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Thema der Woche | 14. Februar 2019

Wanderer zwischen den Welten

Viele haben Grausames erlebt: Trauma-Therapie für Flüchtlinge
Foto: Rolf K. Wegst

Sie sind durch Krieg, Flucht und Verfolgung traumatisiert. Auch der Verlust ihrer Heimat ist oft kaum von ihren psychischen Leiden zu trennen. Besonders viele Migranten haben die Psychiatrischen Kliniken von Vitos in Gießen und Marburg. Sie sind darauf eingestellt.

"Ahlan wa-sahlan", sagt Diaa Rashid zur Begrüßung. "Herzlich willkommen", heißt das auf Arabisch. Sein Patient Adnan Acar (Name geändert) hat neuen Kummer. Seine Mutter hatte einen Schlaganfall und leidet unter schweren Gedächtnisstörungen. Doch die alte Frau lebt fern in Syrien. Acar, der in seiner Heimat einer Oppositions-Partei angehörte, hat sie seit mehr als 15 Jahren nicht mehr gesehen und kann sie nicht besuchen. Er kann sie auch nicht nach Deutschland holen, die Familien­zusammen­führung klappt nicht, obwohl seine Familie für die Kosten aufkommen würde. Jetzt schläft er kaum. Eine Träne rollt ihm über die Wange, während er das Taschentuch in seinen Händen zu­sam­men­knüllt.

Neuropsychiater Diaa Rashid von der psychiatrischen Ambulanz der Vitos Klinik in Gießen kennt Acar schon seit zwei Jahren. Nach schweren Band­scheiben­problemen konnte der 56-jährige Syrer seiner Arbeit in der Küche eines Schnellrestaurants nicht mehr nachgehen und wurde depressiv. Er gehört zu den Flüchtlingen und Gastarbeitern, mit denen Rashid während der Be­hand­lung arabisch spricht, weil sie so ihre Gefühle und Gedanken besser vermitteln können.

Acar ist bereits vor 19 Jahren aus Syrien geflüchtet, wo er eine eigene Werk­statt hatte. Sieben Jahre dauerte sein Asylverfahren. In dieser Zeit lebte er mit Frau und drei kleinen Kindern in nur einem Zimmer in einem Asyl­be­wer­ber­heim. Jetzt würde er sehr gern wieder arbeiten. "Wer zuhause gut etabliert war, hat es besonders schwer", sagt Rashid. Trotzdem ist er in Acars Fall zu­ver­sicht­lich: "Er ist stabil und hat gute Ressourcen", sagt der Arzt. Wenn sich sein Deutsch verbessere, könnte er eine leichtere Arbeit annehmen – etwa als Pförtner.

Neben Diaa Rashid gibt es noch einen weiteren Arzt in der Gießener Ambulanz, der Patientengespräche in der Muttersprache der Kranken führt. Sein Kollege Abuzer Dogan übernimmt die türkischen Patienten. Beide Angebote sind völlig überlaufen. Auch Marburger Patienten nutzen sie. Im Rashids Arztzimmer hängt eine Strandlandschaft von der Nordsee. Auf der gegenüber liegenden Seite ist ein großes Foto mit Kamelen in der marokkanischen Wüste zu sehen. Rashid, der in Ägypten, Libyen und Saudi-Arabien aufgewachsen ist und drei arabische Dialekte spricht, kam vor 25 Jahren mit einem Stipendium an die Gießener Justus-Liebig-Universität. Dort heiratete er eine Tunesierin und blieb. Sein Schwerpunkt bei Vitos ist eigentlich die Gerontopsychiatrie, wo er nach wie vor die meisten Patienten hat.

Doch seit einigen Jahren hat die Gießener Klinik jedes Jahr etwa 600 stationäre und 2000 ambulante Patienten mit Migrationshintergrund. Viele sind Ge­flüch­te­te. Nur jeder Zweite spricht gut deutsch. Die zahlreichen Asylbewerber hängen vor allem mit der nur zwei Kilometer entfernten zentralen Hessischen Erst­auf­nahme­ein­richtung für Flüchtlinge zusammen. Werden die Asylbewerber psych­isch krank, kommen sie zu Vitos. Vor gut einem Jahr hat die Klinik eine enge Kooperation vereinbart.

Eingefädelt hat dies Ayse Kaya, die seit Januar 2017 Migrationsbeauftragte für Vitos Gießen und Marburg ist. Die in Gießen aufgewachsene Deutsch-Türkin arbeitet seit zwölf Jahren als Gesundheits- und Krankenpflegerin für Vitos. Schon 2013 wurde sie die erste Migrationsbeauftragte für Vitos Rheingau. Dann wechselte sie nach Gießen, wo sie noch zusätzlich mit 70 Prozent ihrer Stelle auf einer Station mit Patienten mit Persönlichkeitsstörungen tätig ist.

Sie versucht, für die kulturellen Hintergründe der Patienten und die unter­schiedlichen Vorstellungen von Krankheiten zu sensibilisieren. Dass die Sprach­barriere dabei das wichtigste Thema, weiß sie aus eigener Erfahrung. Wie viele Kinder von Gastarbeitern begann sie selbst schon als Neunjährige, zunächst für Eltern, dann für Onkel und Tanten und schließlich auch für Nachbarn und Freunde bei Ärzten und Behörden zu übersetzen. "Manchmal habe ich das nicht hinbekommen, weil es um sehr schwierige Themen ging", sagt sie.

Kaya erzählt von dem älteren, türkischen Mann, bei dem man eine leichte Schizophrenie vermutete, weil er seltsame Gespräche führte. Erst mit Hilfe eines Dolmetschers ließ sich klären, dass der gläubige Mann nur mit Gott sprach, um ihm seine familiären Sorgen mitzuteilen. "Das ist in dieser Kultur so üblich und hatte keine psychotischen Merkmale", sagt die Migrationsbeauftragte.

Gerade hat Ayse Kaya Plakate aufgehängt, die Patienten und ihre Angehörigen in vielen Sprachen willkommen heißen. Sie führt Gespräche mit den Klinik-Küchen, damit moslemische Patienten problemlos mitessen können. Formulare wie die Freiwilligkeitserklärung und psychologische Tests gibt es zunehmend auch auf Arabisch, Türkisch und Russisch. "Es sind Kleinigkeiten, die den Patienten den Zugang erleichtern", sagt sie.

Bei den Geflüchteten sind viele durch Krieg, Flucht und Verfolgung trauma­tisiert. "Bei vielen meiner Patienten ging es um Leben und Tod", sagt Rashid. Die politischen und sozialen Probleme seien schwer vom Leiden der Kranken zu trennen. Manche wissen nicht, wo Brüder oder Söhne geblieben sind. Andere sind bereits geflüchtet, während die Ehefrau noch monatelang in Syrien bleibe. Schreckliche Fälle sind dabei: Der irakische Patient, der jede Nacht die Stimme seines schreienden Kindes hört, das im Wasser um sein Leben kämpft. Die Zweijährige ertrank tatsächlich auf der Flucht – bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland. Andere mussten mit ansehen, wie ihre Brüder vor ihren Augen bei Luftangriffen starben.

Die Religion spielt für viele dieser Patienten eine große Rolle: "Glaube gibt Halt und Unterstützung – gerade für traumatisierte Patienten", sagt Rashid, der selbst jahrelang Vorsitzender der islamischen Gemeinde in Gießen war. Acar hat er auf die syrisch-orthodoxe Gemeinde hingewiesen, der sein Patient angehört. Vielleicht könne sie bei der Familienzusammenführung helfen, hofft der Arzt: "Außerdem sieht er, dass er nicht allein ist."

In der Regel ist es für junge Patienten leichter, sagt Rashid: "Sie machen sehr gute Fortschritte." Und er freut sich über die vielen hilfsbereiten Gießener, die als freiwillige Betreuer für junge Leute mitkommen: "Wenn man die Leiden dieser Menschen sieht, sind solche Gesten wichtig."

Gesa Coordes

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