Knalleffekte und virtuelle Reisen
Unterwegs auf dem Wissenschaftsfestival "campus marburg" Foto: Kronenberg
Im modernen Hörsaalgebäude lebt eine uralte Schrift wieder auf. Wir gehen die Treppe hoch und werden im Foyer direkt zum "Keilschriftschreiben" animiert. Meine Freunde Manuel und Marcel sind erst skeptisch, aber als sie dann einen Klumpen Ton in die Hand bekommen, lassen sie sich darauf ein. Ein älterer Mann erklärt ihnen leidenschaftlich die Technik und demonstriert anschaulich wie das Schreiben auf Ton funktioniert:Mit dem Holzkeil drücken wir die Schrift in den weichen Ton - und schon ist das erste Souvenir vom Wissenschaftsfestival "campus marburg", auf dem wir zu dritt unterwegs sind, fertig.
Ein Tisch weiter wird gezeigt, wie man auf Pergament und auf Wachstafeln schreibt. Das Pergament riecht etwas streng - genug Mittelalter, wir gehen weiter. Vorbei an Ständen mit Büchern und Flyern, gehen wir in ein anderes Stockwerk, wo wir erstmal vor prall gefüllten Obstkisten stehen, mit denen Werbung für "Öko Apps", gemacht werden.
Um 18 Uhr treten wir "die Reise durchs Gehirn" an. Prof. Dr. med Tilo Kircher aus dem Fachbereich Medizin hält die Vorlesung. Kircher, der Direktor der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, veranschaulicht zu Beginn seines Vortrags die einzelnen Bereiche des Gehirns mit mehreren Bildern. Das Publikum im gut besuchten Hörsaal ist gebannt und hört aufmerksam zu. Ein Thema seiner Vorlesung ist die Plastizität des Gehirns, die Veränderung bzw. die Verschaltung der Synapsen. Der Professor erklärt zunächst die Begrifflichkeiten und ich fühle mich in meine Abiturzeit zurückversetzt, als er vom synaptischen Spalt, Neurotransmittern und dem post- und präsynaptischen Spalt spricht. Anhand eines Taxifahrers in London erklärt er die Hirnaktivität und das Wachstum des Hippocampus (Ein Bestandteil des Gehirns, das sich im Temporallappen befindet). Merke: Je länger man also zum Beispiel Taxifahrer ist und sich über die Jahre immer mehr Straßen merken muss, umso ausgeprägter ist die Hirnaktivität und umso größer wächst der Hippocampus.
Feuershow vor der UB Foto: Kronenberg
Ich finde den Vortrag hervorragend, mein Biologiewissen ist wieder aufgefrischt. Jetzt machen wir uns auf den Weg zu der Vorlesung von Alexander Thattamannil-Klug: "Rassismus in und durch Tolkiens 'Herr der Ringe'". Die Grundstruktur des Buches ist seiner These nach "Schwarz gegen Weiß". Er betont ausdrücklich, dass der Autor der Bücher, J. R. R. Tolkien, keine rassistischen Absichten hatte und auch keine Fehler einer Überlieferung bisher bekannt sind. Durch Textausschnitte des Buches möchte Klug aufzeigen, dass die weißen Figuren, z.B. die Elben im Herr der Ringe, die "Guten" sind und die schwarzen Charaktere, z.B. die Orks, die "Bösen" sind. Er bittet alle, sich folgendes Szenario vorzustellen und zu entscheiden, welches man persönlich für schlimmer empfindet: Man wird von 80 weißen, bewaffneten Männern entführt. Oder auch: Man wird von 80 schwarzen, bewaffneten Männern entführt. "Welches Szenario nun das angsteinflößendere ist, dürfte wohl klar sein", so Klug.
Den Orkhäuptling des Films verbindet er mit der Kolonialzeit, geprägt durch Rückständigkeit und Primitivität. Die grausamen Geschöpfe mit schwarzer Haut verkörpern seiner These nach Brutalität und mangelnde Bildung, was er mit Afrika assoziiert: "Ich weiß, dass dies eine gewagte These ist", betont Klug.
Das Publikum lacht und hat mit dieser Wertung so seine Probleme, eine kontroverse Diskussion mit dem Referenten beginnt. Aber insgesamt war es ein unterhaltsamer Vortrag, mit einer für uns neuen Sichtweise zum Film "Herr der Ringe" bilanzieren Manuel, Marcel, und ich auf dem Weg zur nächsten Show.
Foto: Kronenberg
Die beginnt um 22 Uhr im Audimax: der Poetry Slam: "Profs gegen Studis". Wir gehen die Stufen zum Saal hinauf und sehen nichts als Menschen. Bereits 20 Minuten vor Beginn ist der Raum so überfüllt, dass wir nur noch Stehplätze am Geländer bekommen. Es werden sogar zeitweise keine Leute mehr hereingelassen. Jede Menge Studenten tummeln sich in den Rängen und suchen zu der Techno-Musik des DJs nach Sitzplätzen.
Endlich beginnt Lars Ruppel, der Moderator, die Show und trägt zum Auftakt erstmal einen kurzen Text vor, der uns ziemlich beeindruckt.Danach geht's los mit dem Kampf Studierende gegen Professoren. Wechselweise tragen Studis und Dozenten Texte vor. Besonders witzig und überraschend ist der Text von Felix Lobrecht, einem Studenten aus Marburg. Der gleich mit einem Knalleffekt einsteigt: Er spricht anfangs sehr leise - und schreit dann plötzlich ins Mikrofon. Ein simpler Trick, der aber bestens funktioniert - und die Menge zusammenzucken lässt. Dafür bekommt er bei der Wertung einen "Schocker"-Zusatzpunkt.
Slam-Poet Bas Böttcher, der Nachmittags im Foyer als besondere Aktion eine "Textbox" aufgebaut hatte, wird als Gast-Professor von der Uni Leipzig vorgestellt und beeindruckt in seinem Beitrag besonders mit Wortspielen, die er so schnell hintereinander vorträgt, dass es einem die Sprache verschlägt. Ich bin so begeistert, dass ich mir bereits jetzt vornehme, dass dies bestimmt nicht mein letzter Poetry Slam war. Böttcher erhält als einziger die höchste Punktzahl von 40.
Am Ende des Slams gewinnen die Professoren mit 110 Punkten gegen die Studierenden mit 96 Punkten, und ich habe auch etwas gewonnen:Einen guten Eindruck von der großen Vielfalt an der Philipps-Universität-Marburg - und eine kleine Hilfe für meine Studienwahl.