne Fahrschein.

Express: Gelten die Aussagen Ihres Buches spezifisch für das Christentum oder können sie einer grundlegenden Religionskritik dienen?
Heinz-Werner Kubitza: In meinem Buch geht es nur um das Christentum und dessen mangelnde intellektuelle Legitimation. Die christliche Religion ist auch diejenige Weltreligion, die am meisten erforscht ist. Doch es liegt auf der Hand, dass auch andere Religionen, würde man sie ohne die schwarze Brille der jeweiligen Dogmatik betrachten, ebenfalls als im Hemde dastehend erschienen.

Heinz-Werner Kubitza, Der Jesuswahn, Wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung, 380 Seiten, Hardcover, 19,90 Euro, Tectum Verlag 2011, ISBN 978-3-8288-2435-5

Heinz-Werner Kubitza wurde 1961 in Hermeskeil bei Trier geboren und hat in Frankfurt, Tübingen, Bonn und Marburg Theologie und Philosophie studiert mit dem Ziel, Pfarrer zu werden. 1991 hat er in Marburg über die Geschichte der Evangelischen Studentengemeinde promoviert. 2001 ist er aus der Kirche ausgetreten, er ist aber nach wie vor an kirchlichen Themen interessiert und hat auch noch viele Kontakte zu Freunden, die anders als er tatsächlich Pfarrer geworden sind. Weitere Infos zu Kubitzas Buch finden sich auch unter www.jesuswahn.de. Heinz-Werner Kubitza ist seit fast 20 Jahren der Inhaber des von ihm gegründeten Tectum Verlags in Marburg, der sich auf die Veröffentlichung wissenschaftlicher Monographien, Dissertationen und Habilitationen spezialisiert hat. Der Verlag hat heute 12 Mitarbeiter und über 2000 lieferbare Titel.

Interview: Michael Arlt

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