EXPRESS: Wie kam die Idee zu “Sibirien eiskalt” zustande?

Konstantin Abert: Das ist eine lange Geschichte, die auf meine Jungendliebe und heutige Frau zurückgeht. Sie lebte zu Sowjetunionzeiten oberhalb des Polarkreises auf der Halbinsel Kola. So lernte ich die Polarnacht mit 24 Stunden Dunkelheit und viel Schnee und Frost kennen. Im Laufe der 90er fuhr ich immer wieder mit meinen Self-Made-Reisemobilen von Mainz nach Murmansk und kämpfte mich durch den russischen Winter. Dabei blickte ich auf die Klimakarte Russlands und sah, dass im Osten es gleich dreimal so kalt wie auf der Halbinsel Kola wird. Das wollte ich erfahren, obwohl ich kein Freund von Kälte und eher Warmduscher bin.

EXPRESS: Sie beschreiben Sibirien als “Geheimtipp für abenteuerlustige

Individualreisende”. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Konstantin Abert: Nun, durch meine Frau habe ich Russisch sprechen gelernt und hatte zudem schon jede Menge Russlanderfahrungen. In Sibirien, fernab der großen Städte, wird kaum einer eine Fremdsprache verstehen. Dort unterwegs zu sein ist absolut authentisch, weil diese Gebiete in keinerlei Hinsicht touristisch vorbelastet sind. Der Überlandbus kommt vielleicht erst einen Tag später, hat manchmal keine Heizung und wird mehrfach unterwegs geflickt. Der Atem der Fahrgäste gefriert an den Innenseiten der Scheiben und die Eistruhen brauchen draußen keinen Stecker. Die Toiletten sind oft unter freiem Himmel. Wie das geht, fragen Sie? Schnell! Das ist abenteuerlicher als bei uns.

EXPRESS: Worin liegen die Vorteile, ein solches Unternehmen mit dem Reisemobil anzugehen?

Konstantin Abert: Ein Reisemobil macht flexibel und unabhängig. Fahren wann du willst, bleiben, solange du willst, und alle Sachen sind immer dabei. Allerdings gibt es generelle Einschränkungen für ein Reisemobilerlebnis in extremer Kälte. Das Fahrzeug und seinen Insassen müssen gut darauf vorbereitet sein. Kenntnisse in Technik und Survival sind umso angebrachter, je abgelegener und kälter man unterwegs sein wird. Zudem geht russischer Winter nur mit Allradantrieb, sobald man die Städte verlässt. Schneewehen, glatte Anstiege und gefrorene Sümpfe ließen normale Fahrzeuge schnell scheitern.

EXPRESS: Die jährlichen Temperaturschwankungen in Sibirien sind extrem. Waren spezielle Umbauten für die Reise notwendig?

Konstantin Abert: Ja, ich hatte ein russisches Fahrzeug erworben, einen Ural-UAS-Bus, etwas größer als ein VW-Bus. Dieser wurde nun auf die Wintervariante umgerüstet. Die Scheiben bekamen eine zweite mit Abstand dazwischen aufgeklebt. Die Wände und Decke wurden innen zwecks Isolation verkleidet. Zudem gab es die Motorwintermütze. Auf die Motorhaube und über die Lüftungsschlitze kommt ein dicker Filzbelag mit Lederaußenhaut. Auch der Motor selbst bekommt noch einmal einen Filzüberzug, damit die Wärme nicht gleich verloren geht. Über den Motor wird schließlich auch die Heizung des Innenraums betrieben. Bleibt der Motor bei 50 Grad kalt, ist es auch im Wohnraum kalt. Wobei Wohnraum auf zur Liege umklappbare Sitze, einen Tisch und etwas Stauraum begrenzt ist. Ein normales weißen Reisemobil, so wie sie bei uns in Europa unterwegs sind, hätte in der Kälte keine Chance. Das Propangas in den Flaschen bliebe bei diesen Temperaturen flüssig, man könnte nicht heizen. Das viele heutzutage verbaute Plastik würde reißen oder brechen. Im sibirischen Winter ist einfache und rustikale Technik am besten geeignet.

EXPRESS: Wie reagierten die Leute am Wegesrand auf den ungewöhnlichen Besuch aus Deutschland?

Konstantin Abert: Die Einheimischen – und das sind die Einzigen, die man trifft – sind begeistert. Von “Sich gerade Kennenlernen” bis zu “Eingeladen werden” vergehen ein bis zwei Sätze. Oft habe ich diese Einladungen angenommen. Es waren immer ganz herzliche, originelle und total natürliche Begegnungen, teilweise sind daraus Freundschaften entstanden. Sehr schnell waren wir per du, eigentlich sofort. Je abgelegener die Begegnungen stattfanden, umso vertrauter waren die Zusammenkünfte. Meist gab es Tee und Wodka. Immer gab es Stroganina. Das ist roher, tief gefrorener Fisch. Zum Essen schält man die Haut mit einem Messen ab und schneidet dann dünne Scheiben vom Fischköper herunter. Die Scheibchen, alles roh und tiefgefroren, ringeln sich wie Chips. Eingetunkt in ein Salz-Pfeffer-Gemisch, taut der rohe Fisch beim Essen. Das ist fantastisch – es schmeckt kein bisschen nach Fisch – einfach nur fein und mild. Zu diesem Urteil komme ich immer wieder, unabhängig, ob ich einen Wodka intus hatte oder nicht.

EXPRESS: Was waren die größten Herausforderungen auf der Tour?

Konstantin Abert: Die Kälte und die Technik. Unser UAS ist unser Leben. In der Kälte ist aber alles schwieriger und von großem Verschleiß gekennzeichnet. Der Motor muss immer laufen. Ist er für mehr als 40 Minuten aus, springt er in der Kälte nicht mehr ohne fremde Hilfe oder besondere Maßnahmen an. Federblätter und andere bewegliche Teile brechen leichter, Schläuche sind knochenhart und können splittern. Reifen stehen sich platt und müssen ganz vorsichtig ihre Frostbeulen weich gefahren bekommen. Wie das geht, erzähle ich im Vortrag.

EXPRESS: Gab es auch schräge Situationen?

Konstantin Abert: Jede Menge jeden Tag. Am skurrilsten waren die Fisch­ge­schenke. Sobald wir auf gefrorenen Flüssen fuhren, ging der Verkehr merklich zurück. Eine Fahrzeugbegegnung pro Tag – das war dann schon die Rushhour. Bei jeder Begegnung stoppte man an und unterhielt sich. Erstaunt und begeistert über die seltene Begegnung mit Deutschen bekamen wir immer Fische geschenkt. Diese Fische packten wir aufs Dach in einen Sack. Im Lauf der Reise füllte sich der Sack, wir hatten bald über 50 Kilogramm rohe gefrorene Fische dabei.

EXPRESS: Und die schönsten Momente?

Konstantin Abert: Die Rückkehr in die Wärme. Wenn ich draußen eine Foto­szene hatte oder tief in die Natur wanderte, konnte ich mich noch so dick einpacken – langsam, aber sicher wurde es mir kalt. Gerade der Wind war erbarmungslos, selbst wenn es nur 35 Grad hatte. Minus natürlich. Zurück im warmen Auto ließ die Lebensgeister zurückkehren. Eine heiße Suppe, ein Tee drinnen, und der Winterwind rüttelte am Auto draußen – das war wunderbar. Und unvergessen ist die Herzlichkeit der Menschen, die uns immer und überall aufrichtig halfen. Sibiriens abgelegene Regionen sind einfach herrlich ehrlich.

EXPRESS: Wurde es auch mal richtig kritisch?

Konstantin Abert: Ja, einmal. Unser Auto brannte im Motorraum. Ich griff in die Flammen und riss die brennenden Teile heraus und warf sie ins Freie, um ein Übergreifen auf die Benzinleitungen zu verhindern. Dabei holte ich mir Verbrennungen, hatte aber immerhin das Feuer löschen können. Innerhalb einer Minute fiel die Temperatur von 20 Grad plus auf minus 45 Grad. Der Motor lief nicht mehr, nachdem vieles verschmort war. Wir hatten die Türen weit aufgestellt, um den Qualm abziehen zu lassen. Der Frost drang in meine Verbrennungen. Bis heute habe die Narben am linken Unterarm als ewiges Andenken. Ein Kurzschluss im Scheinwerferkabel, das ohne Sicherung nachträglich montiert worden war, hatte den Brand ausgelöst. Wir hatten Glück im Unglück. Schon nach einer halben Stunde tauchte ein anderes Fahrzeug und schleppte uns ins nächste Dorf. Nach dem Schock folgte das Schöne. Die beispiellose Hilfe der Einheimischen. Vier Tage später setzten wir mit Verband und geflicktem Fahrzeug die Reise fort. Die Russen sagen: Je kälter es draußen wird, umso wärmer werden die Herzen der Menschen. Der Vortrag wird dies eindrucksvoll bestätigen.

“Sibirien eiskalt”: Lichtbildshow von Konstantin Abert – Do 9.1.19.30 Uhr, KFZ

Interview: Michael Arlt

Bild mit freundlicher Genehmigung von Konstantin Abert