Die Theater bleiben bis mindestens Ostern geschlossen. Auch beim Hessischen Landestheater (HLTM) ruht der Spielbetrieb einstweilen. Im Express-Gespräche das HLTM-Intendantinnen-Team Carola Unser und Eva Lange über Ausfälle, Aussichten und Arbeit hinter den Kulissen.

EXPRESS: Proben und Spielen unter Pandemiebedingungen: Vieles musste ausfallen, Premieren gestrichen werden, einiges wenige kam unter strengen Auflagen zur Aufführung. Wie war das letzte Jahr für das Hessische Landestheater?

Carola Unser: Es ist richtig, dass im letzten Jahr viele der von uns geplanten Projekte (noch) nicht zur Aufführung gekommen sind. Aber wir sind dankbar für die Probenprozesse, die zumindest bei vielen Projekten weit vorangeschritten sind und für jede Vorstellung, die wir noch spielen konnten. Sehr bedauert haben wir, dass das Weihnachtsmärchen bisher keine Premiere feiern konnte. Für viele Kinder ist das ja das erste Theatererlebnis ihres Lebens und “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” wären besondere Theatermomente für Jung und Alt gewesen.

EXPRESS: Gibt es dennoch etwas Positives zu vermelden?

Eva Lange: Wir versuchen, noch spontaner als üblich zu sein, uns in Flexibilität und Offenheit zu üben und den je neuen Situationen hoffnungsfroh zu stellen. Wir haben uns im Bereich der Digitalisierung weiterentwickelt, andere Arbeits- und Probensituationen kennengelernt und versucht als Haus – trotz Home-Office – und vielen Zoom – Konferenzen uns nicht zu verlieren. Positiv ist auch, dass wir, zumindest wissentlich, bisher noch keine einzige Corona-Erkrankung in der Belegschaft hatten und es unseren Mitarbeiter*innen und uns im Gegensatz zu vielen freien Kulturschaffenden noch verhältnismäßig gut geht. Dafür sind wir sehr dankbar.

EXPRESS: Zur aktuellen Situation im Haus: Wie muss man sich die Arbeit an einem Theater vorstellen, das nicht aufführen kann?

Carola Unser: Wie immer im Theater: Es gibt sehr viele verschiedene Arbeitsplätze und damit auch Aufgaben. Derzeit befinden sich aber viele unserer Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit. Sowohl der Proben- als auch der Werkstattbetrieb ist eingestellt. Bis in den Dezember hinein haben wir aber mit Abstand und unter Einhaltung strengster Schutzkonzepte geprobt und in einigen Werkstätten auch noch gearbeitet. Das heißt Produktionen in der Schneiderei, Maske, Requisite und den technischen Abteilungen Licht, Ton, Schlosserei, Tischlerei und Malsaal so vorbereitet, dass wir schnellstmöglich, wenn es wieder geht, Produktionen zur Premiere bringen könnten.

EXPRESS: Es gilt sicherlich nicht für alle Jobs die Option Home-Office, siehe Proben- und Werkstättenbetrieb …?

Carola Unser: Das ist grundsätzlich richtig, deswegen ist die Kurzarbeit ein hilfreiches Instrument, auch Theater durch die Krise zu navigieren. Andere Bereiche wie Öffentlichkeitsarbeit und Dramaturgie arbeiten sehr viel im Home-Office und einzelne wenige Mitarbeiter*innen auch vor Ort. Aber auch hier bemühen wir uns für den größtmöglichen Schutz für unsere Mitarbeiter*innen und leisten mit dem ganzen Haus jeden Tag unseren Beitrag, um das pandemische Geschehen zurückzudrängen.

EXPRESS: Nun bleiben neben Kinos und Museen auch die hessischen Theater weiterhin geschlossen. Als frühester möglicher Öffnungstermin wird Ostern angestrebt. Bis Anfang April ist noch einige Zeit …

Eva Lange: Wir nutzen die Zeit, um die Mitarbeiter*innen und uns selbst fortzubilden und als Theater inhaltlich weiter an Themen zusammenzuarbeiten. Außerdem bereiten wir die nächste Spielzeit vor, arbeiten unter der Kuratierung von Simon Olubowale und zusammen mit weiteren Kulturinstitutionen und freien Künstler*innen/Aktivist*innen in Marburg an der Vorbereitung des “Black History Month”. Die Schauspieler*innen betreiben Textpflege, sitzen am Theatertelefon, entwickeln Ideen für ein pandemisches und nach-pandemisches Theater. Und die Verwaltung eines Theaters, das keine Vorstellungen spielen kann, ist – wie sich die letzten Monaten gezeigt hat, in keinen Moment weniger aufwendig als ein offenes Theater.

EXPRESS: Welche Folgen hat der Lockdown für die Programmgestaltung des Jahres 2021, das KUSS-Festival, die Freiluft-Produktionen im Sommer?

Carola Unser: Tatsächlich werden wir einige Produktionen in dieser Spielzeit nicht mehr zeigen können bzw. auch nicht mehr produzieren. Das KUSS-Festival kann aufgrund der geschlossenen Theater in der uns bekannten Form leider nicht stattfinden. Aber an unserer großen Freilicht-Produktion “HAIR” und auch weiteren Ideen für den öffentlichen Raum halten wir unbedingt fest.

EXPRESS: Auch im Theater können Ausweich-Strategien wie Streamings auf Dauer kein Ersatz für das Live-Erlebnis der Bühne sein. Alternativen?

Eva Lange: Wir haben ja bereits schon andere Angebote gemacht: “Mit einem Ohr im Theater”, eine Telefonlesung, oder Inside-Out-Lesungen wie die Liebesbrief-Aktion. Und es gibt auch weitere Ideen – lassen Sie sich überraschen.

EXPRESS: Wagen wir einen optimistischen Blick in die Zukunft. Wenn sich alles entwickeln sollte wie gewünscht, steht nach dem Ende der Durststrecke ja einiges an HLTM-Produktionen an …

Eva Lange: Ja, irgendwann wird es dann eine ganze Reihe von Premieren und Angeboten geben. Also ganz viel Theater … Und da viele Marburger*innen und unser Freundeskreis uns in den vielen Wochen seit Beginn der Pandemie sehr zur Seite stehen, sind wir mutvoll, dass es viele Kulturhungrige geben wird, wenn es wieder los geht. Die Hoffnung ist, dass wir das, was wir jetzt vermissen, um so mehr beschützen, besuchen und genießen, wenn es wieder geht. Denn Themen – jenseits von Corona – gibt es viele. Und vor allem für Kinder und Jugendliche möchten wir, sobald als möglich, wieder spielen.

“Mit einem Ohr im Theater” – Alternative “Telefonvorstellung”

“Erinnern Sie sich noch? Wir trafen uns stets in einem Raum, in einer Zeit. Sie waren da und wir waren da, Sie im Saal und wir auf der Bühne. Sie haben uns mit ihrer unmittelbaren Aufmerksamkeit beschenkt und wir haben für Sie gespielt.
Wir halten diese Aufmerksamkeit hoch und wollen das gemeinsame Jetzt nicht unumkämpft lassen. Die Umstände haben uns dieses Privileg genommen, doch unsere Gedanken schwirren um den Erhalt dieses Zaubers. Darum wollen wir neben den unendlichen Weiten des Internets auch ein anderes Medium nutzen, das zumindest einen Aspekt dieses Zaubers erhalten kann. Das Telefon.
Sie rufen an und die ,Vorstellung` beginnt. Sie dauert 3 bis 7 Minuten und beherbergt Texte junger Autor*innen, die unserem Haus ans Herz gewachsen sind. Bisher ungehört, ganz frisch, der Magie der Unmittelbarkeit einen Ort gebend, einen faszinierenden Moment der Vergänglichkeit schaffend, der dem bleibendem Erlebnis weichen wird. Wenn Sie Lust und Mut haben, dann versuchen Sie in den ,Vorstellungszeiträumen` ihr und unser Glück. Geteilte Zeit im gemeinsamen Jetzt kann die Nähe sein, die uns allen so bitter fehlt in diesen Tagen. Sie sind da und wir sind da, zur selben Zeit.”
Die nächste Vorstellung “Mit einem Ohr im Theater” findet statt am Freitag, dem 22.1. von 19.00 bis 20.00 Uhr. Anmeldung unter 06421/990245. Weitere Infos unter www.hltm.de.

pe/red

Interview: Michael Arlt

Bild mit freundlicher Genehmigung von Michael Arlt