Das Filmfestival Globale Mittelhessen mit 69 Veranstaltungen startet am 27. Oktober.

Die Gier nach Gold verschmutzt die Flüsse im brasilianischen Amazonasgebiet und bedroht die Yanomami: Mit dem Film „Holding up the Sky“ wird am Freitag das Dokumentarfilmfestival „Globale Mittelhessen“ im Marburger Capitol eröffnet. Petra Firnkes vom veranstaltenden Verein Motives sowie Christoph Müller-Kimpel vom Organisationsteam stellen im Interview das Festival und seine Highlights vor.

Express: Ihr geht jetzt in die 14. Ausgabe des Filmfestivals. Worauf gründet diese Kontinuität und was macht die Besonderheit des Festivals aus?

Petra Firnkes: Zunächst einmal stellen Dokumentarfilme immer noch eine Nische in der Filmlandschaft dar, auch wenn sie in den vergangenen Jahren sowohl von Seiten der Filmförderung als auch von der der Veranstalter eine zunehmende Aufmerksamkeit erhalten. Unser Anliegen war es von Anfang an, den Zuschauer*innen nicht nur Informationen aus allen Regionen der Welt zur Verfügung zu stellen, sondern diese im anschließenden Filmgespräch mit Expertinnen oder den Regisseur*innen zu vertiefen, in einen größeren Kontext einzuordnen und Lösungsansätze für Probleme zu diskutieren, zu denen wir hier vor Ort beitragen können. Ich denke, diese besondere Verbindung von Dokumentarfilm und Gespräch hat uns zu der angesprochenen Kontinuität verholfen und stellt zugleich eine Besonderheit des Festivals dar.

Christoph Müller-Kimpel: Zudem zeigen wir schon immer auch Filme, die sonst nirgendwo zu sehen wären, weder auf den Streamingkanälen noch in der Fernsehlandschaft. Das spricht nicht nur Cineasten an. Es hat sich rumgesprochen, dass bei uns „Perlen“ zu finden sind.

Express: Nun sind ja die Probleme auf der Welt, von Kriegen, Migration, Folgen des Klimawandels, sozialen, ökonomischen und politischen Ungleichheiten hinreichend bekannt. Wodurch bekommt Ihr dennoch Euer Publikum?

Christoph Müller-Kimpel: Es ist in der Tat spürbar, dass die – ich sage mal – Katastrophen der letzten Jahre, die Corona-Pandemie und darauf folgend der Ukrainekrieg und der gesellschaftliche und politische Umgang damit, zu einer merklichen Belastung und vielleicht auch zu einem gewissen individuellen Rückzug und zu einem Verlust an Orientierung geführt haben. Deshalb bemühen wir uns, selbst wenn die dokumentierten Kämpfe vielleicht zunächst einmal verloren gegangen sind, die vielen starken Menschen hervor zu heben, die weltweit engagiert sind. Zusammen mit den Filmgesprächen kann dies Motivation, Mut und Kraft vermitteln.

Petra Firnkes: Wir bespielen in diesem Jahr erstmals 18 Orte mit 69 Veranstaltungen. Darunter sind neben den großen Kinosälen in Marburg und Gießen, Schulen, Kirchen, Kulturinitiativen und bis hin zur Trinkkuranlage in Bad Nauheim. Das spricht zunächst einmal nicht für einen Rückgang des Interesses. Eine Beurteilung kann natürlich erst nach dem Festival vorgenommen werden.

Express: Was sind die Höhepunkte im diesjährigen Programm?

Christoph Müller-Kimpel: Bei insgesamt 34 Filmen im Programm haben wir einen kleinen Schwerpunkt Iran mit den Kämpfen der Frauen und Menschen dort für individuelle und gesellschaftliche Freiheiten. Die Filme A moon for my father, 7 Winter in Teheran, Mina sowie 2 Kurzfilme dokumentieren die vergangenen Kämpfe oder das erzwungene Leben im Exil. Zu dem Film Mina kommt die im Exil lebende Hauptperson persönlich zu uns. Das ist per se schon einmal ein Highlight und wir freuen uns auf sie. Darüber hinaus thematisieren einige Filme das gesellschaftliche Leben im allgemeinen oder auch die queere Kultur im Iran.

Petra Firnkes: ein weiterer Schwerpunkt liegt auf starken Frauen. So zum Beispiel das Portrait der Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva aus Indien in dem gleichnamigen Film. Oder „The ants and the grashopper“, „Sara Mardini“, „Eren“, „Vivas“ und „Luchadores“, mit denen wir Frauen im Kampf um Ernährungssouveränitat in Zentralafrika, Seenotrettung in Europa, Verteidigung demokratischer Rechte in der Türkei oder im Kampf gegen Femizide in Mexiko präsentieren. In all diesen Filmen geht es immer auch um Solidarität; mal unter Frauen, mal gegenüber Geflohenen oder mit Minderheiten in den jeweiligen Ländern. So auch im Eröffnungsfilm am Freitag, 27. Oktober um 19 Uhr 30 im Capitol in Marburg. In „Holding up the sky“, zu dem der Regisseur Peter van Eecke anwesend sein wird, sehen wir die Yanomami in Brasilien, die um den Erhalt ihrer Kultur und ihres Territoriums kämpfen. In deren Kampf gegen die neuen „Goldgräber“ erhalten wir einen Einblick in die Weltsicht der Yanomami.

Christoph Müller-Kimpel: Insgesamt decken wir mit der diesjährigen Auswahl ein sehr breites thematisches Spektrum von Kämpfen um Selbstbestimmung und Demokratie über das Thema Arbeit, Naturschutz, Verteidigung indigener Rechte und Gebiete, Schutz vor Gewalt gegen Frauen sowie Möglichkeiten alternativen Wirtschaftens ab. Die Dokumentarfilmreise geht von Asien über Afrika und Europa bis nach Mittelamerika.

kro/pe

Globale Mittelhessen

Von Bad Nauheim bis Wetzlar: Die „Globale Mittelhessen – Filmfestival für globale Gerechtigkeit“ findet vom 27. Oktober bis zum 12. November in 18 mittelhessischen Städten und Gemeinden statt. Insgesamt gibt es 69 Veranstaltungen. 34 Filme werden dabei gezeigt, die außergewöhnliche, alternative oder widerständische Perspektiven aus allen bewohnten Kontinenten präsentieren.
Wie immer bei dem Dokumentarfilmfestival sind Regisseurinnen, Regisseure und weitere Fachleute vor Ort und laden nach dem Film zur Diskussion ein.
Das komplette Programm: www.globalemittelhessen.de

“Ernte Teilen” von Philipp Petruch

Die Auswirkungen der Klimakrise sind besonders spürbar für die Menschen, die tagtäglich unsere Lebensgrundlage sichern – Bäuerinnen und Bauern. Die Suche nach alternativen Wirtschaftsweisen führt Filmemacher und Aktivist Philipp Petruch zur Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi). Der Film „Ernte teilen“ begleitet drei SoLaWi-Initiativen, die dem Wachstumszwang unseres Wirtschaftssystems etwas entgegensetzen wollen. Mit Hilfe von Gemeinschaften schaffen sie einen lokalen Versorgungskreislauf, bei dem die Werte Gemeinwohl und Ökologie im Vordergrund stehen. Bei der Marburger Vorstellung sind Vertreter*innen der regionalen SOLAWI.
Vorstellung: Sa 28.10. 18 Uhr Capitol

“Höchstens vier Wochen” von Jonas Alter

Der Film „Höchstens vier Wochen“ behandelt den Streik in allen Unikliniken in Nordrhein-Westfalen 2022. Es sollte mit 77 Tagen der längste Streik werden, den das deutsche Gesundheitssystem bisher gesehen hatte. Seit den 1990ern wurde unser Gesundheitssystem Stück für Stück kommerzialisiert – um Kosten zu sparen. So landeten immer mehr Aufgaben bei immer weniger Beschäftigten, immer mehr verließen den Beruf. Doch anstatt zu kündigen oder die schlechten Bedingungen weiter hinzunehmen, hatten sich die Beschäftigten der Unikliniken in Nordrhein-Westfalen dazu entschieden, um ihre Berufe zu kämpfen – und damit um den Erhalt unseres Gesundheitssystems.
Vorstellung: So 29.10. 20.30 Uhr Capitol

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Clin d'oeil films, Daniel Falk und Drop-Out Cinema