Marburg ist nicht mehr fahrradfreundlichste Stadt seiner Kategorie
In Hessen hat Marburg seinen Spitzenplatz als fahrradfreundlichste Stadt unter den Kommunen seiner Größenordnung verloren. Das zeigt der jüngste Radklimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC. Obgleich die Universitätsstadt nach Schulnoten fast unverändert bei 3,65 liegt, schob sich Rüsselsheim auf Platz 1 der hessischen Städte. Logisch findet das Wolfgang Schuch vom Marburger ADFC. Schließlich habe es seit dem Bürgerentscheid um das umstrittene Verkehrskonzept Move 35 praktisch keine Verbesserungen für Radlerinnen und Radler gegeben. Und das obgleich es in diesem Konzept eigentlich nur mittelbar um die Radfahrer ging. Und obgleich es mit 51,8 Prozent der Stimmen nur sehr knapp abgelehnt wurde.
Dagegen konnte die Nachbargemeinde Cölbe einen Überraschungssieg verbuchen. Unter den rund 70 hessischen Städten und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern schaffte es der 6500-Seelen-Ort auf Platz drei. Zum Vergleich: Marburg musste sich nur mit fünf weiteren Städten messen.
Das gute Ergebnis überrascht auch den Cölber Bürgermeister Jens Ried (parteilos), der selbst regelmäßig mit dem Rad durch die Gemeinde fährt. Vor allem die Ortsdurchfahrt in Cölbe, wo der Radweg auf dem Bürgersteig von einer Seite zur anderen springt, findet er durchaus sanierungsbedürftig. Das gute Abschneiden erklärt er sich vor allem damit, dass tatsächlich alle sechs Ortsteile mit dem Rad erreichbar seien. Nur von Reddehausen nach Schönstadt müsse eine Schleife gefahren werden. Das sieht Wolfgang Schuch ähnlich: Auch wenn die Radwege in Cölbe zum Teil nicht schön seien, es gebe zumindest welche. Zudem profitiere die Kommune vom überörtlichen Lahnradweg.
Auch Bürgermeister Jens Ried freut sich, dass die Gemeinde an den Lahnradweg und den Radweg „Deutsche Einheit“ anknüpfen könne, die sich am Cölber Eck treffen. Dort sollen neue Rastplätze eingerichtet worden. Zudem gebe es Lastenräder zum Ausleihen in den Ortsteilen. Und das würdigen die Radlerinnen und Radler: Die Gemeinde schnitt in vielen Kategorien um eine halbe bis eine ganze Note besser als der Durchschnitt ab. So fühlen sich die Cölber deutlich sicherer auf ihren Wegen (Note 3,4 anstelle des Durchschnittswertes von 4,4), haben seltener Konflikte mit Fußgängern (3,0 anstelle von 3,7) und es gibt weniger Fahrraddiebstähle (2,7 anstelle von 4,3).

Auch in Zukunft soll sich noch einiges für die Radler in Cölbe tun: Geplant ist ein Radweg von Bürgeln in Richtung Betziesdorf sowie eine bessere Verbindung nach Ginseldorf. Zudem soll es mehr Abstellmöglichkeiten an den Bahnhöfen in Cölbe und Bürgeln eingerichtet werden. Noch offen ist die Zukunft der durch ein Naturschutzgebiet führende Kreisstraße zwischen Schönstadt und Bracht, die nach den Vorstellungen des Bürgermeisters eigentlich nur noch für Radfahrer, Anwohner und Landwirte offen bleiben soll. Dort hatte es massive Proteste von Autofahrern gegeben, die diese Strecke als Abkürzung nutzen.
Von der Anbindung an den überregionalen, vom Land Hessen gebauten Lahnradweg profitieren auch die Gemeinden Fronhausen (Platz 13 von 69) und Weimar-Lahn (Platz 21 von 69), die ebenfalls respektable Ergebnisse erzielten. Die Bürgermeisterin von Fronhausen bemühe sich sehr engagiert um den Radverkehr, erläutert Schuch. Zudem seien die Wege so gut ausgeschildert, dass man die besten Radverbindungen in die Dörfer finde. Dagegen gab es in Gladenbach mehr Kritik. Die Radler platzierten die Gemeinde in der unteren Hälfte.
In Marburg, das bis 2014 auf einem der letzten Plätze in diesem Test stand, waren es in der jüngsten Befragung 330 Teilnehmer. Nach Einschätzung von Schuch hat sich die Einstellung zum Radverkehr in der Politik und in der Verwaltung verbessert. Es fehlten vor allem Radverkehrsplaner. „Aber die Fronten zu den Gegnern der Verkehrswende haben sich verhärtet“, sagt der Experte. Das Klima zwischen den Verkehrsteilnehmern in Marburg sei seit dem Bürgerentscheid wieder rauer geworden. Als Beispiel nennt er die Diskussion um die geplante Fahrradstraße im Schulviertel. Selbst diese Maßnahme sei umstritten, obwohl es dort um den Schutz von Hunderten von Schülerinnen und Schülern gehe. Zudem gebe es viele, die Rad fahren wollten, sich aber nicht trauten, weil sie sich nicht sicher fühlten.
Tatsächlich ist das Sicherheitsgefühl bei den Marburger Radlerinnen und Radlern mit der Schulnote 4,1 nicht besonders ausgeprägt. Es scheint auch viele Konflikte mit Autofahrern (Note 4,4) zu geben. Viel zu selten werden offenbar auch Falschparker auf Radwegen kontrolliert (Note 4,5). Obgleich Radwege von Dörfern wie Michelbach und Wehrshausen immer noch fehlen, wird die Erreichbarkeit des Stadtzentrums durchschnittlich bewertet. Dagegen zählt das ursprünglich vom Asta der Universität eingeführte Angebot für Leihräder, das inzwischen allen Bürgern zur Verfügung steht, zu den größten Stärken Marburgs. An 51 Stationen können 375 Räder für 30 Minuten kostenlos ausgeliehen werden.
gec
Frankfurt, Frankenberg und Tübingen punkten
Alle zwei Jahre ruft der deutsche Fahrradclub ADFC zum bundesweiten Radklimatest auf, an dem 2024 mehr als 1000 Orte in ganz Deutschland teilnahmen. Mehr als 90 Prozent der Interviewten nutzen sowohl das Fahrrad als auch das Auto, bringen also beide Perspektiven in die Bewertung ein. In die Bewertung aufgenommen wurden nur Kommunen, in denen mindestens 50 Menschen an der Befragung teilnahmen. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf waren Cölbe, Fronhausen und Gladenbach erstmals dabei.
Bundesweit schaffte es Frankfurt unter den Großstädten auf den ersten Platz. Die hessische Metropole hat viele neue Radwege und Abstellanlagen gebaut sowie das Radwegenetz lückenlos beschildert. Dass auch hügelige Städte fahrradfreundlich sein können, zeigt Tübingen, das auf dem ersten Platz seiner Kategorie landete. Die schwäbische Stadt ist ebenso bergig und ebenso groß wie Marburg, hat aber doppelt so viele Radler. In Tübingen gibt es ein durchgängiges Premium-Radnetz inklusive futuristischer Fahrradbrücken sowie einer großen Fahrradtiefgarage mit Werkstatt und Rad-Waschanlage am Hauptbahnhof. In der Kategorie Aufholer siegte die nördlich von Marburg gelegene Kleinstadt Frankenberg, die mit Radwegen am Fluss und drei neuen Rad- und Fußbrücken punktet.
Insgesamt fühlen sich mehr als zwei Drittel der Radfahrenden im Straßenverkehr nicht sicher. Am meisten stresst es, wenn Radwege zu schmal oder zugeparkt sind und wenn man mit zu geringem Abstand überholt wird.
Die Ergebnisse in der Region:
Marburg: Note 3,65 (Platz 2 von 6 Städten dieser Größe in Hessen)
Gießen: Note 3,73 (Platz 3 von 6)
Wetzlar: Note 4,34 (Platz 6 von 6)
Frankenberg: Note 3,24 (Platz 1 von 69 Kommunen dieser Größe in Hessen)
Cölbe: Note 3,45 (Platz 3 von 69)
Fronhausen: Note 3,62 (Platz 13 von 69)
Weimar (Lahn): Note 3,78 (Platz 21 von 69)
Gladenbach: Note 3,98 (Platz 37 von 69)
Lollar: Note 4,39 (Platz 67 von 69)