Überfälliges Erinnern
"Dritte Welt" und Zweiter Weltkrieg Foto: Imperial War Museum, London
Das Themenjahr des Marburger Weltladens "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg das Marburger Projekt" rückt rechtzeitig zum 8. Mai, dem 70. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs, die Rolle und die Verluste der "Dritten Welt" bei der Befreiung der Welt vom Faschismus in den Blick. Der Express sprach mit dem Initiator Peter Donatus.
EXPRESS: Wie ist das Projekt entstanden?
Donatus: Das Marburger Projekt entstand aus einem Langzeitprojekt des Kölner Vereins Recherche International, für das ein AutorInnenkollektiv mehr als ein Jahrzehnt in über 30 Ländern recherchiert hat und seine Ergebnisse in dem Buch "Unsere Opfer zählen nicht Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" veröffentlichte. Marburger Projekt deshalb, weil viele Initiativen und Institutionen wie z.B. die Jüdische Gemeinde, die Islamische Gemeinde, der Afrikanische Studierendenverein und Strömungen e. V. zusammenarbeiten, um die Veranstaltungsreihe für die Region um Marburg und Mittelhessen zu verwirklichen.
EXPRESS: Was ist konkret geplant?
Donatus: Geplant sind Vorträge, eine Exkursion, eine Ausstellung sowie Unterrichtseinheiten, Schulprojekte, Konzerte und Radiosendungen mit denen wir Menschen erreichen wollen, die sich für dieses vergessene Kapitel der Geschichte über die Rolle und die Verluste der "Dritten Welt" bei der Befreiung Europas und der Welt von der Schreckensherrschaft der faschistischen Troika Deutschland, Italien und Japan interessieren. Denn: nach heutigem Forschungsstand fehlt diese zweite Hälfte in der Erinnerung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Wir wollen hier einen Beitrag leisten, diese Erinnerungslücke zu schließen.
Projektinitiator Peter Donatus Foto: Thomas Gebauer
EXPRESS: Anlass und Motivation für diese umfangreiche Arbeit?
Donatus: Am 8. Mai diesen Jahres wird in Deutschland der 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs gefeiert. Das Thema "Dritte Welt" wird dabei höchstwahrscheinlich keine Erwähnung finden. Die gängigen Angaben über den Zweiten Weltkrieg gelten oft für den Kontinent Europa. Durch den Zweiten Weltkrieg sind aber mehr Menschen in den Ländern der "Dritten Welt" umgekommen als in Deutschland, Italien und Japan zusammen. In China gab es mindestens 21 Millionen Kriegstote, ungefähr so viel wie in der Sowjetunion. Die Kriegstoten aus anderen Teilen Asiens sowie aus Afrika, Ozeanien und Südamerika kommen in den Statistiken nicht vor. Darunter waren viele Menschen, die mithalfen, Europa und die Welt vom Deutschen Faschismus zu befreien. In den NS-Konzentrationslagern wurden auch unzählige Menschen aus der "Dritten Welt" eingesperrt, gefoltert und ermordet. Im hiesigen Geschichtsdiskurs wurden Fakten wie diese über sechs Jahrzehnte hinweg weitgehend ignoriert oder auch bewusst verschwiegen.
EXPRESS: Wie war die "Dritte Welt" am Zweiten Weltkrieg beteiligt?
Donatus: Die Dimensionen der Beteiligung und der Verluste der "Dritten Welt" im Zweiten Weltkrieg sind enorm. Millionen meist zwangsrekrutierter Kolonialsoldaten aus Afrika, Asien und Ozeanien, unter ihnen viele Menschen unterschiedlicher Religionen, kämpften mit bei der Befreiung von den Faschisten. Sie wurden meistens als Kanonenfutter in den vordersten Kriegsfronten eingesetzt, ausgegrenzt, ausgetrickst, getötet, namenlos begraben und vergessen. Viele wussten nicht, wofür sie gekämpft haben. Bis jetzt werden die Siegermächte als Befreier genannt. Heute wissen wir, dass diese Befreiung ohne den Beitrag der "Dritten Welt" nicht möglich gewesen wäre. De Gaulles Befreiungsarmee des "Freien Frankreichs" beispielweise bestand bis zu 65% aus Afrikanern. Allein 2,5 Millionen Inder kämpften auf der Seite Großbritanniens.
EXPRESS: Welche Opfer in der Zivilbevölkerung der "Dritten Welt" während des Zweiten Weltkriegs dürfen nicht vergessen werden?
Donatus: Viele Regionen der "Dritten Welt" dienten als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet und vermint zurück. Im Gegensatz zu Deutschland gab es dort keinen Marshall-Plan für den Wiederaufbau. Die Kolonien mussten liefern. Nahrungsmittel für die kämpfenden Truppen, ZwangsarbeiterInnen für die gesamte Kriegswirtschaft und Rohstoffe für die Rüstungsproduktion. Oft hungerte deshalb die einheimische Bevölkerung. Woher nahmen die USA das Uran für den ersten Einsatz von Atomwaffen in Hiroschima und Nagasaki/Japan? Sie bekamen es aus einer Uranmine in Belgisch-Kongo. Die Kolonialisierten wurden z.B. gezwungen, für Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft Geld und Lebensmittel zu spenden.
EXPRESS: Wie wirkt der Zweite Weltkrieg in den Ländern der "Dritten Welt" nach?
Donatus: Die Folgen des Zweiten Weltkriegs sind in der "Dritten Welt" verheerend und bis in die Gegenwart präsent. Im Falle Afrikas gilt der Zweite Weltkrieg als bedeutendster historischer Einschnitt seit dem Sklavenhandel und der 1884/1885 in Berlin beschlossenen Zerstückelung des afrikanischen Kontinents.
EXPRESS: Wann beginnt das Marburger Projekt?
Donatus: Mit einem Vortrag des Kölner Journalisten Karl Rössel am 14. April um 18.00 Uhr im TTZ Marburg.
EXPRESS: Was fehlt noch zum Gelingen der Themenreihe?
Donatus: Wir brauchen noch mehr finanzielle und logistische Unterstützung, da unser Projekt sehr aufwendig und kostenintensiv ist. Auch ehrenamtliche und am Thema interessierte HelferInnen sind bei uns sehr willkommen.
Homepage: www.marburger-weltladen.de
https://www.facebook.com/www.projekt3www2.de
E-Mail: peter.donatus[at]marburger-weltladen.de
Spendenkonto: Kt. 17587501 BLZ 513 900 00 IBAN DE88 5139 0000 0017 5875 01 BIC VBMHDE5FXXX Verwendungszweck: 3www2 Bank: Volksbank Mittelhessen eG Kontoinhaber: Initiative Solidarische Welt e.V. (ISW)
Interview: Thomas Gebauer