Die Wahrheit im Bild
Kameramann Ed Lachman über Bilder, die beeindrucken Foto: Privatarchiv Edward Lachman
Der Marburger Kamerapreis wird am Samstag an den amerikanischen Kameramann und Fotografen Edward Lachman verliehen, der u.a. mit Robert Altman, Wim Wenders, Steven Soderbergh und Mira Nair gearbeitet hat. Im Express-Interview verrät er, welches Potenzial Bilder in sich tragen, was er von modernen Fotoportalen hält und wovon er sich bis heute beeindrucken lässt.
EXPRESS: Die Filmtechnik hat sich von analog zu digital gewandelt. Das Internet bietet unzählige neue Möglichkeiten. Wie beurteilen Sie den rasanten technischen Fortschritt, den Einfluss neuer Medien auf den Film und die Fotografie?
Lachman: Wir befinden uns in einem permanenten technischen Wandel: neue Möglichkeiten der Darstellung eröffnen sich fast jeden Tag. Aber die Basis unserer Arbeit, nämlich dass Bilder Geschichten bedürfen, die sie zu erzählen versuchen, das wird sich niemals ändern. Menschen werden nicht von Animationen fasziniert, sondern von Erzählungen berührt. Ich habe in den 70er Jahren begonnen, mich mit Fotografie und Film zu beschäftigen. Das war eine Zeit, die mit der heutigen nur noch bedingt zu vergleichen ist. Als die ersten Handykameras auf den Markt kamen, experimentierte ich und hielt kleine Bewegungen mit ihnen fest. Schon damals war mir klar: Es spielt keine Rolle, mit welchen technischen Instrumenten wir arbeiten. Es geht nur darum, dass wir Geschichten erzählen, deren Platz von keiner Technologie jemals eingenommen werden kann.
EXPRESS: Heute ist der Zugang zum Film und zur Fotografie durch Video- und Fotoportale wie Youtube und Instagram sehr viel leichter als zu ihrer Studienzeit. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Lachman: Ich bin der Meinung, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, sich durch Bilder oder durch diejenige Form der Kommunikation, die ihm entspricht, auszudrücken. Der Wert der Fotografie wird keinesfalls durch das Aufkommen neuer Medien gemindert, vielmehr bin ich davon überzeugt, dass Instagram und Co. uns helfen, zu verstehen, welches große Potenzial die Bildsprache in sich trägt.
Dadurch, dass jeder in diesen Netzwerken sich der Kunst von Film und Fotografie bedienen kann, wird der bildlichen Kommunikation ein höherer Stellenwert zugesprochen. Ich habe selber meiner neunjährigen Tochter eine kleine Fotokamera gegeben, um zu verstehen, mit welchen Augen sie die Welt sieht. Durch das Hochladen von Abbildungen im Netz können wir weltweit Verbindungen zueinander schaffen und sprachliche Barrieren durch das reine Sehen überbrücken. Es handelt sich um eine universal gültige Form der Verständigung, die heute nicht mehr wegzudenken ist und als gesellschaftliches Sprachrohr fungiert.
EXPRESS: Also glauben Sie, dass alle Formen von szenischen Abbildungen Kommunikation bedeuten?
Lachman: Nein, ich unterscheide zwischen zwei Arten von modernen Medien. Auf der einen Seite gibt es solche, die Menschen miteinander verbinden, dazu zählen filmische Darstellungen, die zur Unterhaltung des Publikums produziert werden und somit Menschen ansprechen sollen. Das ist für mich mediale Kunst, die gesellschaftliche und emotionale Themen aufgreift und auf diese Weise kommuniziert. Videospiele dagegen verschließen uns vor der realen Welt und isolieren uns, weil keine Beschäftigung mit eigenen oder anderen Gedanken und Ideen stattfindet. Die Gesamtheit eines Bildes soll stets die Frage beantworten, was wir in uns vermissen. Wir befinden uns alle gemeinsam auf einer Art "Lebens-Expedition", wir bewegen uns in gegenseitiger Verantwortung. Daher sollten wir niemals aufhören, zu versuchen, einander zu verstehen. Und das ist eben nur möglich durch Kommunikation.
EXPRESS: Was muss eine Fotografie aufweisen, um Sie zu beeindrucken?
Lachman: Ein Bild beeindruckt mich dann, wenn die emotionale und politische Wahrheit einer Situation durch alle Parameter der Darstellung offengelegt wurde. Abbildungen sollen niemals nur schön oder dekorativ sein, sie sollen nicht nur Gutes darstellen, sondern eine Projektion von Menschlichkeit erreichen. Dies geschieht durch bewusste Entscheidungen in der Gestaltung. Genau wie Musik über einen bestimmten Rhythmus und eine bestimmte Geschwindigkeit verfügt, wählt ein Fotograf zwischen Intensität des Lichtes, Bewegung oder Nicht-Bewegung aus. Er muss Situationen in Form von kleinen Bildern wiedergeben, um letztlich eine komplexe Geschichte erzählen zu können.
EXPRESS: Worin besteht die Schwierigkeit in der Bildgestaltung?
Lachman: Ich vergleiche die Technik des Films immer gerne mit der Arbeit an Literatur. Beides ist Kunst, in deren Zentrum sich der Mensch und seine Geschichten befinden. Allerdings ist die Herausforderung ihrer jeweiligen Gestaltung vollkommen gegenteilig: Während es dem Autor leicht fällt, dass Innere seiner Protagonisten zu beschreiben, indem er sich der Worte bedient, wird er mit eben diesen Sätzen niemals die vollkommene Abbildung einer Szenerie vollbringen können. Im Film dagegen kann innerhalb weniger Sekunden gezeigt werden, wo sich ein Geschehen abspielt. Doch ist es hierbei viel schwieriger, den Geist und die Gedanken einer Person sichtbar werden zu lassen. Der Wert einer jeden Szene und eines jeden Fotos kann anhand einer bestimmten Frage überprüft werden: Habe ich den bestmöglichen Weg gewählt, die Gefühle der Charaktere in Bilder umzuwandeln und es somit vollbracht, die sichtbare Welt durch unsichtbare Werte anzureichern?
EXPRESS: Können Sie sich daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, das erste Mal eine Kamera zu halten?
Lachman: Mit meiner ersten Kamera konnte ich nur kurze Portraits von Leuten filmen. Von Anfang an mochten viele meine Art der Aufnahmeführung. Ich glaube, das liegt daran, dass ich mir immer wieder, bis heute, vorstelle, ein Maler zu sein, der durch die Linse seine eigene Welt erschaffen kann. Jedes Portrait, das ich zu der Zeit filmte, sollte vom Stil her den sozialen Hintergrund der Person abbilden und ihren Charakter offenlegen. Diese kleinen Aufnahmen ließen mich daran glauben, nicht nur einzelne Personen, sondern die ganze Welt, durch meine Linse neu entdecken zu können und dem Publikum durch meine Augen neu zu präsentieren.
In dem Moment, in dem du filmst, wird automatisch auch deine Persönlichkeit in das Bild hinein fließen. Du dokumentierst, wie wenn du Tagebuch schreibst. Bilder werden zu deinen eigenen Erlebnissen und Erlebnisse werden zu deinen eigenen persönlichen Momenten, die du mit deiner Kamera statt mit deinem Stift festhältst.
EXPRESS: Das bedeutet, dass der Kameramann bei jedem Genre die Rolle des persönlichen Erzählers einnimmt?
Lachman: Für mich sind alle Filme Dokumentationen, ob Fantasy oder real. Es sind Aufzeichnungen von Menschen. Von Menschen, die einander durch ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen unterscheiden. Die Vielfältigkeit von Filmen beruht für mich auf der Einzigartigkeit eines jeden Filmemachers. In dem Moment, in dem du filmst, stehst du in einer Beziehung zu dem Geschehen und zu deinen eigenen Erlebnissen. Du schaust nicht nur zu, du fühlst mit.
Es handelt sich also nicht um eine passive Aufzeichnung eines Geschehens, sondern jede Sekunde der Aufnahme beinhält einen Teil von deiner Art, die Welt zu sehen. Ein Kameramann dokumentiert somit keinesfalls nur schauspielerische Leistungen: Er formt durch seine eigenen Erfahrungen und seinen eigenen Blick die Ausgestaltung einer Szene.
EXPRESS: Woher kommt Ihr Interesse am Film?
Lachman: Zu Beginn studierte ich in Europa Kunstgeschichte, besonders der deutsche Expressionismus faszinierte mich. Durch Künstler wie Erich Heckel und Ernst-Ludwig-Kirchner lernte ich früh die deutsche Kultur zu schätzen, ein Kunstverständnis, an dem ich mich bis heute orientiere. Die subjektive Perspektive beeindruckte mich. Sie nutzten Kunst als politische Gestaltungsmittel, das wollte ich auch.
Später studierte ich Filmwissenschaften und versuchte, meine zuvor erworbenen Kenntnisse auf die Bildgestaltung zu übertragen. Besonders der Neue Deutsche Film hatte mein Interesse geweckt. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Filmstudios Low-Budget-Produktionen umsetzen: Jedes Bild wurde sehr bewusst gestaltet, weil es so wertvoll war. Es wurde viel experimentiert. Dadurch versuchte ich auch mit mehreren Techniken zu variieren.
Die Universität bildete für mich damals stets eine Art Fluchtburg: Hier musstest du niemals Angst davor haben, zu scheitern, sondern du hattest die Möglichkeit, dich selbst zu finden. Und durch den Kontakt zu unterschiedlichen Kunstrichtungen, entdeckte ich meine Leidenschaft.
Infos zum Programm der Marburger Kameragespräche am 6. und 7. März unter www.marburger-kamerapreis.de und marburgerfilmkunst.de
Interview: Kim-Sarah Marienfeld