Eine Jury aus Sprachexpert*innen hat an der Marburger Uni am Montag das Unwort des Jahres 2023 bekannt gegeben. Ausgewählt hat die sechsköpfige Jury, deren Sprecherin die Marburger Germanistikprofessorin Constanze Spieß ist, „Remigration“. 

Die Begründung: Der vom lateinischen Verb remigrare (deutsch ‘zurückwandern, zurückkehren’) abgeleitete Ausdruck sei in der Identitären Bewegung, in rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massende-portationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden.

Die Jury kritisiert die Verwendung des Wortes, weil es 2023 als rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Ausdruck gebraucht wurde. Der aus der Migrations- und Exilforschung stammende Begriff, der verschiedene, vor allem freiwillige Formen der Rückkehr umfasse, werde bewusst ideologisch vereinnahmt und so umgedeutet, dass eine – politisch geforderte – menschenunwürdige Abschiebe- und Deportationspraxis verschleiert werde.

Die Neue Rechte ziele mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen. Das, was mit der Verwendung des Wortes gefordert werde, verletze freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte. Die Verbreitung des vermeintlich harmlosen Ausdrucks führe zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen.

Der diesjährige Gastjuror, CDU-Politiker Ruprecht Polenz, kommentierte die Verwendung und Wahl des Ausdrucks zum Unwort folgendermaßen: „Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum `Unwort des Jahres` sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.”

Auf Platz 2 und 3 der Unwörter-Liste hat die Jury „Sozialklimbim“ und „Heizungs-Stasi“ gewählt. In sozialpolitischen Debatten stehe „Sozialklimbim“ für eine im Jahr 2023 wieder häufiger zu beobachtende klassistisch dis- kriminierende Rhetorik. Durch die spezifische Wortverwendung werde die Gruppe einkommens- und vermögensschwacher Personen herabgewürdigt und diffamiert.

„Heizungs-Stasi“ wiederum diene der populistischen Stimmungsmache gegen Klimaschutzmaßnahmen. Diese würden als diktatorische Repressionen dargestellt. Der Ausdruck verstoße gegen das demokratische Prinzip, weil er das demokratische Gesetzgebungsverfahren verunglimpfe.

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Anne Reichel