Für die streng geschützte Zwergfledermaus ist das Marburger Landgrafenschloss ein sicheres Quartier. Bis zu 30.000 der kleinen Tiere residieren dort zeitweise.
Kaum eine Tierart ist so geheimnisvoll und von Mythen umgeben: Die Fledermäuse, Vampire, die Kobolde der Nacht. Häufig erspäht man sie nur für einen kurzen Moment im Schein einer Laterne, wenn sie in einer warmen Sommernacht auf der Suche nach Nahrung durch die Stadt flattern. Bei Tagesanbruch ziehen sie sich in dunkle Verstecke zurück und die Wintermonate verbringen sie in sicheren Unterschlüpfen, oft unbemerkt von menschlichen Beobachtern. Gerade was ihren Lebensraum betrifft, sind die Tiere auf Schutz angewiesen.
In den Gewölbekellern des Marburger Landgrafenschlosses hat die Zwergfledermaus einen sicheren Unterschlupf gefunden. Hohe Luftfeuchtigkeit, eine konstante Temperatur und Dunkelheit bieten optimale Bedingungen für die Tiere und machen das Schloss zu einem der größten Winterquartiere dieser Art in ganz Deutschland. In den Wintermonaten tummeln sich dort jedes Jahr mehrere Tausend Tiere, im Herbst können es sogar um die 30.000 Exemplare sein. Auch in den Kasematten – den Verteidigungsanlagen unter dem Schloss – sind Fledermäuse zu finden. Besonders für die vor dem Winterschlaf befruchteten Weibchen der Zwergfledermaus bieten sie ein sicheres Quartier. „Die Kasematten sind auch nach dem Winter die Babystube für die Fledermäuse“, erklärt Silvia Vignoli, die regelmäßig Führungen durch die Verteidigungsanlagen unter dem Schloss anbietet. Jedoch ausschließlich in den Sommermonaten, da die Kasematten nur betreten werden dürfen, wenn dort keine Fledermäuse nisten. Denn, so Vignoli: „Naturschutz hat immer Vorrang vor Gebäudeschutz.“
Die Zwergfledermaus ist die kleinste heimische Art, sie wiegt kaum mehr als fünf Gramm und ist kleiner als eine Streichholzschachtel – kann aber in einer Nacht bis zu 4.000 Insekten fressen. Mit ähnlich großem Appetit sind das Braune Langohr, die Breitflügelfledermaus und der Große Abendsegler in Marburgs Nächten unterwegs. Sie finden unter anderem in Baumhöhlen, Dachstühlen und Gebäudespalten Unterschlupf. Exemplare der Wasserfledermaus lassen sich wie die Zwergfledermaus am Schloss finden.
Eines haben alle Arten gemeinsam: Sie sind streng geschützt. Mehrere in Deutschland heimische Fledermausarten sind sogar vom Aussterben bedroht. Sie haben natürliche Feinde wie Marder oder Eulen, doch es ist der Mensch – genauer gesagt der menschliche Eingriff in Umwelt und Natur –, der ihnen wirklich gefährlich wird. Bei der Sanierung von Gebäuden können die Tiere unbemerkt zu Tode kommen und durch die Versiegelung von potentiellen Schlafplätzen verlieren sie ihren Lebensraum. Auch der Verlust von Flugrouten und geeigneten Nahrungsgebieten, beispielsweise durch intensivierte Landwirtschaft, gefährdet die Tiere. Das Insektensterben setzt den nachtaktiven Säugern immer mehr zu. Der Einsatz von Insektenschutzmitteln kann eine direkte tödliche Wirkung haben, wenn Fledermäuse verseuchte Insekten fressen, wodurch sich das Gift in ihnen anreichert und sie schließlich tötet. Kurz gesagt: Schadet der Mensch Insekten, schadet er damit auch den Fledermäusen.
Ina Neubauer, ehrenamtliche Mitarbeiterin des NABU Hessen, erklärt, dass besonders naturnahe und blütenreiche Gärten wichtig seien, um Lebensraum für Insekten zu schaffen, und um damit auch die Fledermäuse zu schützen. Sie gibt an, man solle unbedingt auf giftige Insektenschutzmittel verzichten und falls Sanierungen am Dach oder an Rollläden anfallen, solle man vorher sichergehen, dass sich dort keine Fledermäuse einquartiert haben. Für den Fall, dass sich eines der Tiere ins Haus verirrt, gibt Ina Neubauer klare Anweisungen: „Fenster auf, Lichter aus und ruhig verhalten. In den allermeisten Fällen finden die Tiere alleine wieder raus.“
Wer auf eine verletzte Fledermaus stößt – im Sommer werden beispielsweise viele Jungtiere gefunden, die aus ihren Quartieren fallen –, kann sich an das Fledermaustelefon vom NABU wenden (Telefon 030/284984-5000, September und Oktober Montag bis Freitag 10 bis 16 Uhr). Die Initiative vermittelt die Tiere an Pflegestellen, wo sie wieder aufgepäppelt werden. Eine weitere Aktion des NABU ist das „Fledermausfreundliche Haus“, eine Anlaufstelle für Menschen, in deren Häusern Fledermäuse nisten.
Neben diesen Initiativen hat es sich der NABU zur Aufgabe gemacht, über die Fledermäuse zu informieren und aufzuklären. Denn, so fasst es Ina Neubauer zusammen: „Nur was man kennt, kann man auch schützen.“
Johanna Rödiger