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Thema der Woche | 3. November 2016

Überleben

Reinhold Messner über Grenzen, Ängste, Populismus und Verantwortung

Express: Wann hatten Sie zuletzt Angst, Herr Messner?

Reinhold Messner: Angst hatte ich längere Zeit nicht mehr, weil ich so schwere Sachen nicht mehr mache. Also vor den ganz schwierigen Klettereien und den großen Expeditionen, gab es im Vorfeld schon noch Ängste, weil ich ja wusste, was passieren könnte. Aber ganz wichtig ist, dass diese Ängste im Vorfeld da sind und weniger, wenn ich aktiv draußen bin. Da kommt höchstens mal ein Schreck vor, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Und diese typischen Alltagsängste werden von mir ferngehalten, weil all die Bürokratie und all die Sachen die ich nicht gerne machen, andere für mich erledigen.
Ich darf sozusagen die kreative Seite beackern, ich habe keine 40-Stunden-Woche, ich bin der verwöhnteste Mensch den man sich vorstellen kann.

Express: Und sie würden schon sagen, dass Ängste auch wichtig für ihre Expeditionen waren?

Reinhold Messner: Ja! Die Angst ist mehr oder weniger der Zaun, der mir sagt bis hier her und nicht weiter. Aber ich habe im Laufe des Lebens die Ängste immer weiter reduziert und somit den Zaun immer weiter hinaus geschoben, durch die Erfahrungen und Expeditionen.

Express: Wie sind sie damals mit ihren Ängsten umgegangen?

Reinhold Messner: Ich habe mich gefragt, warum ich die Sorgen und Ängste habe und dieses Nicht-Können ausgefüllt mit Können. Ich habe einfach gelernt, jedes Detail soweit zu verinnerlichen, dass ich vertrauen und sagen konnte "Das kann ich alles machen!", also versuche ich es. Und je älter ich wurde, umso weniger Druck habe ich mir selber gemacht, also habe ich mehr spielerisch meine Ziele erreicht.
Ich bin auch häufig gescheitert. Bei jeder großen Expedition, bei jeder großen Tour habe ich gelernt, auch zurückzustecken, habe mir gesagt: "Das ist zu gefährlich, das kann ich nicht, ich gehe wieder zurück" und habe dann weiter gelernt, und dann ist es beim dritten oder vierten Versuch meistens gelungen.

Express: Angst ist ja auch in ihren Vorträgen ein großes Thema. Wie wollen Sie ihren Zuhörern vermitteln, wie man Angst vermeiden oder wie man damit umgehen kann?

Reinhold Messner: Das ist nicht mein Ziel. Ich gehe nicht mit dem Vorsatz auf die Bühne, als sei ich der Überbringer des Glücks. Ich erzähle Geschichten. Meine Fähigkeit oder meine Aufgabe sehe ich darin, ein Storyteller zu sein. Und nachdem ich die Geschichten aus einer Welt erzähle, die die meisten Leute nicht kennen können, weil sie nicht die Mittel oder die Zeit haben, bin ich nur der Stellvertreter dafür. Die Leute tun alle etwas sinnvolles, ich bin der Eroberer des Unnützen, aber ich kann ihnen Erfahrungen aus einer Welt mitteilen, und zwar sehr authentisch mitteilen, die sie nie machen können. Und das können sie selber umsetzen, in ihr eigenes Leben oder auch nicht, aber ich gehe nicht als Prediger auf die Bühne, weil sonst müsste ich ja die Wahrheit kennen. Ich kenne die Wahrheit nicht. Ich kenne nur die subjektiven Erfahrungen. Und ich denke ich komme als Redner so gut an - das klingt jetzt nach Eigenlob, aber sonst würde ich die Vorträge ja nicht machen -, weil die Menschen merken: "Der hat das wirklich erlebt und der hat kein Problem damit, über seine Ängste, Verzweiflungen und über seine Hochgefühle zu reden." Ich spreche in diesem Vortrag über das Leben, also nicht über das Überleben, es geht über das Leben im Allgemeinen. Aber mit den Erfahrungen aus meiner und nicht aus der urbanen Welt.

Express: Wenn wir über das Leben reden, wie ist das denn mit der Angst vor dem Tod?

Reinhold Messner: Ja das ist auch Thema in meinem Vortrag. Also ich freue mich darauf. Ich freue mich nicht auf das Sterben. Sterben ist für uns alle eine Belastung, weil wir Angst haben, dass wir krank werden oder dement. Am Ende ist das immer ein Massaker, ich sehe ja Freunde die sterben, ich habe ein paar dementen Freunde, die es sehr schwer haben, vor allem die Angehörigen. Aber meine Vision ist, dass das die absolute Auflösung ist, die absolute Stille, Unendlichkeit, Ruhe, Entschleunigung. Das ist doch das Schönste, was man erreichen kann.

Express: Also glauben Sie, dass da noch etwas kommt nach dem Tod?

Reinhold Messner: Nein, das lasse ich offen. Wir Menschen haben keine Sinne und kein Bewusstsein, um das, was jenseits unseres Lebens ist, zu begreifen. Ich lasse auch die Frage nach Gott offen. Aber ich sage, alle Götter die wir kennen, sind vom Menschen erfundene Götter. Im Hinduismus gibt es tausende Götter, die sind alle vom Menschen erdacht worden. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass es nicht eine ordnende Kraft gibt, die über allem steht. Aber ich fülle das nicht weiter aus. In meinen Vorträgen geht es auch darum, aber vor dem Jenseits bleibe ich mit Respekt stehen, da fehlt mir einfach die Möglichkeit.

Express: Gehen Sie heute noch gerne über Grenzen?

Reinhold Messner: Nein. Ich gehe heute nur noch über Grenzen ganz anderer Natur. Sie müssen wissen, dass ich ein Leben führe, bei dem ich immer wieder alle zehn Jahre umsteige, von einem Tun ins andere. Als junger Bub war ich Kletterer, das war meine erste Leidenschaft. Ich war ein sehr guter Kletterer und bin dann umgestiegen zum Höhenbergsteigen, eine ganz andere Tätigkeit, wenn auch noch Bergsteigen. Dann wurde ich ein Grenzgänger im Horizontalen, Südpol, Nordpol, Grönland. Eine völlig andere Welt. Dann habe ich angefangen zu forschen, dann war ich fünf Jahre lang im EU-Parlament als Politiker, wieder eine völlig andere Welt.
Jetzt habe ich fünfzehn Jahre lang ein Museum aufgebaut und bin ein paar Mal an der Pleite vorbei geschrammt, weil das ein sehr kostspieliges Unternehmen war und sehr schwierig, weil ich auch Widerstand hatte. Und vor einigen Jahren habe ich angefangen, Filme zu machen -, das ist mein siebtes Leben und ich werde jetzt ein paar Filme auf die Beine stellen, die handeln natürlich von meinem Metier, also von Menschen, die sich in der Wildnis tummeln.

Express: Sie sind politisch interessiert und aktiv. Angst ist aktuell ein großes Thema. Die AfD nutzt die Ängste oftmals aus. Wie macht man Leuten klar, dass diese Angst häufig unbegründet ist?

Reinhold Messner: Die Angst die im Moment da ist, ist unbegründet. Die Angst bei einem Autounfall zu Tode zu kommen, ist geringer als die Angst vor Terroranschlägen, dabei ist beim Autounfall das Risiko viel größer. Aber die Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Man glaubte früher, in unseren Städten kann das alles nicht passieren.
Die Gefahr, seine Arbeit zu verlieren, weil Ausländer ins Land kommen ist minimal, aber die Angst ist sehr groß, weil sich die Menschen gegenseitig anstacheln, solche Ängste zu entwickeln. Populismus ist gerade sehr erfolgreich. Die Leute sind verunsichert und springen auf. In die bürgerliche Angst in der Summe ist in ein derartiges Chaos gekommen, dass die Menschen das Gefühl haben, die Welt ist dabei unterzugehen.
Die Welt war noch nie so sicher. Den Deutschen und einem Großteil der Bevölkerung geht es so gut wie noch nie. Trotzdem haben junge Menschen Angst, dass sie keine Rente mehr bekommen.
Ich habe zum Glück keine politische Verantwortung mehr. Ich diskutiere mit, ich bin ein politisch interessierter Mensch, ich habe ein Wahlrecht, viel mehr habe ich nicht. Aber ich beobachte diese Welt und sage ab und zu Danke zu meiner frühen Geburt. Ich habe womöglich die schönste Zeit in Mitteleuropa miterlebt, nach dem zweiten Weltkrieg. Da war immer ein bisschen mehr Hoffnung da, es ging uns ein bisschen besser. Die Möglichkeiten sind gewachsen. Jetzt sind wir in einer Situation, in der alles zu schrumpfen scheint, aber das scheint nur so. Ich glaube, dass die Mutigen, diejenigen die das Leben jetzt in die Hand nehmen und in die Waagschale werfen, die Erfolgreichen werden.

Express: Meine letzte Frage: Wie stehen Sie zu Flüchtlingen?

Reinhold Messner: Ich habe eine kleine Stiftung auf die Beine gestellt, vor fünfzehn Jahren, um damit Menschen zu helfen, die in den entlegensten Dörfern im Himalaja, im Hindukush und andern Hochgebirgen leben, damit sie in ihrer Heimat leben können. Ich habe Schulen und Krankenstationen gebaut.
Ich bin der Meinung, wir haben eine große Verantwortung, etwas für die Menschen zu tun die unter dem Kolonialismus gelitten haben und die heute unter den globalen Klimaveränderungen leiden. Wir haben die Verpflichtung, mit unseren Menschenrechtsbestimmungen den wirklich Verfolgten, den Menschen, die nicht mehr zurechtkommen, Hilfe zu leisten.
Dass dann so viele gekommen sind, eine Zeit lang, ist eine Tatsache. Dass Frau Merkel für kurze Zeit die Grenze aufgemacht hat, nach dieser brutalen Art und Weise, wie man in Ungarn die Flüchtlinge festgehalten hat, dass wird ihr früher oder später hoffentlich den Friedensnobelpreis einbringen.

Reinhold Messner
Reinhold Messner meisterte die höchsten Berge der Erde und verschob damit die Grenze des Machbaren. Er wurde einer der berühmtesten Abenteurer unserer Zeit. Bei seinen Expeditionen hat er gelernt, wie Überleben funktioniert.
Wort- und bildgewaltig hält Messner am 19. November um 20 Uhr im Marburger Audimax bei der Planetview-Lichtbildschau Rückschau auf sieben Jahrzehnte: Ungeschminkt erzählt er von den Höhen und Tiefen seines Lebens, über Leidenschaft und Verantwortung.

Interview: Katharina Zimmermann

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