Bei der ersten Ausstellung des neuen Jahres zeigen Studierende und Lehrende der Institute für Bildende Kunst in Barcelona und Marburg ab Freitag 17.1. aktuelle Arbeiten. Über diesen Höhepunkt einer katalanisch-mittelhessischen Forschungskooperation sprach der Express mit Klaus Lomnitzer, geschäfts­führender Direktor des Marburger Instituts für Bildende Kunst.

EXPRESS: Wie kam es zur Forschungskooperation zwischen dem Institut für Bildende Kunst der Philipps-Universität Marburg und der Facultad de Bellas Artes der Universitat de Barcelona?

Klaus Lomnitzer: Die Initialzündung war, dass meine Kollegin Helmi Ohlhagen aus einem Impuls heraus unsere 2017 neue künstlerische Mitarbeiterin am Institut für Bildende Kunst Ines Schaikowski fragte, ob sie sich vorstellen könne, eine Kooperation mit der Universität Barcelona in die Wege zu leiten, da sie an der dortigen Facultad de Bellas Artes studiert hatte. Sie reagierte positiv und machte sich mit ungeahntem Elan an die Arbeit.

EXPRESS: Was ist das Besondere an diesem deutsch-spanischen Projekt?

Klaus Lomnitzer: Angesichts der alltäglichen Verwaltungsaufgaben und all­gemeinen Arbeitslast an den Universitäten eigentlich Alles. Im Ernst, ohne ein überdurchschnittlich engagiertes Kollegium und motivierte Studierende wäre eine Kooperation und eine solche Ausstellung auf diesem Niveau im Marburger Kunstverein höchstens denkbar. Besonders für Studierende ist es eine anspruchsvolle Herausforderung und notwendige Übung, auf sprachlicher Ebene die eigene Kunstpraxis und Haltung zu reflektieren und ihre Arbeiten auch außerhalb gewohnter Verhältnisse souverän zu präsentieren. Aber ein internationaler Austausch ist generell fruchtbar und bringt neue Impulse, nicht nur für Studierende.

EXPRESS: Wie gestaltet sich der Austausch konkret?

Klaus Lomnitzer: Seit etwa 1 1/2 Jahren können Studierende beider Uni­versi­täten für ein Semester über das Erasmus-Programm die Partner­universität besuchen. Ebenso ist ein Dozentenaustausch möglich. Die Forschungs­kooperation bestand zunächst vor allem darin, ein Seminar mit dem Titel Metanarrativas, das länger schon in Barcelona angeboten wurde, mit einem in Marburg zu synchronisieren. Um diese Veranstaltungen herum wurden diverse Workshops, Artist Talks und eine Exkursion organisiert. Mit der Ausstellung im Marburger Kunstverein wird ein vorläufiger Höhepunkt dieses Projekts erreicht.

EXPRESS: Sind die Bedingungen an den Instituten vergleichbar?

Klaus Lomnitzer: Sie ahnen sicher, dass die Fakultät in Barcelona wesentlich größer ist. In Marburg gibt es z.B. keine Kursangebote für Plastik/Skulptur. Das heutige Institut für Bildende Kunst ging aus dem Institut für Grafik und Malerei hervor. Für weitere Werkstätten fehlen aktuell Platz und Personal. Die Grundlage unserer Kooperation sind vergleichbare Masterstudiengänge. Eine anhand der Ausstellung belegbare Gemeinsamkeit scheint mir zu sein, dass sich Studierende und Lehrende in Bezug mit ihren künstlerischen Fragestellungen durch eine spezifische Intensität und Ernsthaftigkeit auszeichnen.

EXPRESS: Wie ist eigentlich der Titel “Metanarrativas 1.164,42 km” zu verstehen?

Klaus Lomnitzer: Metanarrativas, auf Deutsch Metaerzählungen ist ein Begriff, der in der Postmoderne aufkam. Immer geht es um Referenzen und Meta­­ebenen. Kunst bildet nicht nur ab, sondern ist immer eingebunden in ver­schiedenste Kontexte und Beziehungsstrukturen. Das macht sie so interessant und vermittlungswürdig. Und 1.164,42 km trennen beide Städte räumlich voneinander, eine Distanz, die wir vorhaben, im Kunstverein auch inhaltlich aufzuheben.

EXPRESS: Was wird bei der Marburger Ausstellung zu sehen sein?

Klaus Lomnitzer: Mit unterschiedlichsten Malereien, Zeichnungen, Video- und Rauminstallationen und Plastiken ist ein breites Spektrum an Medien vertreten. Besucherinnen und Besucher können sich auf wirklich sehenswerte Einblicke in eine bildnerische Praxis, die sich auf sich selbst, aber auch auf aktuelle Thematiken bezieht, freuen. Interessant und freundlich aufregend ist, dass Studierende und Lehrende zweier Ausbildungsorte hierarchiefrei gemeinsam ihre Arbeiten präsentieren. Insgesamt wird eine repräsentative Auswahl künstlerischer Arbeiten von 31 Studierenden, Alumni und Lehrenden beider Universitäten vertreten sein.

Im Arbeitsprozess reagieren Kunstschaffende immer wieder auf Zufälle und arbeiten mit diesen; in einer anspruchsvoll kuratierten Ausstellung, bei der die Herausforderung darin besteht, dass die Summe der Arbeiten mehr ist als die einzelnen Beiträge, ist der Zusammenklang der miteinander präsentierten Arbeiten alles andere als zufällig, sonst wäre es unorganisierter visueller Krach.

EXPRESS: Kann man so etwas wie landesspezifische Unterschiede in den Herangehensweisen entdecken?

Klaus Lomnitzer: Sicher wird es Unterschiede geben, aber ich wäre bei vor­schnellen, wenn auch reizvollen Zuordnungen vorsichtig. Sicher könnte ein Ratespielmodus, in dem sich Besucherinnen und Besucher durch die Aus­stellung durchquizzen und heiter fragen, wer aus welchem Land kommt, eine Annäherungsoption sein. Dieser Filter wird den einzelnen Ansätzen jedoch nicht gerecht. Dass in vielen Fällen ein ganzer Kosmos an Interessen, Gedanken und Werken hinter den gezeigten Arbeiten steht, ginge dabei unter und verhinderte empathischere Zugänge. Umso wichtiger ist es, dass sich bereichernde Bezüge der verschiedensten Exponate untereinander ergeben.

Außerdem besticht Kunst ja häufig durch Eigensinn und eben einem anderen, vermeintlich schrägen Blick auf die Welt, und so ist auch in der künstlerischen Ausbildung vieles von den lehrenden Künstlerpersönlichkeiten und den jeweiligen Kontexten, die sie offerieren, abhängig. Der Blick auf die Liste der Beteiligten lässt bereits die multinationale Atmosphäre an beiden Institutionen erahnen.

EXPRESS: Welche Impulse erhoffen Sie sich von der Ausstellung?

Klaus Lomnitzer: Es wäre schön, wenn mit dieser Ausstellung, mit diesem jungen und internationalen Potential Kunst auch einem jüngeren neugierigen Publikum in Marburg zugänglich wird und das Potential von künstlerischem Studium und Lehre in Marburg und Barcelona wahrgenommen wird. Und sollte der aktuellen Ausstellung eine weitere in Barcelona folgen können, wären wir Marburger sicher nicht traurig …

Klaus Lomnitzer
…, 1970 geboren in Marburg, 1992-99 Studium der Bildenden Kunst und der Philosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, seitdem zahlreiche Ausstellungen und Auszeichnungen, ist seit 2016 Professor für Grafik und Malerei am Institut für Bildende Kunst, FB 09 Germanistik und Kunstwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg.

Interview: Michael Arlt

Bild mit freundlicher Genehmigung von "Modulo 1", Yosman Bodero Gómez