Am Dienstag, 12. November feiert die Geschichtswerkstatt eine Jubiläumsveranstaltung im Rathaus.

Als sich die Geschichtswerkstatt im Herbst 1984 unter dem Motto „Grabe, wo du stehst“ gründete, wurde ihr von verschiedenen Seiten ein frühes Ende prophezeit: „Galten wir doch vielen als linke Nestbeschmutzer ohne wissenschaftliches Standing oder ,Barfußhistoriker’ ohne institutionelle Absicherung und finanzielle Ressourcen. Und nun gibt es uns immer noch“, erinnert Regine Hommel, langjähriges Mitglied der Geschichtswerkstatt.

Man habe in den vergangenen 40 Jahren in vielen Auseinandersetzungen in der Stadt der Forschung und Wissenschaft im kritischen Blick auf deren Geschichte dem Zeitgeist kräftig auf die Sprünge helfen müssen. „Vor allem haben wir erstmals grundlegend über jüdische Geschichte in der Stadt und im Landkreis geforscht, vornehmlich über ,Ausgrenzung und Deportation’ in der Zeit des Nationalsozialismus, haben hier vieles zur Erinnerungskultur entwickelt und etabliert, haben Zwangsarbeit in Stadtallendorf und in Marburg thematisiert, über Militärjustiz in Marburg geforscht, um die Rehabilitierung ihrer Opfer, der angeblichen Wehrkraftzersetzer und Deserteure, gekämpft.“ Geschichte und Gegenwart von Burschenschaften und Verbindungen wurde zum Thema gemacht, sich mit militärischen Traditionsvereinen wie den „Marburger Jägern“ auseinandergesetzt und deren Geschichte erforscht, sich kritisch mit der Geschichte der Behringwerke beschäftigt. Auch mit Zwangssterilisierungen in Marburg und dem Umgang damit nach der NS-Zeit, in Geschichte und Gegenwart marginalisierten Außenseitern der Gesellschaft versucht, Gesicht und Stimme zu geben. „Und wir haben in ,kritischen Stadtspaziergängen’ vor allem zur NS-Geschichte in Marburg unser Wissen an eine interessierte Öffentlichkeit weitergegeben. Dies wollen wir im ersten Teil der Veranstaltung mit ehemaligen und aktuellen Mitgliedern der Geschichtswerkstatt reflektieren.“

Die zweite Hälfte soll sich mit den Fragestellungen der Zukunft beschäftigen: „Einerseits werden unsere Forschungen und Veranstaltungen hoffentlich mehr denn je gebraucht, um mit historischem Wissen Fantasien von Remigration zu begegnen. Im Gespräch könnte es auch um weitere aktuelle Anforderungen, um neue Forschungsgebiete gehen.“

Andererseits schienen sich aktuell nicht nur im äußerst rechten Spektrum der Gesellschaft Veränderungen im Zeitgeist anzudeuten: „Verlangt ,Kriegstüchtigkeit’ die Rückbesinnung auf alte Militärtraditionen, einen anderen Blick auf Opfer der NS-Militärjustiz? War der Versuch, das Hindenburggrab in der Elisabethkirche als Ort der Demokratie zu begreifen, die Verirrung eines unwissenden Leiters der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung oder das Wetterleuchten eines neuen Blicks auf den Steigbügelhalter Hitlers und andere ,große Männer’ der (Militär-) Geschichte?“ Würden aktuelle Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen einen weniger sozialen – auch historischen – Blick auf Außenseiter und Opfer in unserer Gesellschaft zur Folge haben? „Werden Gelder für historische Forschungen für ,wichtigere’ Projekte eingespart werden ,müssen’? Dazu hätten wir gern auch Ihre Stimme gehört.“

Bei der Veranstaltung am Dienstag, 12.11. um 18 Uhr im Historischen Rathaussaal wird Oberbürgermeister Thomas Spies ein Grußwort sprechen. Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter verschiedenster Institutionen aus Stadt und Kreis, Vereine und gesellschaftlicher Gruppen sind eingeladen, mit denen die Geschichtswerkstatt zusammengearbeitet hat und die ihre Arbeit unterstützt und gefördert haben.

pe/red

Bild mit freundlicher Genehmigung von Geschichtswerkstatt