Inklusives 190-Betten-Haus öffnet im Dezember 

„Es soll ein Haus für alle sein“, sagt der Marburger Jugendherbergsleiter Peter Schmidt. Im Dezember öffnet die direkt an der Lahn gelegene Herberge, von der in Zukunft auch die Menschen in der Region mehr als bislang profitieren: Direkt vom Trojedamm aus lässt sich die Sonnenterrasse erreichen, wo dann jeder vorbeikommen kann, um Kaffee zu trinken, Mittag zu essen oder sich abends auf ein Bier zu treffen. Wer sich selbst einen Eindruck von dem neuen Haus machen möchte, kann an einer Baustellenführung teilnehmen: Am 12. September und am 10. Oktober führen die Herbergsleiter Peter Schmidt und Priyantha Pelster jeweils um 15 Uhr durch das Gebäude, an dem sowohl innen als auch an den Außenanlagen derzeit noch intensiv gearbeitet wird. 

Herbergsleiter Peter Schmidt freut sich auf die Eröffnung. Interessierte führt er am 12. September und am 10. Oktober durch das Gebäude.

Im November geht die Herberge zunächst in den Probebetrieb – mit einem einzigartigen Konzept. Es handelt sich nämlich um die erste inklusive Jugendherberge Hessens. Das bedeutet, dass die Hälfte des Personals schwer behindert ist. „Wir haben ein Team von Leuten, die unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen“, sagt Peter Schmidt dazu. Zugleich wurden auch mögliche Beeinträchtigungen der Gäste berücksichtigt. Acht Zimmer sind rollstuhlgeeignet oder barrierefrei. Gemeinsam mit der Blindenstudienanstalt wurde ein Konzept für die Wegeführung erarbeitet. Leichte Sprache ist selbstverständlich. Für Menschen mit seelischer Behinderung gibt es einen Rückzugsraum, der besonders ruhig ist. Bedacht wurden die Bedürfnisse von Klein- und Großwüchsigen, von Autisten und Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Geplant sind zudem Fahrräder und Kletterwände, die auch Sehbehinderte nutzen können, sowie Stand-up-Paddle-Boards für Rollifahrer. 

Insgesamt ist das vierstöckige Gebäude mit seinen rund 190 Betten in 50 Zimmern etwas größer als die alte Marburger Jugendherberge, mit deren Abriss 2020 – direkt vor Beginn der Pandemie – begonnen wurde. Das war auch der Grund, warum das traditionsreiche Haus fast vor dem Aus gestanden hätte. Die Millionen, die eigentlich für den Neubau der Herberge geplant waren, flossen in das Überleben der anderen 29 Jugendherbergen Hessens. Doch dann setzten sich Bund, Land und Stadt auch finanziell für das Marburger Haus ein. Schließlich gehört die seit 100 Jahren bestehende Jugendherberge der Universitätsstadt zu den erfolgreichen Unterkünften ihrer Art. Das Haus zählte jedes Jahr rund 30.000 Übernachtungen und 14.000 Gäste – darunter viele Schulklassen, Sportvereine und Musikgruppen, aber auch Radfahrer vom direkt angrenzenden Lahnradweg, Reisende mit kleinem Budget und Studierende auf der Suche nach einer Unterkunft. Damit wurde ein ordentliches Plus erwirtschaftet, mit dem andere Herbergen in Hessen unterstützt wurden. Für die Zukunft geht der Jugendherbergsverband davon aus, dass die Zahl der Übernachtungen in Marburg noch einmal auf etwa 40.000 steigen wird. Zudem lässt jeder Gast – so die Bilanz von 2019 – durchschnittlich 80 Euro in der Stadt, die er in Cafés, Geschäften oder im Kino ausgibt. Das sind mehr als zwei Millionen Euro, die durch die Gäste der Jugendherberge im lokalen Handel landen, hat Schmidt ausgerechnet: „Das zeigt den Wert der Jugendherberge in Zahlen für die Stadt.“ 

Die Rezeption mit dem Speisebereich ist das Herz der neuen Jugendherberge.

15 Millionen Euro wird der Bau voraussichtlich kosten. Damit handelt es sich um den ersten Jugendherbergs-Neubau in Hessen seit mehr als 20 Jahren. Die Zimmer sind dann alle mit eigenen Duschen und Toiletten ausgestattet. Das Highlight ist der große Speise- und Gemeinschaftsbereich für bis zu 160 Menschen mit offener Bühne und direktem Zugang zur Sonnenterasse am Trojedamm. Auch der Innenhof soll in Zukunft ein Treffpunkt mit Lagerfeuer und Grilleinrichtungen, Spiel- und Sportmöglichkeiten sein. 

Zugleich ist das Haus eine sogenannte „Umweltherberge“. Es wurde im Passivhausstandard mit nachhaltigen Baumaterialien errichtet, die Sonne sorgt für Strom und warmes Wasser. Geheizt wird mit Holz. Es gibt viel Bio-Essen und regionale Kost. Dazu wird ein umfassendes umweltpädagogisches Programm für Schulklassen angeboten. Auch Bienen sollen bald einziehen. 

Unterdessen wartet Herbergsleiter Schmidt gespannt auf die ersten Gäste: „Es war ja so lange unklar, ob wir überhaupt bauen können“, sagt er: „Jetzt freue ich mich unglaublich darauf, mit dem inklusiven Team zusammenzuarbeiten, den ersten Milchcafé zu brauen und die erste Schulklasse einzuchecken.“ 

Gesa Coordes

Bilder mit freundlicher Genehmigung von DJH Hessen und Gesa Coordes