Mit ihren Klimastreiks sorgten sie während letzten vier Jahre für volle Straßen in Marburg und ihr Protest konnte tausende Menschen mobilisieren. Vor rund drei Wochen gab die Marburger Ortsgruppe von Fridays for Future (FFF) jedoch via Instagram ihre Auflösung bekannt. Dort berichtet die Gruppe von Differenzen mit FFF Deutschland und wirft der Bewegung „strukturellen Rassismus“ vor – eine Kritik, die zuvor bereits die Klimagruppe Bipoc (Black, Indigenous and People of Color) for Future formuliert hat. Außerdem kündigte die Gruppe dort ein neues Projekt an.
Im Gespräch mit dem Express berichten Mara, Marla und Jonas von der Marburger Ortsgruppe, warum sie sich aufgelöst haben und was sie in Zukunft planen.

Wann habt ihr zum erstem Mal von den Rassismus-Vorwürfen bei FFF Deutschland gehört? Kennt ihr Personen, die so etwas erlebt haben?

Jonas: Ich habe das erste mal vor zwei Jahren von den Vorwürfen gehört. Mir sind betroffene Menschen bekannt, ich kann dazu aber leider nichts Konkretes sagen. Rassismus wurde innerhalb von FFF bereits thematisiert, aber nie aufgearbeitet und es hat keine Veränderungen gegeben. Wir als Marburger Ortsgruppe waren eine rein weiße Ortsgruppe, die nicht von Rassismus betroffen war. Wir wollten den Rassismus bei FFF trotzdem kritisieren und haben deswegen das Statement von den Bipocs for Future übernommen, das sehr deutlich ist.

Mara: Als weiße Person aus einer weißen Ortsgruppe kann ich dazu auch nichts weiteres sagen. Ich glaube, es ist anderthalb Jahre her, dass ich zum ersten Mal von den Vorwürfen gehört habe. Wir haben das Zitat von Bipoc for Future übernommen, weil wir wollten, dass das Thema angesprochen wird.

Marla: Bei den Klimakämpfen wird der globale Süden oft vergessen. Dieser weiße Egozentrismus spielt für uns auch eine kleine Rolle.

Habt ihr die Hoffnung, dass euer Statement etwas bewirkt?

Mara: Es ist wichtig, Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, Gehör zu verschaffen. Dafür wollten wir unseren Post nutzen. Zudem wollten wir nicht mehr Teil der Strukturen von FFF Deutschland sein – und damit vielleicht die Diskriminierung aufrechterhalten oder vielleicht selbst produzieren.

Ihr werft FFF Deutschland vor, nur “leere Appelle” an die Politik zu richten. Was wären eurer Ansicht nach Maßnahmen, mit denen man wirklich Klimagerechtigkeit erreichen könnte?

Jonas: Uns ist das wichtigste, dass politische Änderungen erfolgen – auf welche Weise auch immer. Unsere jahrelangen Appelle an die Politik bringen nichts mehr. Was es braucht, ist ein radikaler Systemwandel, wir müssen weg vom Kapitalismus. Diese Forderung stellt FFF nicht.

Glaubt ihr, dass ihr mit einem eigenen Projekt mehr erreichen könnt als mit einer großen Bewegung wie FFF?

Marla: FFF hat zwar sehr viel Aufmerksamkeit generiert, die Bewegung geht auf sehr viele essentielle Probleme aber nicht ein. Für uns ist wichtig, eine Gruppe zu haben, die weiter geht und sich auch mit anderen Problemen beschäftigt.

Wie weit seid ihr mit eurem neuen Projekt? Welche Richtung wollt ihr damit einschlagen?

Mara: Wir sind gerade in einer chaotischen Anfangszeit. Das ist aufregend und spannend, aber es bedarf noch viel Arbeit, bis wir unsere Ideen umsetzen können.

Jonas: Gerade sind wir in einer sehr frühen Planungsphase. Wir haben ein paar Ideen, aber noch nichts Konkretes. Unser Ziel ist, die Marburger Gruppen, die zu Klimathemen arbeiten, miteinander zu vernetzen. Es gibt sicherlich zehn Gruppen in Marburg, die dasselbe Ziel haben, aber unterschiedliche Wege einschlagen. Wir wollen zusammen mit ihnen für das große Ganze kämpfen.

Was bedeutet das ‘große Ganze’ für euch?

Jonas: Das lässt sich mit dem Begriff Klimagerechtigkeit ganz gut beschreiben. Unser Ziel ist, dass der Klimawandel gestoppt wird und dass alle Menschen – oder alle Lebewesen – in Zukunft auf diesem Planeten gut leben können – auch in hundert Jahren oder hoffentlich noch deutlich länger.

Mara: Eine Zukunft zu schaffen, für die es sich zu kämpfen lohnt und dafür eine gemeinsame Mission zu haben.

Was für Methoden wollt ihr wählen? Solche, die eher denen der Letzen Generation ähneln?

Jonas: Über die Methoden haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Die Methoden der Letzten Generation sind sicherlich wirksam, meiner Meinung nach aber an die falschen Menschen adressiert. Es ist zwar schön und gut, dass Autoverkehr blockiert wird, aber letztendlich trifft es die falschen Menschen – eigentlich Menschen, die wir überzeugen müssen, die eigentlich mit uns auf die Straße gehen sollten. Wenn man sich irgendwo festklebt, dann gerne da, wo es sinnvoll ist: an Privatflugzeuge, ans Auto von Christian Lindner oder vor die Firmenzentrale von RWE. Das sind die Zielgruppen, die wir eigentlich adressieren sollten. Die, die hauptverantwortlich dafür sind, dass wir auf eine Klimakrise zusteuern. Das sind letztendlich einfach die großen Unternehmen, die viel CO2 ausstoßen, aber nicht der kleine Bürger, der mit dem Auto zur Arbeit fährt.

Was glaubt ihr, wie sich die Bewegung FFF in Zukunft entwickeln wird?

Marla: Meiner Erfahrung nach bestimmen die Ortsgruppen ihre Grundsätze sehr individuell. In welche Richtung sich die Bewegung entwickelt, und ob es überhaupt einen Konsens geben kann, hängt sehr davon ab, wer in Zukunft bei FFF mitmachen möchte.

Mara: Ich denke, dass vielleicht weiter noch Klimastreiks stattfinden werden und Menschen dadurch alle sechs Monate auf der Straße zusammenkommen.

Wie stimmt euch diese Erwartung?

Mara: Wenn es tatsächlich so kommen sollte, dass FFF vor allem für Klimastreiks ausrichtet, wäre das für mich voll okay. Dadurch können sich Menschen, die vielleicht noch nicht so politisiert sind, vernetzen. Die Vorstellung finde ich persönlich ganz schön.

Marla: FFF wird auch weiterhin ein Medium bleiben, in dem sich Leute vernetzen können – insbesondere, weil es ja eine politisierende Gruppe für Schüler ist. Ich hoffe auch ein bisschen, dass Schüler auch in Marburg wieder eine Gruppe gründen. Die Gruppe ist ein Safe Space, in dem Schüler sich organisieren und Politik lernen können.

Ihr habt in eurem Post durchblicken lassen, dass die Kommunikation mit FFF Deutschland schwierig war. Könnt ihr Beispiele nennen?

Jonas: Globale Klimastreiks laufen bei FFF immer unter einem internationalen Titel. FFF Deutschland setzt die international abgestimmten Themen aber nicht um und fokussiert sich stattdessen auf die deutsche Klimapolitik. Vor ein oder zwei Jahren gab es einen Klimastreik mit dem Titel „People not Profit“, der den Fokus aufs Globale gelegt hat. FFF Deutschland hat dabei aber sein eigenes Ding gemacht und ein anderes Thema gesetzt. Wir haben als Ortsgruppe dabei nicht mitgemacht und eine Demo unter dem internationalen Motto organisiert.

Wie bewertet ihr eure Zeit bei FFF, wenn ihr ein Fazit ziehen müsstet?

Jonas: Ich glaube, wir sind zu vielen Menschen durchgedrungen. Viele sind mit uns auf die Straße gegangen und in Marburg haben wir den Klimanotstand erreicht – zumindest auf dem Papier. Die Stadtregierung bekräftigt immer wieder, Marburg bis 2030 klimaneutral machen zu wollen. Aber die Handlungen, die es dafür braucht, passieren einfach nicht. Das ist ein Punkt, der sich durch die gesamte Klimapolitik zieht und dort wollen wir ansetzen. Die politische Arbeit macht uns allen viel Spaß – aber der Grund, warum wir aktiv sind, ist, dass wir Änderungen bewirken möchten.

Mara: Ich bin richtig froh, dass ich bei FFF war, weil ich tolle Menschen kennengelernt habe, mit denen ich mich vernetzen konnte. Für mich war die Zeit bei FFF ein Lernprozess: Wie läuft die Demoplanung ab? Was geht bei so einem Klimastreik hinter den Kulisse vor? Es hat mir auch ganz viel gebracht, diesen Auflösungsprozess mitzubekommen. Ich bin dankbar für die Zeit und sehe es nicht als bitteres Ende, sondern als schönen Neuanfang.

Marla: Ich würde mich den anderen beiden anschließen. Bei FFF wurde in den letzten Jahren richtig viel erreicht. Die Bewegung war ein sehr schöner Ort, an man sich gut politisieren und etwas über Politik lernen konnte. Jetzt haben wir einen Neuanfang, mit dem wir andere Wege gehen – nicht nur als kleiner Schülerstreik.

Interview: Lars Bieker

Hinweis der Redaktion: Kurz nach der Auflösung der Marburger Ortsgruppe sorgte ein Instagram-Post von FFF International für heftige Kritik. In dem Post spricht die internationale Bewegung von einen Genozid an den Palästinensern und bezeichnete Israel als “Apartheitsstaat”. Da die Marburger Ortsgruppe von Diskriminierung innerhalb der Bewegung berichtet, haben wir Mara, Marla und Jonas gefragt, wie sie den Post als ehemalige FFF-Mitglieder einschätzen. Auf die Frage wollten die drei auch nach einer Bedenkzeit nicht antworten.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Lars Bieker