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Thema der Woche | 14. April 2016

Mörderisch idyllisch

Krimiautorin Christina Bacher über die Niedertracht in Provinz und anderswo

Express: Sie haben lange in Marburg gelebt. Haben Sie herausgefunden, ob der Landkreis ein besonders mörderisches Pflaster ist?

Christina Bacher: Tatsächlich habe ich über zwölf Jahre in Marburg gelebt und mir wurde in der ganzen Zeit nicht mal ein Fahrrad geklaut. Aber dann fing ich an, mich mit dem Genre des Krimis zu beschäftigen. Ich las zunächst Kriminalromane, die im urbanen Milieu spielten: Paris, New York, Moskau. Ich begann Ratekrimis für den Hessischen Rundfunk zu schreiben und mischte beim Marburger Krimifestival mit. Doch wie naiv war ich, nicht einfach mal eine Tour durch den Landkreis zu unternehmen! Denn dort, und das hat mich die Arbeit an der Anthologie "SOKO Marburg-Biedenkopf" jetzt gelehrt, meuchelt es sich offenbar am allerbesten. Biedenkopf, Rauschenberg und Wenkbach heißen ab sofort die neuen Hotspots des (literarischen) Verbrechens.

Express: Sie haben selbst eine Geschichte für die Anthologie geschrieben. Was macht das Morden in einer Fachwerksidylle besonders?

Bacher: Mein Kurzkrimi "Blindlings in den Tod" spielt in der Deutschen Blindenstudienanstalt. Da bietet sich das barrierefreie Treppenhaus der Schule natürlich vortrefflich an, um darin eine Leiche zu platzieren, die sonst nicht da liegt. Es ist immer eine Herausforderung für eine Autorin oder einen Autor, einen Ort für eine Geschichte vorgegeben zu bekommen, wie es ja bei der Anthologie der Fall war. Die 26 Kurzkrimis in dem Buch zeigen aber, dass sich Schlösser, Synagogen, Kapellen oder Flüsse wie die Lahn ganz hervorragend als Setting für Krimis eignen. Und letztlich ist es hier ja wie überall: Es menschelt. Und wo es menschelt, gibt es auch Niedertracht – Fachwerk hin oder her.

Express: Wie dicht sind die Geschichten an der Realität? Beim Fall an der Marburger Sommerakademie kommen einem Namen aus der Stadtverwaltung bekannt vor, in der Geschichte "Gericht in Rauischholzhausen" spielt die Landrätin eine tragende Rolle ...

Bacher: Es war jedem Autor vollkommen frei gestellt, wie intensiv er sich vor dem Schreiben mit den Begebenheiten vor Ort vertraut machen und wie nah er sich fiktiv am realen Alltagsgeschehen abarbeiten mochte. Die "Paten" und ihre Autoren führten da eine ganz eigenständige Liaison – meine Aufgabe als Herausgeberin war es erst einmal nur, beide Seiten zusammen zu bringen und schließlich darauf zu achten, dass die Geschichten einen spannenden Plot haben und gut geschrieben sind. Und da haben es mir die SYNDIKATS-Kolleginnen und -Kollegen leicht gemacht, sind ja alles Profis.

Express: Tatorte sind unter anderem Marburg, Neustadt, Amöneburg, Bad Endbach, Rauschenberg, Rauischholzhausen oder Biedenkopf. Wie sind Sie auf die Orte gekommen?

Bacher: Als klar war, dass die Criminale in ihrem 30. Jahr den ganzen Landkreis bespielen würde, wurden nicht nur viele Vorgespräche geführt, sondern zeitgleich auch ein Aufruf in der Tageszeitung gestartet: Gesucht wurden "Paten" für die Anthologie und somit möglichst ungewöhnliche und spannende Handlungsorte. Einige haben sich daraufhin beworben, andere kamen auf anderen Wegen auf mich zu. Schließlich hatten wir eine gute Mischung aus Privatpersonen, Geschäftsleuten, Multiplikatoren oder Bürgermeistern aus Stadt und Land, die mit viel Begeisterung ihre persönlichen Autoren "gebrieft" und in die Besonderheiten des literarischen Tatorts eingewiesen haben.

Express: Was ist Ihr Lieblings-Mord-Ort im Buch?

Bacher: Die frisch renovierte, kleine Kapelle in Niedereisenhausen vielleicht? Klaus-Jürgen Frahm hat die Geschichte "Der Schatz des Lutheraners" dort platziert und diesen historischen Ort ganz neu bespielt. Oder vielleicht doch der Burgwald mit seinen sagenumwobenen Franzosenwiesen, wo Nadine Buranaseda ihre Moorleiche platziert hat... Hach, ich kann mich nicht wirklich entscheiden. 26 Geschichten, 26 tolle Tatorte.

Express: Krimis mit regionalem Bezug sind in Deutschland sehr beliebt. Warum? Ist der Spaß am Mord in der Provinz ein deutsches Phänomen?

Bacher: Ja und nein. Donna Leons Venedig-Krimis kann man ja auch in diese Schublade stecken, wenn man möchte. In der Tat floriert hierzulande der Markt mit den sogenannten Regionalkrimis nach wie vor und immer mehr Labels, Verlage und Autoren schießen aus dem Boden, die sich daran versuchen. Letztlich geht es aber in diesem Genre ja auch "nur" um Mord, Totschlag, Raub oder Entführung und da zählt für mich eher, ob das Buch gut geschrieben ist oder eben nicht. Und wenn es mir gefällt, dann lasse ich mich gerne auch mal auf eine Region ein, die ich vorher noch nicht kannte oder mir beim Lesen nochmal ganz neu erschließe.

Express: Gibt es eine Region, in der besonders gerne literarisch gemordet wird? Oder die Sie persönlich besonders schätzen?

Bacher: Ich bin ja großer Fan der "Wilsberg"-Krimis von Jürgen Kehrer, die in und um Münster spielen. Inzwischen hat es der Stoff ja sogar in die Samstagabendkrimi-Reihe im ZDF geschafft. Ich finde, dass Jürgen Kehrer in diesem Jahr vollkommen zu Recht den "Ehrenglauser" durch das SYNDIKAT verliehen bekommt, unter anderem ja auch deshalb, weil er das Genre des Regionalkrimis ganz neu definiert hat. Genauso gut wie Münster oder die viel beschriebene Eifel eignet sich aber auch der Landkreis Marburg-Biedenkopf als Krimiregion – wer weiß, was in Zukunft aus dieser Steilvorlage erwächst. Der Beweis, dass es funktioniert, ist jetzt jedenfalls erbracht.

Lesung
Christina Bacher liest aus "Blindlings in den Tod" am Do, 21. April, ab 19.00 Uhr in der Aula der blista, Am Schlag 2-12. Zeitgleich finden im gesamten Landkreis Lesungen aus der Anthologie "SOKO Marburg-Biedenkopf" statt, u.a. von Ralf Kramp und Wolfgang Polifka (Schloß Biedenkopf), Elke Pistor (Bibliothek Neustadt-Momberg), Tatjana Kruse und Christiane Geldmacher (Therme Bad Endbach), Anne Grießer (Rauschenberg), Kathrin Lange mit Richard Birkefeld und Roger M. Fiedler (KFZ), Kathrin Heinrichs (Wenkbach).
Morde im Dutzend
Krimifestival "Criminale" vom 17. bis 24. April in Mittelhessen
Die Jubiläumsausgabe von Europas größtem Krimifestival, der "Criminale", findet vom 17. bis zum 24. April in Marburg und weiteren Orten im Landkreis Marburg-Biedenkopf statt. Zu dem 30. Krimiautoren-Kongress und Festival, das vom "Syndikat", Europas größter Krimiautorenvereinigung veranstaltet wird, werden über 240 Schriftsteller erwartet.
Neben Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Seminaren bietet die 30. Criminale für Krimifans ein mörderisch spannendes Abendprogramm mit Lesungen bekannter Autoren. Außerdem werden während der Criminale die renommierten Friedrich-Glauser-Preise in den Sparten Roman, Debüt und Kurzkrimi verliehen und der beste deutschsprachigen Kinder- und Jugendkrimis prämiert.
Hier eine Auswahl von Programmhighlights:
Fluss-Leichen zwischen Allna und Lahn
Anthologie-Lesung
Dort, wo heute die "Zeiteninsel" – das archäologische Freilichtmuseum – entsteht, fanden schon nacheiszeitliche Jäger einen idealen Lagerplatz. Autor Jürgen Hövelmann und Sprecher Hans Josef Schöneberger erzählen von einem fiktiven Mord, der sich in einer Blutmondnacht um 500 v. Chr. ereignet hat. Auch in Daniel Twardowskis Kurzkrimi "Ein Bild von Motiv" fordert die Lahn ein Opfer – ausgerechnet ein Teilnehmer der Sommerakademie wird ermordet aufgefunden. Kommissarin Meinert ermittelt ...
Mit: Jürgen Hövelmann und Daniel Twardowski
Di, 19. April, 20.00 Uhr, Lomonossow-Keller, Markt 7
Benefizgala des Syndikats
Talk mit Lesung und Musik mit Bestsellerautorin Elisabeth Herrmann
Die gebürtige Marburger Autorin Elisabeth Herrmann liest für einen guten Zweck und stellt ihren aktuellen Krimi "Totengebet" vor. Außerdem werden die Landrätin Kirsten Fründt, die Marburger Stadträtin Kerstin Weinbach sowie der Leiter der Kriminalpolizei in Marburg, Bodo Koch, in einer launigen Talkrunde vom Autor und Ehrenglauser-Preisträger Jürgen Alberts ins Kreuzverhör genommen. Passend dazu liefert Prof. Martin Weyer mit seinen mordsmäßig spannenden Orgelklängen den musikalischen Rahmen.
Mi, 20. April, 19.30 Uhr, Lutherische Pfarrkirche
Frisches Blut!
Die Bestseller von morgen: Talkrunde mit Debütautoren
Jedes Jahr erscheinen unzählige Kriminalromane arrivierter Autoren und landen auf den Verkaufstheken der Buchhändler. Ist da noch Platz für neue Namen und Gesichter? Mit welchen Ideen Debütautorinnen und -autoren frisches Blut in die Krimiszene bringen, werden sie in einem strengen Verhör gestehen.
Mit: David Frogier de Ponlevoy, Joe Fischler, Nicole Neubauer und Theresa Prammer
Fr, 22. April, 14.30 Uhr, Welcome Hotel
Der Profiler – Auf der Spur des Bösen
Vortrag von Kriminalistik-Dozent Axel Petermann
Axel Petermann vertritt den interdisziplinären kriminalistischen Ansatz des Profilings, wonach der Schlüssel zur Klärung eines Tötungsdeliktes durch die Interpretation der Spuren am Tatort und an der Leiche sowie durch die Analyse der Opferpersönlichkeit zu finden ist. Seit 2000 ist Petermann ständiger Berater des Bremer "Tatort"-Teams. Seit vielen Jahren lehrt er als Dozent für Kriminalistik an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung.
Mit: Axel Petermann
Sa, 23. April, 14.30 Uhr, Welcome Hotel
Sex vor Gericht
Vortrag von TV-Anwalt Alexander Stevens
Einem breiten Publikum ist Alexander Stevens durch zahlreiche Fernsehauftritte als Anwalt in verschiedenen TV-Formaten wie "Richter Alexander Hold", "Im Namen der Gerechtigkeit" oder "Galileo" bekannt. In Marburg berichtet er von seinen spannendsten und skurrilsten Fällen: vom angesehenen Gynäkologen, der jahrelang den Intimbereich seiner Patientinnen fotografiert und die Bilder ins Internet stellt; aber auch vom schüchternen Sonderling, der unschuldig als pädophiler Triebtäter abgestempelt und verurteilt wird.
Sa, 23. April, 16.30 Uhr, Welcome Hotel
Weitere Infos:
Krimi-Verlosung
Tolle Tatorte zwischen Trachten und Tradition: Lustvoll und höchst unterhaltsam setzen 26 Krimiautoren in der Anthologie "SOKO Marburg-Biedenkopf" (ISBN 9783954412938) dem Landkreis Marburg-Biedenkopf mit ihren Kurzgeschichten ein literarisch-kriminelles Denkmal.
Wir verlosen auf unserer Facebook-Seite 5 von den Autoren signierte Ausgaben der zur Criminale beim KBV-Verlag erscheinenden Anthologie mit kriminellen Kurzgeschichten zwischen Lahn und Ohm.
Außerdem gibt es dort jeweils 2 x 2 Karten für die Talkrunde mit Debütautoren "Frisches Blut" am 22. April sowie den Vortrag "Sex vor Gericht" am 23. April zu gewinnen.

Interview: Georg Kronenberg

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