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Thema der Woche | 4. Juli 2019

"Ihrer Würde beraubt"

Leuchtfeuer-Preisträgerin Kristina Händel im Interview

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel wurde 2017 wegen angeblicher Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt und löste eine bundesweite Debatte aus. Im Express-Interview erzählt sie, warum ihr Kampf noch lange nicht vorbei ist.

Express: Frau Hänel, Sie werden am Dienstag mit dem "Marburger Leucht­feuer für soziale Bürgerrechte" ausgezeichnet – weil Sie einen freien Zu­gang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche schaffen wollen. Was treibt Sie dazu an?

Kristina Hänel: Dass ich täglich erlebe, was es bedeutet, wenn Frauen nicht richtig informiert sind. Und wenn sie dann fehlgeleitet werden, zum Beispiel von Seiten von Abtreibungsgegnern wie "Babykaust" und dadurch so schmerz­hafte Erfahrungen machen. Ich finde, das gehört sich nicht Frauen gegenüber: dass man sie so ihrer Würde beraubt.

Express: Im Internet gibt es unzählige Seiten von Abtreibungsgegnern, die falsche Informationen verbreiten. Wie finden Sie es, dass Ärzte umgekehrt ganz allgemeine Informationen nicht veröffentlichen dürfen?

Kristina Hänel: Es ist ja so, dass jeder Mensch in Deutschland über Schwanger­schafts­ab­brüche sagen darf, was er will. Und das sind eben auch Fehl­in­for­ma­tionen und es sind zum Teil bewusste Fehl­in­for­mationen dabei, aber die Fach­leute, die dürfen nicht informieren.

Express: ... weil Sie als Ärztin an den Schwangerschaftsabbrüchen Geld verdienen?

Kristina Hänel: An den Informationen verdiene ich ja kein Geld. Das Gesetz ist 1933 geschaffen worden, um Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, verfolgen zu können. Damit man Ärzte nicht beim Eingriff selbst ertappen musste, sondern dass sie quasi bei dem Hinweis darauf, dass sie bereit sind, Abbrüche zu machen, schon strafrechtlich verfolgt werden konnten. Dafür ist das Gesetz geschaffen und das ist dann bei der Neuregelung 1975 nochmal ein bisschen verändert worden, aber es ist speziell gegen Ärzte gerichtet, die be­ruf­lich Abbrüche vornehmen. Und wenn man das beruflich macht, muss man Geld dafür nehmen. Man darf das ja nicht umsonst machen – das ist ja auch verboten.

Der Paragraf 219a unterstellt, dass wir für Abbrüche werben, was ja bedeutet, dass man den Frauen eine bewusste Entscheidung nicht zutraut. Als ob die Hälfte der Menschheit zu dumm wäre, so eine Entscheidung zu treffen.

Express: Bisher war es so, dass über Beratungsstellungen an Ärzte ver­mittelt wurde?

Kristina Hänel: Bisher war es vom Gesetzgeber so vorgesehen, dass nur Beratungsstellen oder Ärzte Informationen über Schwangerschaftsabbrüche geben. Jetzt ist es aber häufig so, dass Ärzte, die gegen Abbrüche sind, die Information nicht weitergeben. Beratungsstellen sind auch nicht immer auf dem besten Stand. In Bayern zum Beispiel dürfen die Beratungsstellen keine Adressen herausgeben. Und momentan kommt man nur sehr schwer an Facharzttermine, was heißt, dass die Frauen irre viel Zeit verlieren. Das Problem: Die gesundheitlichen Risiken für die Frauen steigen, wenn sie länger bis zum Eingriff warten müssen. Deswegen fordert die Welt­gesundheits­orga­ni­sation (WHO) Deutschland auf, die Bedenkfrist abzuschaffen (Anmerkung der Redaktion: drei Tage zwischen Beratungstermin und Eingriff), so wie in Frank­reich.

Express: Also könnte man auch sagen, dass durch dieses Verfahren die Frauen in ihrer Entscheidungsfreiheit vom Gesetzgeber eingeschränkt werden?

Kristina Hänel: Ja natürlich, das kommt noch dazu. Frauen sind dann quasi abhängig von dem Denken und den Moralvorstellungen oder der Ausbildung der Beraterin/des Beraters beziehungsweise der Ärztin oder des Arztes.

Express: Haben Sie das Gefühl, dass diese Diskussion um den Paragraf 219a von den Abtreibungsgegnern missbraucht wird?

Kristina Hänel: Dass Abtreibungsgegner den Paragrafen benutzen, gibt es schon seit 2005, da sind Hunderte von Ärztinnen und Ärzten angezeigt worden. Seitdem ist es mit sachlichen und fachlichen Information ein bisschen wie weg­gefegt in Deutschland. Weil die Ärzte die Informationen aus dem Netz genom­men haben.

Die Politik stellt sich praktisch auf die Seite der Abtreibungsgegner, dadurch dass sie den Paragrafen jetzt nochmal zementiert hat. Die Ärzte und Ärztinnen, die rechtmäßig handeln, werden kriminalisiert, wenn sie sachlich informieren. Das ist ein Skandal.

Express: Von dem Kompromiss, den die Große Koalition zur Lockerung von Paragraf 219a gefunden hat, halten Sie nicht so viel?

Kristina Hänel: Da hat sich ja jetzt gezeigt, dass die Ärztinnen in Berlin ver­ur­teilt werden mussten, weil die Richter keinen Auslegungsspielraum mehr haben. Der war vorher noch da, jetzt ist er weg. Das ist der Nachteil von der Neu­fas­sung. Die beiden Ärztinnen wurden nach dem neuen Paragrafen verurteilt. Die wurden jetzt tatsächlich nur für die Wörter "medikamentös" und "narkosefrei" verurteilt. Ich hatte ja eine richtig ausführliche Information auf meiner Website, aber die Beiden nur diese paar Worte.

Express: Was wäre für Sie eine angemessene Lösung?

Kristina Hänel: Das Informationsverbot muss aus dem Strafgesetzbuch raus. Der Staat muss sich endlich seiner Aufgabe widmen, ein flächendeckendes am­bulantes und stationäres Angebot der Versorgung der Frauen zum Schwang­er­schafts­ab­bruch zu schaffen. Und der Staat muss den Verpflichtungen gegen­über der WHO nachkommen.

Express: Seit über 30 Jahren sprechen Sie jetzt in Ihrer Praxis mit Frauen, die darüber nachdenken, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Wie geht es den Frauen, die zu Ihnen kommen?

Kristina Hänel: Das ist ganz, ganz unterschiedlich. Jede Frau hat ihr eigenes Schicksal und ihr eigenes Leben und dementsprechend sind Frauen natürlich unterschiedlich. Da kann man eigentlich immer nur Einzelbeispiele erzählen. Gerade neulich waren zwei Frauen da, da hätte ich gerne unseren Gesundheits­minister Spahn in meine Praxis gezerrt, dass er sich einmal anguckt, in was für Situationen Frauen geraten können. Damit niemand mehr sagt, Frauen würden leichtfertig abtreiben.

Express: Die Marburger CDU kritisiert Ihre Auszeichnung – was sagen Sie dazu?

Kristina Hänel: Was soll ich dazu sagen? Ich meine, Rita Süssmuth, die ehe­malige Bundestagspräsidentin und hochrangige CDU-Politikerin hält die Lau­datio bei der Preisverleihung.

Preisverleihung Marburger Leuchtfeuer
Erstmals verleiht die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union die undotierte Auszeichnung "Marburger Leuchtfeuer" an zwei Personen: an die Ärztinnen Ruby Hartbrich und Kristina Hänel. Mit der Doppelvergabe möchte die Jury auf die unterschiedlichen Standards im Umgang mit menschlichem Leben hinweisen: Während Kristina Hänel für ihren Einsatz für den freien Zugang zur Information über Schwangerschaftsabbrüche geehrt wird, erhält Ruby Hartbrich die undotierte Auszeichnung für ihren ehrenamtlichen Einsatz auf dem Rettungsschiff "Sea Watch" im Mittelmeer.
Beide Ärztinnen mussten für ihr Engagement Beschimpfungen und Bedrohungen hinnehmen. Im Falle von Kristina Hänel wird der "Schutz des ungeborenen Lebens" als Motiv für Beleidigungen und Bedrohungen angeführt, während im Falle von Ruby Hartbrich das Leben Schiffbrüchiger auf dem Mittelmeer offenbar selbst von Regierungsvertretern europäischer Staaten faktisch für wertlos erklärt wird.
Die Laudatio auf die beiden Preisträgerinnen hält die ehemalige Bundes­tags­präsidentin Prof. Rita Süssmuth.
Die Preisverleihung ist am Dienstag, 9. Juli, um 15 Uhr, im Historischen Saal des Marburger Rathauses.

Interview: Luise Pfeifle

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