Express: Herr Großmann, die Nordstadt ist ein Stadtteil in Veränderung. Was tut sich momentan?

Christian Großmann: Die großen, wahrnehmbaren Dinge sind passiert: Die DVAG-Projekte, Umbau des Bahnhofvorplatzes, die Universitätsbibliothek und die starke Wohnraumbauaktivität von S+S. Jetzt geht es an die Detailarbeit. Die Nordstadt hat in den letzten Jahren eine starke Veränderung in Hinblick auf Wohnraum erfahren – vor zwanzig Jahren haben hier relativ Wenige gewohnt. Die letzten Jahre waren typisch auch für eine Veränderung der Anforderungen. Damit hat für den Einzelhandel die Nahversorgerfunktion noch einmal an Bedeutung gewonnen. Natürlich braucht man für den Handel auch das Umland, vor allem das nördliche. Die Erreichbarkeit und Durchlässikeit der Nordstadt ist sehr wichtig – und zwar für die ganze Stadt. Wir sehen uns nicht als isolierten Stadtteil, sondern als eines der beiden Einfallstore, mit einer eigenen, in­zwi­schen größerern Wohnbevölkerung. Insofern sind jetzt auch verkehrstechnische Veränderungen abzuarbeiten. Das sehen wir als naheliegende Aufgaben in der Rolle einer verlängerten Autobahnabfahrt bei gleichzeitiger Wohnqualität, Nah­ver­sorgungs­anspruch und Aufenthalts­qualität – das ist fast schon die Quadratur des Kreises

Express: Wie hat sich mit den Umbauarbeiten an der Weidenhäuser Brücke die Situation für die Nordstadt verändert?

Christian Großmann: Das ist ein wichtiges Thema. Für den Handelsstandort Marburg – und das gilt nicht nur für die Nordstadt – ergeben sich ganz spannende Aspekte nach dem Motto “Entdecken Sie die Einkaufsstadt Marburg neu!”. Es funktionieren tatsächlich eine ganze Reihe von innerstädtischen Wegen besser als vorher. Der Verkehrknoten Rudolfsplatz ist im Moment keine Herausforderung. Dadurch sind die innerstädtischen Verkehrswege zum Teil in einer völlig neuen Qualität erlebbar.
Wenn man sich schlau macht und seine “Besuchszeiten” soweit wie möglich optimiert, dann hat Marburg einzelhandelsmäßig einen Gewinn zu bieten.

Ausreichend Parkraum für Besucher der Nordstadt ist vorhanden (Foto: Michael Arlt)

Express: Was bedeutet das für den ansässigen Einzelhandel?

Christian Großmann: Angebote und Ansprechzeiten, aber auch planbare Kunden­kontakte und Termine in Zeiten zu legen, wo das Ganze sehr gut funktioniert, sogar besser als vorher. Und im Grundsatz eine nach vorne gerichtete, positive Informationskultur zu machen. Zum Beispiel die eigene Homepage mit Informationen verbinden. Nicht sagen “Achtung Baustelle!”, und das war es, sondern beispielsweise auf verbesserte Erreichbarkeit hinweisen. Die Hauptverkehrszeiten haben sich nicht verschoben, sondern sind länger geworden. Der späte Vormittag, der frühe Nachmittag können hervorragende Zeiten sein, um innerhalb der Stadt gewissermaßen eine neue Freiheit der Beweglichkeit und der kurzen Wege zu erleben. Das sollte der Handel positiv herausstellen und seine eigenen Angeboten danach ausrichten. Es wurden im Zusammenhang mit dem Umbau Verkehrswegzeiten überprüft mit dem Ergebnis, dass die psychologisch empfundene Einschränkung um Welten größer ist als die tatsächliche Behinderung. Dem können wir als Einzelhandel nur begegnen, indem wir einen Mehrwert nach außen hin kommunizieren: “Was haben wir im Moment positives zu bieten?” Und das heißt nicht, wir haben eine Baustelle und ganz viele Staus.

Express: Was raten Sie den Nordstadtbesuchern?

Christian Großmann: Dazu möchte ich generell sagen, der Afföllerparkplatz ist so gut wie nie völlig belegt. Wir haben von dort einen schönen und hoch­attrak­tiven Fußweg im Bereich von weniger als fünf Minuten, um auf die Verteiler­schiene Bahnhofstaße zu kommen. Man kann auch durchaus über den Wehrdaer Weg anfahren, um die Menge des Verkehrs in der Bahnhofstraße zu entlasten.

Express: Wie beurteilen Sie die aktuelle Verkehrsführung? Der Schwer­last­verkehr ist ja bereits reduziert …

Christian Großmann: Da gibt es sicherlich noch Optimierungsbedarf. Zum Teil tun sich ausländische LKWs schwer. Die sollten von ihren Navigationssystemen eigentlich nicht durch die Stadt geleitet werden. Der Hauptverursacher von Schwer­last­ver­kehr, die Behring­standorte, spielen eine aktive Rolle und leisten einen guten Beitrag dafür, dass der Schwerlastverkehr wegbleibt. Aber Weg­blei­ben hier heißt, es ist woanders da …

Attraktives Tor zur Stadt: der umgebaute Bahnhofsvorplatz
(Foto: Georg Kronenberg)

Express: Wo besteht weiterer Handlungsbedarf? – Stichwort Tempo­re­du­zierung, Radwege, Parkplätze …

Christian Großmann: Man kann an Kleinigkeiten drehen. Beispielsweise bei den Bushaltebuchten im Bereich der Robert-Koch-Straße. Wenn man dort vor­über­gehend die Markierungen aufhebt, könnte sich der Verkehr stadtauswärts schon länger zweireihig aufstellen. Das macht den Rückstau, der zum Teil bis zum Erwin-Piscator-Haus geht, deutlich kürzer. Eine kleine Veränderung ist beim Fußgängerüberweg in der Bahnhofstraße vor dem “Aroma”. Dort wurden zwei Parkplätze weggenommen, damit Autofahrer, die auf die Stadtautobahn Rich­tung Süden wollen, daran problemlos vorbeikommen und nicht durch die­jenigen, die nach links wollen, gehindert werden. Dort soll jetzt die Rad­weg­markierung optimiert werden. So können sich die Autofahrer schneller zwei­reihig aufstellen.
Im Bereich der Deutschhausstraße wird schon – eigentlich nicht erlaubt – die Busspur zum Darüberfahren benutzt. Das kann man als weitere, kleine Opti­mierungs­maß­nahme machen, um den Verkehrsfluss stadtauswärts so gut wie möglich zu unterstützen.
Die dynamische, aktive Ampelsteuerung unter der Bahnhofsbrücke leistet rein rechnerisch das Maximum. Wenn man im Stau steht erlebt man das manchmal nicht wirklich – aber sie stehen nie wirklich lange. Man wundert sich immer, dass man bei diesem Verkehrsaufkommen doch einigermaßen schnell durch­kommt …
Gerade im Moment sind dreißig Park­plätze im Park­haus Nordstadt frei. Das erleben wir eigentlich permanent. Wenn die zur Verfügung stehenden Park­plätze genutzt werden, dann ist die Situation nicht die schlechteste. Dass man als Ausgleich für den Wegfall der innerstädtischen Verteilerschiene Rudolfsplatz innerhalb der Stadt vorübergehend Parkplätze schafft – zum Beispiel zum Marburger Frühling -, halte ich für einen guten Ansatz. So schafft man auch psychologisch eine Willkommenskultur unter dem Motto “Marburg ist erreichbar!”
Zum Radverkehr. Alles auf der selben Spur unterzubringen, wird die Konflikte in Marburg nicht lösen. Ich würde es als Herausforderung sehen, spezielle Fahr­rad­strecken auszuweisen. Die Radwege zu beiden Seiten der Lahn ließen sich optimieren. Meine Vision wäre eine soweit wie möglich durchgehende inner­städtische Verteilerschiene für Fahrräder.

Express: Bitte einen positiven Blick in die Zukunft – Wie könnte sich die Nordstadt in zehn Jahren präsentieren?

Christian Großmann: In jedem Fall weiter erreichbar und durchlässig. Ein Handels­stand­ort Marburg ebenso wie ein Handels­tand­ort Nordstadt kann nicht aus eigener Kraft wirtschaftlich funktionieren. Es braucht das Umland. Die Nord­stadt ist das Tor zu Stadt. Wir werden weiterhin damit leben müssen, dass Menschen durch unsere Nordstadt durchfahren, durchlaufen, durchradeln, auch wenn sie nicht hierher wollen. Das ist nun einmal auch der geographischen Lage geschuldet.
Ich sehe in der Nordstadt auch langfristig eine gute Chance insbesondere für den kleineren, inhabergeführten Fachhandel, aber auch für Dienstleister – ge­rade auch wegen der positiven Einwohnerentwicklung und der guten Er­reich­bar­keit. Die Nordstadt hat die Chance, den Weg zu einem modernen Stadtteil fortzusetzen.

Die Nordstadt… 
ist ein Stadtviertel, das sich mit den Begriffen Bewegung und Vielfalt seit jeher charakterisieren lässt. Entstanden im Anschluss an den Bau der Eisenbahn und des Hauptbahnhofs gegen Ende des 19. Jahrhunderts, haben über viele Jahrzehnte hauptsächlich die Universitätskliniken das Leben im Norden Marburgs bestimmt. Die Nähe zur Eisenbahn und vor allem die hoch frequentierten Kliniken trugen zur Entwicklung eines vielfältigen Einzelhandels bei.
Nach dem Wegzug der Kliniken ist die Nord­stadt heute ein Stadtviertel im Um­bruch. Seit 2004 ist Marburgs Norden Sanierungsgebiet. Von den Bereichen um den Bahnhof über die Bahnhofstraße bis zur Ketzerbach und das Gebiet um die Elisabethkirche wird investiert und erneuert wie in keinem anderen Bereich der Universitätsstadt. Die Neugestaltung des Boulevard Ketzerbach und des Platzes um die Elisabethkirche, die modernen Gebäude der DVAG und der Neubau der Uni­versi­tät haben Charakter und Gesicht des Viertels verändert. Die Neugestaltung des Bahnhofs und seines Vorplatzes haben die Aufenthaltsqualität entscheidend ver­bes­sert, und die umfangreichen Planungen zum Universitätscampus versprechen der Nordstadt neue Vielfalt.
Zahlreiche inhabergeführte Fachgeschäfte und Gastronomiebetriebe, zwei Kauf­häuser, vier Hotels und ein Kongresszentrum bieten Menschen von Nah und Fern ein vielfältiges Angebot.

Werbekreis Marburg Nord e.V.
1978 gründeten Geschäftsleute der Nordstadt den Verein “Werbekreis Marburg Nord e.V. – Rund um die Elisabethkirche” mit dem Ziel, zum Marketing der Nord­stadt beizutragen. Die Planung von Veranstaltungen spielt dabei eine besondere Rolle. Seit über 25 Jahren führt der Werbekreis so den “Weihnachtsmarkt Rund um die Elisabethkirche” durch. Maßgeblich hat er auch an der Entstehung der Ver­an­staltung “Marburg b(u)y Night” mitgewirkt.
Die Interessenvertretung der Anliegen der Mitglieder bei städtischen Gremien und Verwaltungen hat wegen der grundlegenden Umgestaltung des Viertels in den letzten Jahren besondere Bedeutung erlangt.
Die Mitglieder kommen aus dem Einzelhandel, der Gastronomie, der Hotellerie und dem Dienstleistungssektor. Der Verein steht auch Immobilienbesitzern und Frei­be­ruflern offen.
Der derzeitige Vorstand bestehtr aus Christian Großmann (1. Vorsitzender), Michaela Richter (2. Vorsitzende) sowie Karl van Elkan (Kassenwart und Organisator des Weihnachtsmarktes).

Interview: Michael Arlt

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