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Thema der Woche | 26. Juli 2018

Der lange Atem des Völkerrechts

Juraprofessor Safferling über Menschenrechtsverletzungen, Straf­verfolgung und Politik – Foto: Friedrich-Alexander-Universität

Mit ungewöhnlichen Ausbildungsprojekten und der "Akte Rosenburg" ist Jura­professor Christoph Safferling bekannt geworden. Acht Jahre lang lehrte er in Marburg. Inzwischen ist er an die Geburtsstätte des Völkerrechts nach Nürn­berg gewechselt.

Wie Recht in einem Unrechtsstaat funktioniert, ist für den Safferling ein wich­tiger Teil von Forschung und Lehre: "Ich muss die Gefahren zeigen, die der Juristenjob mit sich bringt und zur Wachsamkeit erziehen", sagt der 47-Jährige.

Besonders deutlich wurde ihm dies durch die in Marburg gestartete Unter­suchung zur NS-Vergangenheit des Justizministeriums, die er unter dem Titel "Die Akte Rosenburg" gemeinsam mit dem Historiker Manfred Görtemaker vorlegte.Vier Jahre hat er daran gearbeitet, 190 Personalakten gewälzt. Die Studie zeigt, dass mehr als drei Viertel der leitenden Beamten ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. "Hitlers schlimmste Blutjuristen durften darauf vertrauen, mit vergleichsweise milden Blicken gesehen zu werden", sagt Safferling. Viele Juristen konnten trotz schwerster Belastung weiter Karriere machen.

Die erschreckende Erkenntnis: Die meisten Verfahren waren juristisch sauber. Franz Schlegelberger zum Beispiel goss die Diskriminierung von Juden und Polen in Paragrafen und ersann mit aller rechtstechnischen Raffinesse einen Weg, auch die "Vernichtung lebensunwerten Lebens", also die Massenmorde an Menschen mit Behinderungen juristisch reinzuwaschen. Auch deshalb unter­stützt Safferling eine Initiative, nach der Justizunrecht Teil der Juristen­aus­bildung werden soll: "Der Sinn für Menschlichkeit darf nicht ausgeschaltet werden", sagt er.

Nachweisen ließ sich in seiner Studie, dass die Gesetzgebung der National­sozialisten in der Nachkriegszeit fortwirkte – nicht nur bei der Verfolgung von NS-Tätern, sondern auch bei der Bestrafung und Entschädigung von Deser­teuren, Sinti, Roma und Homosexuellen. Und das Ministerium spielte eine zentrale Rolle, als 1968 Zehntausende von Strafverfahren gegen NS-Täter eingestellt wurden. In einer Folgestudie untersucht Safferling jetzt die Ver­gangenheit der Bundes­an­walt­schaft.

Mit dem Völkerrecht vertritt der 47-Jährige ein relativ junges Forschungs­gebiet. Nach Stationen in München, London, Hannover und Erlangen-Nürnberg ging er2007 als Professor für Straf- und Völkerrecht an die Marburger Philipps-Universität, wo er gemeinsam mit Studierenden ein Ausbildungsprojekt für Prozessbeobachter startete. Dabei geht es um Verfahren, die deutsche Jura­studenten normalerweise kaum miterleben: Akribisch verfolgten sie etwa das erste deutsche Gerichtsverfahren um den Völkermord in Ruanda. Angeklagt war der ehemalige Bürgermeister Onesphore R., der als Asylbewerber nach Deutschland gekommen war. Wegen seiner Beteiligung am sogenannten Kirchenmassaker wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Mindestens 400 Tutsi waren bei dem Blutbad mit Macheten und Äxten getötet worden. Weitere Prozessbeobachter-Teams begleiteten den Prozess gegen den Flughafen-Attentäter Arid U. Andere reisten zum Roten Khmer-Tribunal nach Kambod­scha.

Seit 2015 lehrt Safferling an die Friedrich-Alexander Universität in Erlangen-Nürnberg, wo er den "Moot Court" betreut. Dabei handelt es sich um ein Planspiel, für das er realistische Fälle erfindet, die so ähnlich tatsächlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen könnten: Im vergangenen Jahr verhandelten rund 40 Teams über Menschenrechtsverletzungen, die im Kampf gegen ein Drogenkartell im fiktiven Land Naboo auf beiden Seiten begangen wurden. Die Studierenden übernahmen die Rollen von Anklägern und Verteidigern – allerdings vor hochkarätigen Experten des Völkerstrafrechts, etwa Richtern, die sonst an Internationalen Strafgerichtshöfen arbeiten. In Nürnberg urteilten die Richter über die Sachkenntnis, die Präzedenzfälle und die Qualität der Argumente der Studierenden.

Der Besondere dabei: Plädiert wird in dem Saal des Nürnberger Justizpalastes, in dem einst Hermann Göring saß. Zudem kommen die zum Teil gesponserten Teams auch aus Ländern wie Brasilien, Ruanda und Kenia. Ebenso wie in Marburg arbeiten viele der Studierenden später für die internationale Straf­justiz. Safferling, selbst eines Preises für gute Lehre, liegt das Aus­bildungs­pro­jekt am Herzen: "Das ist auch ein Fest der Versöhnung."

Er ist zudem schon lange ein gefragter Gesprächspartner für die Medien. Nach der Verhaftung von Carles Puigdemont kritisierte er "die Kriminalisierung einer politischen Meinung". Die deutsche Justiz habe gute Gründe, den abgesetzten katalanischen Präsidenten nicht an Spanien auszuliefern. Safferling äußerte sich zur Erosion des Völkerrechts in Syrien und zur Situation der Internationalen Strafgerichtshofs. Das Tribunal ist nach seiner Überzeugung immer noch in der Selbstfindungsphase und krankt an strukturellen Problemen, weil große Nationen wie die USA, Russland, China und Indien nicht dabei sind.

Der Völkerrechtsexperte weiß aber auch, wie schwer es ist, Menschen­rechts­ver­brechen zu ahnden. Das Hauptproblem: Neben den unterschiedlichen Rechtssystemen spielt die Politik auf der internationalen Bühne eine große Rolle. Strafverfolgung ist daher vom guten Willen der betroffenen Staaten abhängig. "Für das Völkerstrafrecht braucht man einen unglaublich langen Atem", sagt Safferling. Und er erinnert an den Fall des SS-Mannes Oskar Gröning. Erst 2015 – im Alter von 94 Jahren – wurde der "Buchhalter von Auschwitz" vor Gericht gestellt.

Gesa Coordes

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