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Thema der Woche | 30. April 2015

"Kampfansage von Eugen Münch"

Ambulante Versorgung: Aufregung über internes Papier des Uniklinikums

Das zum Rhön-Konzern gehörende Marburger Universitätsklinikum will die Arbeit der niedergelassenen Ärzte in der Region weitgehend übernehmen. Das geht aus einem internen Protokoll des privatisierten Großkrankenhauses hervor. Wörtlich heißt es darin: "Die weitere Existenz von Marburg wird nur in der Schaffung ambulanter Strukturen mit dem Ziel die ambulante Flächen­ver­sor­gung weitgehend zu übernehmen oder mindestens zu steuern gesehen." Das kann nach Überzeugung des Aufsichtsratsvorsitzenden Eugen Münch durch den "rigorosen Ausbau" von Polikliniken und Medizinischen Versorgungszentren mit Stiftungslehrstühlen geschehen.

Die Veröffentlichung des Vorhabens hat für Empörung gesorgt. Selbst der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) erfuhr erst aus der Presse von dem Vorhaben des Rhön-Konzerns. Er will die Pläne auf der nächsten Gesellschafterversammlung thematisieren, sprach aber vor dem Wissen­schafts­ausschuss des Landtags zunächst nur von "internen Überlegungen".

Dagegen bezeichnete der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Thomas Spies, das Vorhaben als "Kampfansage von Eugen Münch". Die Konzernspitze um den Rhön-Aufsichtsratsvorsitzenden habe diese Linie schon immer vertreten. Auch an anderen Orten habe der Krankenhausbetreiber bereits versucht, die Kontrolle über die örtliche Medizin zu bekommen. Zudem habe Rhön in den vergangenen Jahren siebeneinhalb Kassenarztsitze in Marburg aufgekauft. "Es kann nicht sein, dass ein privater Konzern in Bad Neustadt das Monopol über die gesundheitliche Versorgung in Marburg-Biedenkopf bekommt", kritisiert Spies, der selbst Arzt ist.

Auch der Präsident der hessischen Landesärztekammer, Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, kritisierte das Vorhaben scharf. Mit diesen Plänen gefährde die Rhön-Uniklinik die bisherige Kooperation der niedergelassenen Ärzte mit der Klinik. "Stadt und Kreis Marburg verfügen über eine gute ärztliche Versorgung auf der Basis einer persönlichen Arzt-Patienten-Beziehung", sagte er. Dass die Patienten diese persönliche Beziehung zugunsten einer Behandlung durch ständig wechselnde Ärzte "inquasi industrialisierten Medizinischen Versorgungszentren" aufgeben wollten, sei "mehr als zweifelhaft".

Allerdings berichtete der Ärztliche Direktor des marburger Klinikums, Jochen Werner, in dem internenPapier, dass ein Vorschlag, niedergelassene Ärzte am Klinikum anzusiedeln, "auf geschlossenen Widerstand" der Mediziner vor Ort gestoßen sei. Daraufhin wurde empfohlen, diesen Weg auch gegen den Willen der niedergelassenen Ärzte "unbeirrt" zu gehen. Die Geschäftsführung wurde dem Protokoll zufolge damit beauftragt, ein Konzept für neue Strukturen der Ambulanz umzusetzen – "unter Vermeidung von Konsensstrategien mit den ewig Gestrigen".

Trotzdem macht sich die Ärztegenossenschaft "Prima", ein Zusammenschluss von 270 Ärzten im Raum Marburg, bislang wenig Sorgen. "Wir sitzen am längeren Hebel und steuern die Patientenströme", sagt Vorsitzender Hartmut Hesse. Er betrachtet die öffentlich gewordenen Ideen als "Allmachtsfantasien von Herrn Münch". Damit solle Druck auf die Mitarbeiter in der Marburger Universitätsklinik gemacht werden, die 2014 in die roten Zahlen gerutscht ist.

Prima-Sprecher Dr. Ortwin Schuchhardt berichtet, dass es in den vergangenen Jahren eigentlich eine gute und kollegiale Zusammenarbeit sowie regelmäßige Treffen mit den Chefärzten im privatisierten Uni-Klinikum gegeben habe. Warum da nun "mit dem Hammer draufgehauen" werde, könne er nicht verstehen. Sein Kollege Hartmut Hesse sieht in den öffentlich gewordenen Vorstellungen des Medizininnovations- und Qualitätsausschusses jedoch eher ein "Brainstorming": "Da werden auch Sachen gesagt, die weder umsetzbar noch realistisch sind."

In diese Richtung geht auch die Stellungnahme des Uni-Klinikums: Zu den Aufgaben dieses Ausschusses des Aufsichtsrats gehöre es, sich offen und "ohne Denkverbote mit Perspektiven und Entwicklungen der Gesundheitsversorgung auseinanderzusetzen", erklärte der Sprecher des Uni-Klinikums, Frank Steibli. Deshalb kritisierte er das "lärmende öffentliche Echo".

An den Universitätskliniken Gießen und Marburg lasse sich beobachten, dass die ambulante Versorgung zunehmend auf die Krankenhäuser verlagert werde, ohne dass diese optimal darauf vorbereitet seien. "Dies führt nicht selten zu Überlastungssituationen, Doppel- und Dreifachuntersuchungen und häufig zu großer Frustration bei den Patienten", so Steibli. Vor diesem Hintergrund gebe es viele Argumente, warum eine das Gesamtangebot ergänzende Versorgung in ambulanten Zentren für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung attraktiv und erwünscht sein könnte. Es verstehe sich aber von selbst, dass nicht jeder Kranke in einem Krankenhaus behandelt werden wolle.

Das fusionierte Universitätsklinikum Gießen und Marburg wurde Anfang 2006 für 112 Millionen Euro an Rhön verkauft. Bis heute handelt es sich um die bundesweit einzige Privatisierung eines Universitätskrankenhauses. Hauptgrund war der Investitionsstau, durch den das Gießener Klinikum von der Schließung bedroht war. Nach umfangreichen Investitionen erwirtschaftet der Standort Gießen nun ein Plus. Dort gibt es auch keine Diskussion über einen Umbau der ambulanten Versorgung. Dagegen hat Marburg laut Medienberichten 2014 mit einem Minus von 5,6 Millionen Euro abgeschlossen. Vor der Privatisierung schrieb der Standort schwarze Zahlen.

Gesa Coordes

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