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Thema der Woche | 10. Juli 2014

Kinder wie andere auch

Beratungsstelle für Hochbegabte "Brain" wird 15 – Foto: Coordes

Manche Eltern sind schrecklich enttäuscht, wenn sie erfahren, dass ihre Kinder doch nicht hochbegabt sind. "Es gibt sogar Mütter, die deshalb weinen", wundert sich der Gründer und Leiter der begabungsdiagnostischen Beratungsstelle Brain, der Marburger Psychologieprofessor Detlef Rost. In den vergangenen 15 Jahren hat die zur Philipps-Universität gehörende Einrichtung rund 8000 Beratungsgespräche geführt und mehr als 2300 Kinder ausführlich getestet. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei der vom Land finanzierten Anlaufstelle um die einzige neutrale Beratungsstelle Hessens. Eltern und Kinder kommen aus ganz Hessen.

Obwohl die Mitarbeiter der Beratungsstelle bereits eine telefonische Vorauswahl treffen, sind nur 36,9 Prozent der vorgestellten Kinder tatsächlich hochbegabt. Bei knapp zwei Dritteln stellt sich heraus, dass Eltern und Umwelt mit ihrer Einschätzung daneben lagen, manche waren sogar unterdurchschnittlich begabt.

Die Beratungsstelle geht auf das Marburger Hochbegabtenprojekt zurück, eine groß angelegte Langzeitstudie, die Entwicklung und Lebensweg von 150 Hochbegabten seit 1987 verfolgt. Sie wurden unter 7000 willkürlich ausgewählten Drittklässlern identifiziert. Dabei stellte sich heraus, dass die Betroffenen entgegen der landläufigen Vorstellung in der Regel keine Problemfälle sind. Befragungen von Kindern, Eltern und Lehrern zeigten, dass sich die schlauen Mädchen und Jungen im nicht-intellektuellen Bereich kaum von ihren durchschnittlich begabten Mitschülern unterscheiden. Die meisten kommen sowohl mit sich selbst als auch mit ihren Eltern und Mitschülern gut zurecht. Wenn Unterschiede auftraten, fielen sie eher zugunsten der Hochbegabten aus, die etwas weniger ängstlich und etwas stabiler und fröhlicher als ihre Mitschüler zu sein schienen. Rosts Zusammenfassung: "Hoch begabte Kinder sind eigentlich Kinder wie andere auch." Ein Risikofaktor sei Hochbegabung jedenfalls nicht.

Dass dies nicht dem Bild entspricht, das von Selbsthilfegruppen und Medien oft gezeichnet wird, erklärt Experte damit, dass sich vor allem Eltern zusammenschließen, deren Kinder Schwierigkeiten haben.Eine "Selbsthilfegruppe für das pflegeleichte Sonnenscheinkind" mache ja auch keinen Sinn.

Allerdings gibt es tatsächlich eine kleine Gruppe von Problemkindern, so genannte "Minderleister", deren Leistungen deutlich hinter ihren heraus­ragenden intellektuellen Fähigkeiten zurückbleiben. Ihren Anteil schätzt der Psychologieprofessor allerdings nur auf 15 Prozent der Hochbegabten. Bei ihnen gebe es häufig eine sehr ungünstige Konstellation von individuellen Problemen, die von Schulunlust über Ängstlichkeit bis zu Krankheiten und familiären Konflikten reichen. Langeweile sei jedenfalls kein Anzeichen für Hochbegabung, betont Rost: "Wer nichts versteht, langweilt sich auch. Langeweile ist nur ein Indikator für schlechten Unterricht."

Diese "Minderleister" werden von Lehrern in der Regel nicht als Hochbegabte erkannt. Auch deshalb besteht ein wichtiger Teil der Arbeit von Brain in der Beratung und Weiterbildung von Lehrern, Ärzten und Erziehern. "Mythen zu killen", so Rost, gehöre dabei zu den Kernaufgaben der Einrichtung. So seien auch die Jahrgangsbesten einer Schule keineswegs unbedingt hochbegabt – der durchschnittliche Intelligenzquotient dieser Champions lag bei der Marburger Untersuchung bei 117. "Das heißt, dass man mit ein bisschen überdurchschnittlicher Intelligenz hervorragende Leistungen erzielen kann", erklärt er.

Rost hält übrigens wenig davon, Hochbegabte in eigenen Schulen zu unterrichten. Die beste Förderung für die klugen Kinder sei ein abwechslungsreicher, experimenteller Unterricht, bei dem der Lehrer auf Stärken und Schwächen der einzelnen Schüler eingeht. Rost: "Das nützt allen Kindern."

Hochbegabung
Als hochbegabt gelten Menschen mit einem Intelligenzquotienten von mehr als 130. Statistisch gesehen sind dies zwei Prozent der Bevölkerung.
Ratsuchenden bietet die begabungsdiagnostische Beratungsstelle Brain in Marburg zunächst eine telefonische Beratung. Danach wird entschieden, ob eine weitere Diagnostik und Tests sinnvoll sind. Dann gibt es in der Regel eine Wartezeit von acht bis zehn Wochen.
Kontakt: Tel. 06421-2823889, brain[at]staff.uni-marburg.de, www.uni-marburg.de/fb04/ag-pp-ep/brain
gec

Gesa Coordes

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