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Thema der Woche | 20. Oktober 2016

Wenn das Leben erschüttert wird

Bestsellerautorin Gisa Klönne über Inspiration, Gerechtigkeit und Wahrheit Foto: Irene Zandel

Express: Wie wird man eigentlich Autorin?

Gisa Klönne: Ich wollte immer schreiben, schon als Mädchen. Und dann kam ganz klassisch nach den Gedichten in der Pubertät und den Tagebüchern das Germanistik-Studium. Dann war ich lange Journalistin und habe dann beschlossen, dass ich irgendwann nicht mehr an den Traum glaube, wenn ich das nicht endlich mal versuche. Ich habe dann einen Deal mit mir gemacht: Ich habe gesagt, wenn es bis zum 40. Geburtstag nicht geklappt hat, dann begräbst du den Traum. Und drei Tage vor dem 40. war dann der erste Krimi fertig. Der erste Band der Serie.

Express: Das erste Buch war gleich ein Krimi, warum?

Gisa Klönne: Ich habe erst zwei andere Romane angefangen und die dann selbstkritisch in die Tonne geworfen. Ich habe selbst schon immer gerne Krimis gelesen und finde das Genre sehr spannend, denn man ist ja gleich immer bei den essentiellen Themen: Leben und Tod. In meinen Krimis geht es immer um die Sinnfrage, was kommt danach und wie lebt man weiter. Das gibt einem als Autorin auch so ein gewisses Gerüst, man muss den Mord ja aufklären. Dann hat man gleich seinen Plan.

Express: Welche Krimis haben Sie selber gelesen?

Gisa Klönne: Ich komme sehr aus der anglo-amerikanischen Tradition, ich habe im Hauptfach Anglistik studiert und habe mich damals total begeistert für Elisabeth George und Sue Grafton. Ich wollte es psychologisch haben. Ich wollte meine gesamte Serie mit einer Kommissarin anlegen, die sich immer weiter entwickelt und das die Fälle immer etwas mit ihr machen. Und da war tat­sächlich die Inspiration da, sehr in die Seelen meiner Protagonisten einzu­tauchen.

Express: "Die Toten die dich suchen" ist ja jetzt der sechste Band von Judith Krieger. Wie ist das, eine Figur über Jahre hinweg weiter zu entwickeln?

Gisa Klönne: Es ist natürlich sehr spannend. Ich habe sie schon sehr komplex mit ein paar Traumata angelegt. Gleich im ersten Band war sie schon völlig traumatisiert, weil ihr bester Freund im Dienst erschossen wurde, als er sie vertreten hat. Und so geht das immer weiter. Jemand hat mal zu mir gesagt, dass es Judith doch viel besser geht, wenn du nicht über sie schreibst. Da habe ich gesagt das stimmt. Aber andererseits ist ein Krimi nun mal nicht immer schön. Ich finde es sehr spannend zu sehen, wie sie sich entwickelt. Sie muss am Ende des Romans immer anders herausgehen, als sie rein gegangen ist. Sodass es nicht ein "reset" ist und dann fängt man beim nächsten Band wieder damit an, dass sie ganz unbeschwert hineingeht, sondern sie wächst quasi mit den Aufgaben.

Express: Wie entwickeln Sie ihre Figuren?

Gisa Klönne: Man kriegt im Laufe des Lebens Übung. Über meine Hauptfigur Judith Krieger habe ich natürlich sehr lange nachgedacht. Bevor ich "Die Toten, die dich suchen" geschrieben habe, habe ich zwei Familienromane geschrieben, weil ich eine Pause brauchte nach fünf Krimis. Ich wollte einfach mal mit anderen Figuren auf eine ganz andere Art eine Geschichte erzählen. Und dann kam ich jetzt zurück zum Krimi und überlegte, was ist passiert? Und dann habe ich mich tatsächlich mit der Polizei beraten und habe gesagt: "Machen sie doch mal eine Karriereberatung" Das hat sie bisher gemacht in ihrer Karriere, was würde sie denn dann tun. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Jetzt habe ich sie versetzt. Sie hat eine Weiterbildung gemacht, jetzt ist sie Führungskraft geworden und leitet die Vermisstenfahndung. Sie ist also gar nicht mehr bei der Mordkommission. Dadurch hat sie wieder neue Kollegen. Und manche kommen ganz leicht zu mir, zum Beispiel hat sie eine junge, ungestüme Kollegin Dinah Makowski, die war sofort da. Und über andere denke ich wirklich lange nach, ich kann gar nicht erklären, warum das mal so ist und mal so.

Express: Die beiden Romane dazwischen waren Familienromane, worin unterscheidet sich hier der Prozess zum Krimi?

Gisa Klönne: Eigentlich gar nicht so sehr. Ich habe auch sehr viele Leser die sagen, ich lese eigentlich keine Krimis, nur ihre und die sagen, dass sie auch meine Familienromane lesen. So eine Familiengeschichte, bei der man in der Vergangenheit forscht ist ja auch eine Art Ermittlung. Nur das man noch mehr die Nuancen hat, man ist nicht daran gebunden noch einen Mord aufzuklären. Und ganz wichtig: Man hat auch keine Polizeiarbeit, die man beschreiben muss.

Express: Steht bereits am Anfang fest, wie viele Leichen es gibt?

Gisa Klönne: Die genaue Anzahl nicht, aber ich weiß wer das Hauptopfer ist. Bei mir wird nicht so viel gemordet. Ich mag nicht diese Metzel-Krimis. In "Die Toten die dich suchen" geht es um Kolumbien, da gibt es natürlich ein paar mehr Tote. Ganz genau stand das aber nicht fest.

Express: Und Sie waren auch selber in Kolumbien? Wie war es?

Gisa Klönne: Das war unglaublich spannend und die Inspiration für diesen Fall kam in Kolumbien. Ich bin zu einem Krimifestival eingeladen worden in Medellín, weil einige meiner Krimis ins Spanische übersetzt worden sind. Und Medellín war die Drogenhauptstadt, in der Pablo Escobar sein Unwesen trieb. Erst mal dachte ich, das werde ich nicht überleben, da werde ich entführt oder erschossen. Aber Medellín hat sich verändert und dann dachte ich, wenn ich schon da bin, dann will ich wirklich was verstehen, über diesen Jahrzehnte langen Bürgerkrieg der dort herrschte und immer noch herrscht. Ich bin mit einigen "Guides" und viel Recherche sehr, sehr tief eingestiegen in die Geschichte: warum es so schwer ist den Konflikt zu beenden, was für Folgen sich daraus ergeben. Das spielt dann auch eine große Rolle im Roman. Und ist gerade ganz aktuell mit dem Friedensnobelpreis für Santos, wo der Frieden, mühsam ausgehandelt, schon wieder auf der Kippe steht. Nachdem ich da war, kann ich das verstehen. In meinem Buch geht deshalb auch darum, wie man so einen Konflikt beilegt. Irgendwann ist es egal, wer angefangen hat und es geht nur noch darum, dass keiner mehr gewinnen kann. Und viele Kolumbianer wissen gar nicht mehr, wer ihnen das alles angetan hat. Sie sind vertrieben worden, haben teilweise Familienmitglieder und ihre Heimat verloren und wissen aber gar nicht, wer verantwortlich ist. Und es geht immer weiter mit dem Morden. Die Kolumbianer haben mich immer gefragt: Was ist wichtiger? Gerechtigkeit oder Wahrheit? Darüber haben wir immer lange philosophiert, denn was ist wichtiger? Kann man das trennen?Und dieses Philosophische habe ich dann in den Roman mit rein genommen.

Express: Heißt das, Kolumbien bleibt auch weiterhin ein Thema für Sie?

Gisa Klönne: Privat auf jeden Fall! Ob ich nochmal einen Roman darüber schreibe, weiß ich nicht. Der Roman spielt ja in Deutschland und nur das Opfer ist Kolumbianer. Judith Krieger steht vor der Frage: Gold? Drogen? Um was geht es eigentlich? Oder doch um irgendeine alte Geschichte, die bis in den Bürgerkrieg hineinführt und wo es um Rache und Sühne geht. Das muss sie aufklären. Ich könnte da noch viele Bücher schreiben, ich weiß noch nicht, ob nochmal direkt Kolumbien Thema wird oder nicht. Es ist auf jeden Fall ein wunderbares Land und sehr, sehr spannend, voller Geschichten.

Express: Und welches Genre reizt Sie in Zukunft noch?

Gisa Klönne: Also, diese Familiengeschichten oder vielleicht kann man eher sagen die Entwicklungsgeschichten. Ich mag es immer gerne, wenn ich Geschichten lese in denen sich jemand verändern muss und mit etwas konfrontiert wird das sein Leben erschüttert und am Ende dann wirklich eine wichtige Entscheidung getroffen hat, irgendwas neu aufgestellt hat, irgendwas verstanden hat.

Express: Wie kann man sich die Krimiautorenvereinigung "Syndikat" vorstellen?

Gisa Klönne: Wie eine einzige große, dunkle Familie. (lacht) Die Aufnahme­bedingung ist, dass man mindestens einen Kriminalroman veröffentlicht hat und zwei in einem Verlag der einen dafür bezahlt hat, nicht umgekehrt. Wir sind inzwischen über 700 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Man ist vernetzt im Internet und einmal im Jahr gibt es die wichtige Kriminale, die war jetzt im Frühling ja hier in Marburg. Und das ist dann wirklich wie ein Familientreffen. Man trifft sich für vier bis fünf Tage, es gibt Fachver­anstaltungen, unsere Preise werden verliehen-die Friedrich-Glauser-Preise- es gibt ein paar Lesungen und vor allem steht man die ganze Nacht an der Bar und erzählt sich den ganzen Branchenquatsch-und Tratsch, fachsimpelt und netz­werkt. Das ist einfach das Highlight des Jahres der Krimi-Liga. Und man hat viel Spaß und hinterher ist man sehr müde und verkatert (lacht).

Express: Und was machen sie neben dem Krimi schreiben noch so?

Gisa Klönne: Manchmal unterrichte ich angehende Autoren oder begleite sie. Ich singe außerdem in einer Band, der weltweit einzigen Band die ausschließlich aus Krimiautoren besteht. Wir sind acht und wir haben ein Repertoire bei dem wir Rocksongs kriminell interpretieren, zum Beispiel "Knocking on Heaven's Door" oder "Killing you softly". Dazu haben wir wiederum Kurzgeschichten geschrieben, sodass es eine Mischung ist aus Lesung und Songs. Außerdem machen ich Yoga und gehe joggen. Beides gut für den Rücken und beim Joggen kommen mir die besten Inspirationen.

Express: Wenn Sie auch unterrichten, was wäre denn dann ihr Tipp für angehende Autoren?

Gisa Klönne: Viel lesen, viel schreiben, nicht aufgeben. Ich glaube das es sehr wichtig ist, dass man selbstkritisch ist und das man sich gute Lehrmeister sucht und es auch ein bisschen als ein Handwerk begreift. Aber dann gehört natürlich auch Mut und Talent dazu die eigene Stimme auszudrücken. Und das schafft man nur, wenn man viel liest und übt und sich nicht entmutigen lässt. Wirklich an sich glauben und weiter festhalten und sich nicht so leicht entmutigen lassen, das wäre so mein wichtigster Tipp.

Gisa Klönne
... wurde 1964 geboren. Als freie Schriftstellerin lebt sie in Köln. Sie studierte Germanistik, Anglistik, Politik und Theater-, Film-und Fernsehwissenschaften. Sie arbeitete als Journalistin bevor sie 2005 ihren ersten Roman, den Judith Krieger-Fall, veröffentlichte. 2009 gewann sie den Friedrich-Glauser-Preis. Sie ist Mitglied im Krimiautoren-Netzwerk "Das Syndikat". Mit ihrem autobiographischen Familienroman "Das Lied der Starre nach dem Frost" stand sie wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.

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