Donnerstag, 25. April 2024
Thema der Woche | 4. Juli 2013

"Mission impossible"

Politikum statt Volksfest: Hängepartie um Marktfrühschoppen – Foto: Wegst

"Ein Fest für die Marburger Studierenden ist es auf keinen Fall", sagt Anne-Katrin Gabrikowski vom Asta-Vorstand: "Das ist ein Treffen von Burschenschaftern." Noch schwerer wiegt: Regelmäßig nutzten die rechtslastigen Verbindungen Rheinfranken, Germania und Normannia-Leipzig den Marktfrühschoppen als Bühne. Und sie haben "deutlich rechtsradikale Tendenzen", sagt Oberbürgermeister Egon Vaupel. Deshalb flogen in der Vergangenheit Farbbeutel und Stinkbomben. Es gab Handgreiflichkeiten. Die Blasmusik ging regelmäßig im Pfeifkonzert der Demonstranten unter. Ohne massiven Polizeischutz ist das Fest schon lange nicht mehr denkbar.

Jetzt stand der Marburger Marktfrühschoppen vor seinem entgültigen Aus. Das Stadtparlament hatte mit den Stimmen von SPD, Grünen, Marburger Linken und Piraten beschlossen, dass der Frühschoppen 2013 nicht stattfinden soll. Öffentliche Aktivitäten der rechtsextremen Verbindungen seien in Marburg "nicht erwünscht". Nach einigem juristischen Hin und Her hatte Oberbürgermeister Egon Vaupel das für den 7. Juli geplante Fest daraufhin nicht genehmigt. Den letzten Anstoß gab das CDU-regierte Gießener Regierungspräsidium, das den Beschluss des Stadtparlaments für bindend hält. Schon 2012 hatte Vaupel das Fest aus Sicherheitsgründen gestoppt. Auslöser damals waren die Rheinfranken, die im Internet für die Veranstaltung warben.

Doch der seit knapp 20 Jahren schwelende Streit ist damit nicht beendet. Das Gießener Verwaltungsgericht hat in dieser Woche dem Eilantrag des Markfrühschoppenvereins stattgegeben. Der Marburger Magistrat muss das Fest doch zulassen. Hauptgrund: Das Verbot sei vor allem politisch motiviert. Es dürfe aber nur um straßenrechtliche Gesichtspunkte gehen. Ob tatsächlich gefeiert werden kann, ist damit aber noch nicht sicher. Die Stadt hat beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingelegt.

Kein Wunder, dass die Gießener Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth sagt: "Es ist eigentlich gar kein Fest mehr. Es ist ein Politikum." Dabei war der seit mehr als 100 Jahren existierende Marktfrühschoppen einst tatsächlich ein fröhliches Volksfest: Am ersten Sonntag im Juli gaben die Marburger Wirtsleute, bei denen Studenten zur Untermiete wohnten, den Studiosi ein Bier aus. 1951 wurde das Fest wieder eingeführt, das in der Vergangenheit bis zu 7000 Besucher anlockte. Dominiert wird es nach Einschätzung der Kritiker jedoch von den Korporierten.

Es gab viele Versuche, den Marktfrühschoppen zu reformieren: Asta und Ausländerbeirat wollten die Traditionsfeier durch ein multikulturelles Festersetzen. Ein Runder Tisch versuchte, gemeinsam mit dem Marktfrühschoppenverein ein neues Konzept zu entwickeln. "Mission impossible", urteilte Kulturamtschef Richard Laufner. "Nichts hat funktioniert", sagt Vaupel.

Die Oberstadtgemeinde, die das Fest einst ausrichtete, hat sich als Veranstalterlängst zurückgezogen. Es blieb der Marktfrühschoppenverein, dessen Vorsitzender Tilmann Pfeiffer Alter Herr der liberalen Burschenschaft Arminia ist. Schon seit 60 Jahren sei er jedes Jahr bei dem einst als "kürzestes Volksfest Deutschlands" bezeichneten Fest dabei, das heute vor allem ein Treffen von ehemaligen Marburger Studenten sei.

"Das Geschrei gegen den Marktfrühschoppen beruht auf Denunziation und Diffamierung", sagt er. Der Frühschoppen sei nicht rechtslastig. Höchstens 180 der gut 800 Besucher des Festes kämen überhaupt in Couleur. Der Marktfrühschoppenverein habe sich nachdrücklich von ausländerfeindlichen und rechtsextremen Gedankengut distanziert: "Aber man kann bei keinem Volksfest ausschließen, dass da Rechtsradikale rumlaufen", sagt er.

Unterstützt wird er dabei vom Marburger CDU-Fraktionsvorsitzenden Philipp Stompfe. Die Absage des Traditionsfestes nennt Stompfe "ideologische Willkür". Dagegen sagt Politikwissenschaftlerin Kurth: "Das Fest gehört in eine andere Zeit. Es ist Geschichte."

Strittige Burschenschaften
Unerwünscht sind laut Marburger Stadtparlament die Studentenverbindungen, die in der als rechtsextrem geltenden Deutschen Burschenschaft organisiert sind. In Marburg gehören Rheinfranken, Germania und Normannia-Leipzig dazu.
Der Dachverband beschloss, nur noch "Volksdeutsche" als Mitglieder aufzunehmen. Konkret wurde verlangt, dass beide Eltern deutscher Abstammung sein müssen. Zudem hatte der frühere Chefredakteur der Verbandszeitung Dietrich Bonhoeffer als Landesverräter und dessen Hinrichtung "rein juristisch" als gerechtfertigt bezeichnet. Außerdem gibt es personelle Verquickungen mit der NPD.
Vor allem Rheinfranken und Germania machen durch rechtsextreme Referenten von sich reden. Die Rheinfranken mobilisieren auf Facebook für den Marburger Marktfrühschoppen.
gec

Gesa Coordes

Thema der Woche | 4. Juli 2013

Treffsicher

Uni-Physikern gelingt Durchbruch bei "El Niño"-Prognosen
Foto: Public Domain

In unregelmäßigen Abständen kommt es auf der Südhalbkugel etwa zur Weihnachtszeit zu einem Phänomen mit bisweilen katastrophalen Folgen: "El Niño" (spanisch für Christkind) sorgt unter anderem für leere Fischernetze, sturzbachartige Regenfälle, Dürren und Wirbelstürme. Kaum möglich war bislang eine zuverlässige Prognose dieses Ereignisses über längere Zeiträume hinweg. Ein methodischer Durchbruch in der "El Niño"-Vorhersage ist nun einem internationalen Forscherteam um die Gießener Physiker Prof. Armin Bunde und Josef Ludescher (Institut für Theoretische Physik der Justus-Liebig-Universität) gelungen. Die Ergebnisse erlauben es, den Prognose-Zeitraum erheblich zu verlängern – von bislang nur sechs Monaten auf zwölf bis 18 Monate – und gleichzeitig die Treffsicherheit der Warnungen vor "El Niño" deutlich zu verbessern.

Das interdisziplinäre Team, zu dem auch Prof. Shlomo Havlin von der Bar Ilan Universität in Israel und Prof. Hans Joachim Schellnhuber vom renommierten Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gehören, untersuchte mit Hilfe moderner Methoden aus der Statistischen Physik Zusammenhänge im Messnetz und spürte dabei verborgene Fernwirkungen auf. Den Wissenschaftlern standen zuverlässige Messwerte aus dem Zeitraum zwischen Anfang 1950 und Ende 2011 zur Verfügung. Der Zeitabschnitt zwischen 1950 und 1980 diente ihnen als Lernphase für die Festlegung eines Prognose-Algorithmus für die Bestimmung der Alarmschwellen. Mithilfe dieses Algorithmus konnten dann die "El Niño"-Ereignisse in der zweiten Periode prognostiziert und mit den tatsächlichen Ereignissen verglichen werden. So war es laut Universität möglich, die Quote falscher Alarme auf unter zehn Prozent zu senken und 70 Prozent der "El Niño"-Ereignisse zutreffend zwölf bis 18 Monate vor ihrem Eintritt anzukündigen. Damit erweise sich die neue Methode als mehr als doppelt so gut wie die bisherigen Prognoseverfahren mit der gleichen Vorwarnzeit. Auch bei einem Prognosezeitraum von sechs Monaten schneide die neue Methode deutlich besser ab.

Prof. Armin Bunde und Josef Ludescher von Institut für Theoretische Physik der Justus-Liebig-Universität – Foto: Georg Kronenberg

Wie unzuverlässig die "El Niño"-Prognosen bislang sind, zeigte sich erst vor wenigen Monaten: Im Sommer 2012 machten Klimawissenschaftler Anhaltspunkte für ein bevorstehendes starkes "El Niño"-Ereignis aus, das dann doch nicht eintraf. Erst kurz vor Weihnachten gab es Entwarnung. Die Peruaner standen also der noch immergrößtenteils unverstandenen Naturerscheinung kaum weniger hilflos gegenüber als ihre Vorfahren, die versuchten, "El Niño" mit magischen Beschwörungen beizukommen. Archäologen vermuten, dass die Kilometer großen Felszeichnungen in der südperuanischen Wüste etwas damit zu tun haben. Auf Magie möchten sich aber die heutigen Menschen nicht mehr verlassen. Sie möchten rechtzeitig und einigermaßen zuverlässig vor anrückendem Unheil gewarnt werden. Die neue Methode der Gießener Wissenschaftler scheint das zu gewährleisten: Lange vor der offiziellen Entwarnung konnte Prof. Bunde seinen Freunden versichern, dass kein "El Niño" zu erwarten war.

El Niño
Ein "El Niño"-Ereignis löst zunächst eine auffällige Erwärmung des Oberflächenwassers im Bereich der südamerikanischen Pazifikküste aus. Unmittelbare Folge: Die mit dem kalten Humboldt-Strom von Süden heranziehenden Fischschwärme meiden die peruanische Küste. Die Netze der Fischer bleiben leer. Weiter oben im Bergland von Peru und Ecuador kommt es zu sturzbachartigen Regenfällen, die den armen Bauern zu schaffen machen. Doch damit nicht genug. Auf der gesamten Südhalbkugel der Erde ändert sich das Wettergeschehen in auffälliger Weise: In Teilen Südamerikas, Indonesiens und Australiens kommt es zu ausgedehnten Dürreperioden, in der Karibik entstehen Wirbelstürme, über dem indischen Subkontinent ändert sich das Regime des Monsun, und selbst in Nordamerika und Europa sind die Auswirkungen von "El Niño" noch in Form strengerer Winter spürbar, mit bisweilen katastrophalen Folgen: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben durch "El Niño"-Ereignisse ausgelöste Dürren in Brasilien, Indien und China zwischen 30 und 50 Millionen Todesopfer gefordert.

pe/kro

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