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Thema der Woche | 27. Februar 2014

"Taugt nicht als Renditeobjekt"

Es war die erste Privatisierung eines Uni-Klinikums bundesweit / So bald wird kein weiteres Uni-Krankenhaus folgen – Foto: Kronenberg

Noch vor wenigen Jahren prognostizierten die Fachleute eine Privat­isierungs­welle für die Universitäts-Krankenhäuser in Deutschland. Inzwischen ist klar: Dieser Weg ist – zumindest für die nächsten Jahre – verbrannt. CDU und FDP in Schleswig-Holstein nahmen Abstand vom Verkauf ihres defizitären Universitätsklinikums. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind die Debatten um die Privatisierung der Uni-Krankenhäuser verstummt. Schließlich spricht sogar die Marburger CDU inzwischen vom "Fehler der Privatisierung".

Der Sprecher des privatisierten mittelhessischen Uni-Klinikums Frank Steibli möchte zu dem Wandel in der bundesweiten Diskussion lieber nichts sagen. Er verweist stattdessen auf die Haltung des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands, der die schlechte wirtschaftliche Lage der Hochschulmedizin insgesamt beklagt.

Ein "Leuchtturmprojekt" nannte es der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), als seine Regierung die mittelhessischen Uni-Kliniken Anfang 2006 für 112 Millionen Euro an die Rhön Klinikum AG verkaufte. Ein spektakulärer Schritt, weil bis dahin noch nie eine Universitätsklinik in Deutschland privatisiert worden war. Hauptgrund: Sonst hätte das defizitäre Gießener Klinikum schließen müssen, das durch einen massiven Investitionsstau in die roten Zahlen geraten war. Da sich das Gießener Krankenhaus allein nicht verkaufen ließ, trieb die konservative Landesregierung die Fusion mit Marburg voran. Dort wurden nämlich schwarze Zahlen geschrieben. Folgerichtig protestierten Beschäftigte, Gewerkschafter, Ärzte, Patienten und Politiker vor allem in Marburg, wo bis heute gegen die Privatisierung gekämpft wird.

Ein "Leuchtturmprojekt" nannte es der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch – Foto: Coordes

Vergeblich. Immerhin gelang es dem Betriebsrat, einen Kündigungsschutz für die 8000 Mitarbeiter bis Ende 2010 auszuhandeln: "Damit haben wir ein Ausbluten des Klinikums verhindert", sagt der Betriebsratsvorsitzende am Standort Gießen, Klaus Hanschur. Mit dem privaten Betreiber sei das Tempo verschärft worden, der Ton harscher und die Kommunikation schwieriger geworden. Zudem wechselte Rhön die Geschäftsführer des Uni-Klinikums 18-mal innerhalb von nur sieben Jahren.

Die häufigen Wechsel hingen auch damit zusammen, dass sich nur mühsam Gewinne aus den Großkrankenhäusern pressen ließen. Von 2007 bis 2011 schrieben die Uni-Kliniken zwar schwarze Zahlen. Zugleich investierte der Krankenhauskonzern jedoch 370 Millionen Euro. 2012 machte Rhön in Mittelhessen ein Minus von 8,7 Millionen Euro. Das liegt aber nicht nur am enormen Kostendruck im Gesundheitswesen. Die Beschäftigten sollen zudem für Zinsen und Abschreibungen bei den Investitionen aufkommen. "Das ist ein Faktor, den ein Uni-Klinikum nicht tragen kann", sagt Hanschur.

Zudem gibt es immer wieder Kritik an der Qualität der Krankenversorgung. Erst vor wenigen Tagen schilderte das Magazin Spiegel mehrere Fälle von Patienten, die Behandlungs- und Pflegemängel beklagen. Etwa den Fall einer nun an den Rollstuhl gefesselten 60-Jährigen, die jetzt gewaschen und gefüttert werden muss, weil – so ihr Anwalt – bei einer Katheder-Untersuchung eine Hirnarterie verletzt, dies aber wegen unzureichender Überwachung nicht rechtzeitig entdeckt worden sei. Dagegen versichert das Uni-Klinikum, dass die Mitarbeiter exzellente Arbeit machen. Der konkrete Fall werde von der Haftpflichtversicherung geprüft.

Dass die Patienten im privatisierten Uniklinikum schlechter als anderswo behandelt werden, hält aber auch Verdi-Gewerkschaftssekretärin Marita Kruckewitt, die im Aufsichtsrat des Klinikums sitzt, für fraglich: "Es passieren an allen Krankenhäusern traurige Vorfälle", sagt sie. Seriöse Vergleichszahlen gebe es jedoch nicht. Zudem habe sich die Situation in den Kliniken bundesweit verschlechtert.

Großdemonstration für das Marburger Uni-Klinikum 2012 – Foto: Coordes

Von "Pflegenotstand" spricht allerdings auch Betriebsratsvorsitzender Hanschur. In den vergangenen zwei Jahren seien 200 Vollzeitstellen abgebaut worden. In Marburg fehle das Personal vor allem auf den Intensivstationen, in Gießen seien die normalen Stationen betroffen. Vornehmlich bei den Ärzten gebe es einen Berg von Überstunden. Allein in den vergangenen fünf Monaten zählte Hanschur 100 Überlastungsanzeigen am Standort Gießen.Die dauernde Unruhe hat Folgen: "Die guten Leute laufen weg", weiß Hanschur. Das gilt vor allem für Ärzte und Pflegekräfte, die auch anderswo leicht einen Job finden.

Dagegen betont Klinik-Sprecher Frank Steibli, dass die mittelhessischen Uni-Krankenhäuser in der Pflege nicht schlechter als andere deutsche Uniklinika besetzt seien. Die Zahlen des Betriebsrat bestreitet er: Bei Ärzten und Pflegekräften gebe es sogar ein leichtes Plus.

Negative Schlagzeilen brachte indes auch das bereits 2011 fertig gestellte Partikeltherapiezentrum zur Behandlung von Krebskranken, das eigentlich schon längst in Betrieb gehen sollte. Findet das Klinikum jetzt keinen Weg, will das Land gegen Rhön klagen.

Dass es so bald keine weitere Privatisierung eines Uni-Krankenhauses geben wird, liegt allerdings nicht nur an den breiten Protesten: Eine Uni-Klinik privat zu betreiben, ist äußerst kompliziert. Juristisch stellte sich heraus, dass die Überleitung des Personals der mittelhessischen Uni-Kliniken verfassungswidrig war. Die Beschäftigten hätten bei der Privatisierung selbst entscheiden müssen, ob sie beim Land bleiben oder zu Rhön wechseln. Das wäre jedoch ein hohes Risiko für den Betreiber. Zudem müssen Studierende ausgebildet werden. Die Ärzte sind als Träger von Forschung und Lehre zum Teil noch beim Land, zum Teil bei Rhön beschäftigt. Da die Tätigkeiten für Forschung und Lehre oft schwer von denen für die Patienten abzugrenzen sind, steckt darin ein ständiges Streitthema. Betriebsrat Hanschur ist daher überzeugt: "Ein Uni-Klinikum taugt als Renditeobjekt überhaupt nicht."

Gesa Coordes

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