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Thema der Woche | 11. Oktober 2012

Ein Jahr Njoro

Das Marburger Malaika-Hilfsprojekt in Kenia – Foto: Schroeder

Es war heute ein regnerischer Nachmittag in Njoro, einem kleinen Städtchen in Kenia, nahe dem Äquator. Mittags stiegen die Temperaturen trotz einer Höhe von 2200 Meter über dem Meeresspiegel auf über 30 Grad Celsius, doch dann formten sich, wie immer in den vergangenen Wochen, gigantische Cumulonimbus-Wolken, jene monströsen tropischen Wolken, aus denen dann heftige Regenschauer niederprasseln.

Jetzt sind die Regenfälle vorbei. Die Luft ist wunderbar klar und frisch, die Sonne findet eine Lücke zwischen zwei Wolken und steht jetzt tief am Himmel. Sie taucht meine Umgebung in leuchtende Farben. Ein Regenbogen trifft genau auf das Malaika-Waisenhaus.

Für vier Wochen bin ich wieder hier gewesen. Hier, beim Malaika-Projekt, das ich mit Marburger Freunden vor einigen Jahren mit initiiert habe. Morgen geht es zurück nach Deutschland, zurück nach Marburg.

Plötzlich reißt mich das Waisenkind Chege aus meinen Gedanken. "Unafanya nini?', fragt mich der 3-Jährige mit seiner Piepsstimme. Was ich denn da machen würde. "Nichts!', antworte ich: "Hakuna!' Er schaut mich ungläubig mit seinen Kulleraugen an. Mir wird bei seinem Anblick ganz warm ums Herz. Ich kann ihm ja schwer erklären, dass ich einfach innehalte, und das letzte Jahr Revue passieren lasse. Heute vor einem Jahr sind wir mit dem Projekt auf dieses Grundstück gezogen. Es ist ein besonderer Jahrestag.

Wohnten wir vormals zur Miete, wagten wir letztes Jahr den Schritt, ein eigenes Stück Land zu erwerben: 70 mal 90 Meter, also groß genug für unsere Zwecke. Es war mit einem Rohbau bebaut, lag an einer Asphaltstraße, hatte Zugang zu Strom und Wasser, die Nachbarschaft wirkte nett und herzlich.

Die monatelangen Bautätigkeiten begannen. Die Gemeinde stellte die Arbeitskräfte. Alles ging mit purer Muskelkraft – kein Kran, kein Betonmischer, keine einzige Maschine! Und das alles auch bei hohen Temperaturen unter der kenianischen Äquatorsonne!

Wir staunten selbst, wie schnell alles vorankam. Die Sommerferien begannen, und die Malaika-Kinder freuten sich darauf, nun selbst beim Bau "unseres' Hauses mithelfen zu können. Endlich! Wir hatten es geschafft. Das war alles vor einem Jahr. Und heute?

Heute sind wir sehr glücklich und zufrieden. Wir haben für einige der wehrlosesten Opfern der AIDS-Tragödie eine kleine, warme Oase in einem von Problemen gefüllten Land geschaffen. Wir haben uns inzwischen in der Dorfgemeinschaft verwurzeln können, die von Anfangan liebevoll zu uns war. "Was braucht ihr an Hilfe für einen problemlosen Start?', wurden wir stets gefragt. Nachbarn buddelten Bananenableger aus ihren eigenen Gärten und brachten sie zu uns. Wir pflanzten sie entlang des Hauptweges auf dem Grundstück. "Banana-Avenue' nennen wir diesen Pfad. Mittlerweile – ein Jahr später – sind sie enorm gewachsen. Nächsten Sommer werden wir vielleicht schon die ersten Bananen pflücken können.

Eine der wichtigsten Personen im Dorf, der 'Elder' (Dorfälteste), zählt zu unseren treuesten Freunden. Oft kommt er auf einen Tee vorbei. Er ist froh, dass es das Malaika-Projekt hier in Njoro gibt. "Es ist so schön, dass die Pforten von Malaika für die Kinder des Dorfes geöffnet sind!', sagte er kürzlich zu mir. Wohl wahr: Am letzten Sonntag zählte ich neben unseren 22 Waisenkindern nochmals 25 Kinder aus der Nachbarschaft auf unserem Gelände! Manche von ihnen tobten umher, machen spielten Fußball, einige lagen irgendwo im Schatten eines Baumes und lasen in Büchern unserer kleinen Kinderbücherei, manche suchten sich ein Eckchen, um in der Erde zu buddeln und Hütten zu bauen. So hatte ich mir das immer vorgestellt: Dass wir auch für die Dorfgemeinschaft da sind.

Alle Malaika-Waisenkinderhaben sich inzwischen in ihren Schulklassen eingelebt und fühlen sich wohl. Jeden Morgen brachte ich in den letzten Wochen die Kleinsten zur Schule. In der frischen kenianischen Morgenluft schlenderten wir über die Lehmwege von unserem Ortsteil Rumwe zu der etwa eine Viertelstunde Fußmarsch entfernten Schule.

Die letzten kleineren Bauarbeiten sind inzwischen so gut wie beendet. Wir haben durch den Bau und den zusätzlichen Platz in den letzten 12 Monaten weitere Waisenkinder zu uns geholt: Den achtjährigen Njoroge, seine kleine Schwester, die inzwischen immerzu strahlende Nyambura (6 Jahre) und die kleine Auma (2 Jahre), die mehr und mehr ihre Schüchternheit ablegt und sich zwischenzeitlich auch gegen andere Kinder durchsetzt.

Und es werden weitere Kinder folgen.

Geert Schroeder
... initiierte 2005 zusammen mit Marburger Freunden das Waisenhaus-Projekt Malaika, zu deutsch Engel. Er unterstützt mit dem Malaika e.V. von Marburg aus die Salama Malaika Self Help Group, eine gemeinnützig anerkannte Selbsthilfegruppe in Kenia. Im Malaika-Waisenhaus kümmern sich vier Mitarbeiter um 20 Waisenkinder im Alter zwischen zwei und 16 Jahren. Die meisten dieser Waisen haben ihre Eltern durch AIDS verloren. "Das Projekt beschützt die Kinder vor einem Leben auf der Straße: Es bewahrt sie vor den Gefahren von Drogen und Kriminalität. Junge Mädchen geraten nicht in eine perspektivlose Sackgasse, die oftmals in der tödlichen Prostitution endet', sagt Geert Schroeder.
Weitere Infos: www.malaika-projekt.de
Spendenkonto: Konto: 6002984100 – Bankleitzahl: 430 60 967 – GLS Gemeinschaftsbank

Geert Schroeder

 
Thema der Woche | 11. Oktober 2012

Manchmal landet auch was in der Kiste

Hessen-Slam-Sieger Marvin Ruppert über die Vorzüge von langweiligen Seminaren und die Aufregung vor dem Auftritt – Foto: Berns

Gewonnen hat er einen Siegerpokal aus Vollmilchschokolade und ihn natürlich mit den anderen Finalisten brüder- und schwesterlich geteilt. Slampoet Marvin Ruppert ist der Sieger des diesjährigen Hessen-Slams in Gießen. Bei dem übrigens drei Mittelhessen, drei Marburger Poetry-Slam-Größen, ins Stechen kamen. Kurios: Theresa Hahl, Bleu Broode und Marvin Ruppert waren bereits alle drei schon mal Hessen-Meister.

Warum in Mittelhessen die Poeten-Dichte so hoch ist und warum lustig sein allein nicht reicht, erzählt der 27-jährige Ruppert, der gerade sein Psychologie- Studium beendet hat, im Express-Interview.

Express: Marvin, du hast jetzt bereits zum zweiten Mal den Hessen-Slam für dich entscheiden können, das zeugt von einer großen Erfahrung. Wie lange bist du schon beim Poetry-Slam dabei?
Marvin: Im Prinzip ist das noch gar nicht so lange – so circa dreieinhalb Jahre sind es jetzt. Angefangen hat alles mit der "Marburger Lesebühne", wo ich erst nur als Zuschauer dabei war. Die Sache hat mich dann aber so fasziniert, dass ich selbst damit angefangen habe.

Express: Das heißt, dass du in 2009, als du zum ersten Mal Hessen-Meister geworden bist, erst ein halbes Jahr dabei warst ...
Marvin: Also ich habe in der Grundschule gerne Geschichten geschrieben. Danach habe ich in dieser Richtung aber eher nichts mehr gemacht, das kam dann erst während meiner Studienzeit und den Besuchen in der Cavete, wo die Lesebühne stattfindet. In einem langweiligen Seminar an der Uni habe ich dann angefangen, die ersten Texte selbst zu schreiben.

Express: Wie bist du auf Poetry-Slams aufmerksam geworden?
Marvin: Also, da kommt man in Marburg ja nicht so richtig dran vorbei. Poetry-Slam ist hier ja ein ganz großes Ding. Man könnte sagen: Marburg ist so was wie eine Hochburg. Das kann man auch daran sehen, dass, obwohl die Stadt ja nicht so groß ist, demnächst acht oder neun Starter bei den Deutschen Meisterschaften aus Marburg dabei sein werden. Ich glaube, man findet selten so viele gute Slammer an einem Ort wie hier.

Express: Als Sieger des Hessen-Slams nimmst du automatisch bei den Deutschen Meisterschaften teil. Wie bereitest du dich auf den Wettkampf vor?
Marvin: Das kann ich gar nicht so sagen – eigentlich habe ich keine besonderen Rituale. Kaffee ist natürlich immer gut. Ansonsten lese ich mir meine Geschichten vor einem Auftritt immer nochmal durch, damit ich sie präsent habe. Gerade vor einem größeren Auftritt ist man ja auch mal aufgeregt. Ich habe da den Vorteil, dass ich meine Geschichten niedergeschrieben habe und nicht ausschließlich frei vortrage.

Express: Wie entwirfst du denn deine Texte und wie lange dauert es, bis sie fertig sind?
Marvin: Das ist immer sehr unterschiedlich. Meistens sind es Begebenheiten oder Erlebnisse aus dem Alltag, die mich irgendwie ansprechen und die ich dann festhalte. Dabei schreibe ich manche Texte relativ schnell andere brauchen Monate. Manchmal wandert etwas auch für längere Zeit in die Kiste und ich entdecke es irgendwann wieder. Allerdings habe ich für mich gemerkt, dass ich mit den ganz ernsten Themen nicht so viel anfangen kann. Das artet bei mir zu schnell in Zynismus oder schwarzen Humor aus.

Express: Beim Finale hast du etwas über "Verhaltenskonditionierung durch deine Freundin" vorgetragen – ihr seid danach noch zusammen?
Marvin: Ja klar, sie weiß zum Glück, dass man auf der Bühne eine andere Person ist als privat und dass die Texte natürlich auch dramaturgisch überspitzt sind. Allerdings bin ich in den letzten Jahren doch auch vorsichtiger geworden was meinen Themenwahl und die Präsentation angeht, denn ich habe gemerkt: je nach dem was für ein Thema es ist, kann man Personen schon verletzen – das muss nicht sein.

Express: Was würdest du einem Anfänger raten? Wie kann man am besten in das Metier einsteigen?
Marvin: Ich glaube, der erste große Schritt ist die Überwindung auf die Bühne zu gehen und vor anderen etwas vorzutragen. Aber ich kann nur sagen, es lohnt sich, diesen Schritt zu machen. Was ich empfehlen kann ist wirklich die "Marburger Lesebühne". Da findet immer am ersten Mittwoch im Monat eine Lesung statt und man kann sich einfach per Mail anmelden. Der Vorteil ist hier, dass die Regeln nicht ganz so streng sind wie üblich. Ansonsten ist Poetry-Slam ja keine Casting-Show. Die Szene ist sehr familiär und wir haben Respekt voreinander. Da bekommt jeder Applaus und niemand wird ausgebuht.

Express: Den Eindruck, dass es beim Poetry-Slam sehr familiär zugeht hatte man auch beim Hessen-Slam. Ist das ein Grund, warum dich die Slams faszinieren?
Marvin: Ja klar, man sieht häufig bestimmte Leute, man trifft sich und irgendwie ist man schon eine große Familie. Dann ist da natürlich auch noch die Tatsache, dass man auf einer Bühne steht und für das was man leistet, ein direktes Feedback durch das Publikum bekommt.

Express: Welche Hobbys hat der Poetry-Slammer Marvin Ruppert denn sonst noch so?
Marvin: Also, ich fotografiere sehr gerne: Menschen aber auch Straßenzüge, also all das, was so in eine dokumentarische Richtung geht. Dann lese ich noch unheimlich gerne. Zuletzt habe ich "Schilf" von Juli Zeh gelesen. Das ist ein tolles Buch, in einem tollen Sprachstil geschrieben und mit einem sehr überraschenden Ende. Der Plott ist wirklich sehr intelligent – natürlich kann ich ihn jetzt hier nicht verraten, sonst wäre ja die Spannung futsch. Und dann noch "Per Anhalter durch die Galaxis" – das ist eines meiner Lieblingsbücher und ich habe es bereits zweimal auf Deutsch und zweimal auf Englisch gelesen – die ganze Reihe.

Express: Jetzt geht es im November um den Deutschen Meistertitel. Was erhoffst du dir vom Wettbewerb?
Marvin: Das ist immer schwer zu sagen. Eine Platzierung hängt beim Poetry-Slam ja auch immer davon ab, wie das Publikum drauf ist, von der Reihenfolge in der man startet und natürlich auch von den Vorträgen der anderen. Wenn beispielswese viele lustige Texte vorgetragen werden, dann besteht die Gefahr, dass die Zuhörer davon irgendwann genug haben.

Info
Marburger Lesebühne, jeden ersten Mittwoch im Monat ab 21 Uhr, in der Cavete im Steinweg. www.late-night-lesen.de
Mehr über Marvin Ruppert: hallomarvin.wordpress.com

Interview: Jenny Berns

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