Die Rolle von Frauen in der extremen Rechten wird oft unterschätzt oder gar nicht erst wahrgenommen. Dabei sind sie Organisatorinnen, Provokateurinnen und mitunter auch offen gewalttätig, sagt die Marburger Politik­wissen­schaft­lerin Ursula Birsl.

Dass mit Beate Zschäpe eine Frau im Zentrum des rechtsterroristischen “Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU) stand, hat Ursula Birsl nicht über­rascht. Zschäpe gehörte allerdings zu den wenigen Frauen, deren Rolle vor Gericht nicht unterschätzt wurde, sagt die Marburger Politikprofessorin. Als Mittäterin bei der Ermordung von neun Migranten und einer Polizistin wurde die Rechtterroristin zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ursula Birsl forscht seit 35 Jahren über “Rechtsextremismus und Gender”. Dies war bereits das Thema ihrer Promotion an der Uni Göttingen, wo sie anhand von Fallstudien in zwei Berufsschulen den rechten Einstellungen bei Jugend­lichen und Auszubildenden nachging. Damals war das Thema noch neu. Birsl stellte fest, dass sich die Geschlechter bei den extrem rechten Einstellungen nur wenig unterscheiden. Zahlreiche Drittmittelprojekte zum Thema folgten. Dabei beobachtete sie immer wieder, dass Rechtsextremismusforschung sehr von Konjunkturen abhängig ist: “Es ist wirklich zynisch, weil es immer Toter, spektakulärer Wahlerfolge oder Pogrome bedarf, um Drittmittel zu bekommen”, sagt die Wissenschaftlerin. Nach der Ermordung des Kasseler Regierungs­prä­si­denten Walter Lübcke geht sie davon aus, dass nun wieder neue Projekte bewilligt werden.

Noch in Göttingen baute sie den Forschungsschwerpunkt “Migration und Migrationspolitik in Westeuropa” auf, über den sie sich habilitierte, und forschte in Spanien und Großbritannien. Nach Vertretungs- und Gastprofessuren in Gießen, Greifswald, Berlin, Erfurt und Göttingen wurde sie 2010 auf den Lehrstuhl für Demokratieforschung mit dem Schwerpunkt EU der Marburger Philipps-Universität berufen, ein Institut mit mehr als 700 Studierenden, wo sie mit Begeisterung lehrt. Regelmäßig arbeitet sie auch mit Kommunalpolitikern und Verwaltungen zusammen. So hat sie mit einem Team von Studierenden die wissenschaftliche Begleitung zum neuen BürgerInnenbeteiligungsverfahren der Stadt Marburg übernommen: “Das gehört für mich dazu”, sagt Birsl, die in ihrer Studienstadt Göttingen mehrere Jahre Juso-Vorsitzende war.

Im vergangenen Jahr hat sie mit ihrem Team eine Analyse von Täterinnen und Betroffenen rechter Gewalt vorgelegt, die sich auf die Medienberichte über mehr als 500 Fälle stützt. Unstrittig sei, dass die rechten Gewalttaten überwiegend von männlichen Jugendlichen und jungen Männern ausgingen, so Birsl. Doch die Frauen waren in mindestens 15 Prozent der Fälle vertreten. Ihr Anteil könnte jedoch auch deutlich höher sein, da Frauen rechte Gewalthandlungen nicht zugetraut werden. “Sie werden in diesem Zusammenhang häufig schlicht übersehen”, sagt Birsl. Sogar dann, wenn ihre Fälle vor Gericht landen, werden sie oft gar nicht als politisch handelnde Personen wahrgenommen. Dieser “Wahrnehmungsfilter” führe dazu, dass häufig eher über ihre persönlichen Beziehungen zu einem Mann aus der Szene als über ihre politischen Motive gesprochen werde.

Dabei spielen junge Frauen vor allem bei der Planung, beim Beschaffen von Brandbeschleunigern für Anschläge, als Fahrerinnen und als “Agente provateure” eine wichtige Rolle. In einem ihrer Fälle verhinderte die beteiligte Frau, dass die Polizei gerufen wurde. In einem anderen Fall provozierten Frauen einen Überfall auf ein Asylbewerberheim in Sachsen-Anhalt, indem sie posteten, die Flüchtlinge hätten Mädchen belästigt. Vor Ort versuchten sie, die Asylbewerber herauszulocken. Als dies misslang, stürmte eine Gruppe von Männern und Frauen die Unterkunft.

“Frauen spielen eine wichtige, manchmal sogar zentrale Rolle”, sagt Birsl: “Sie schaffen den Background für Männer, die Gewalt ausüben.” In ländlichen Bereichen seien es die Frauen aus den ultrarechten Kameradschaften, die in Elternbeiräten oder Nachbarschaftsinitiativen aktiv würden. Und wenn sie Gewalt einsetzen, unterscheide sich diese in ihrer Intensität nicht von der der Männer. Es erwecke sogar den Eindruck, “dass Gewalt aus einer geschlechts­heterogenen Gruppe heraus sogar besonders brutal ist”, so Birsl.

Aktuell arbeitet die Demokratieforscherin mit ihrem Team an der Auswertung des von ihr koordinierten Forschungsverbundes “Pandora”, das vom Bundes­forschungsministerium mit insgesamt 2,6 Millionen Euro gefördert wird. Dabei geht es um die Frage, wann aggressive Internetrhetorik in Gewalt umschlägt. Die Marburger Politikwissenschaftlerin kümmert sich um das Teilprojekt zur extrem rechten Propaganda. Untersucht wird dies am Beispiel von fünf Städten, in denen es Straftaten oder Vorfälle aus der rechten Szene heraus gab.

Dabei zeigt sich, dass die Akteure im Netz in diesen Fällen nicht identisch mit den Tätern vor Ort sind. In geschlossenen Facebookgruppen sei dies wahr­scheinlich anders, vermutet Birsl. Sie wertete jedoch nur offen zugängliche Netzwerke bei Facebook, Twitter, VK und Telegram aus. Diese Hetze diene vor allem dazu, Gewalt zu legitimieren und rechte Täter zu ermutigen, sagt Birsl.

Zugleich beobachtete das Team Runde Tische vor Ort, an denen Kommunal­politiker, Nachbarschaften und Bürgerschaftsvertreter teilnahmen. Er­staun­licher­weise ging es in den Diskussionen dann aber oft nicht mehr um die rechten Straftaten, sondern um Islamismus oder Linksextremismus. “Wir müssen auch über links reden”, lautet ein typischer Debattenbeitrag – auch, wenn es dazu gar keine aktuellen Vorfälle gibt.”Diskursverschiebung” nennt Birsl diese Relativierung rechter Gewalt. Zugleich werden Gruppen – selbst Wohlfahrtsverbände –, die sich offen gegen rechts engagieren, als Nest­be­schmutzer behandelt und müssen mit Repressalien rechnen. Das Marburger Team entwickelt nun ein Präventionsprogramm für die Bundeszentrale für Politische Bildung, das sich vor allem an Lehrkräfte richtet.

Von “Radikalisierung” spricht Birsl angesichts ihrer Forschungen bewusst nicht. Es gebe eine “Enthemmung”, sagt die Forscherin, die selbst darüber staunt, welch drastische Äußerungen sowohl auf der Straße als auch in den sozialen Netzwerken zu hören und zu lesen sind. “Die rechte Szene ist insgesamt nicht größer geworden, aber militanter und gewaltbereiter”, sagt Birsl. Ihre aktuelle Frage sei: Wie gefährlich ist dies für die Demokratie? Ihre These: Rechts­po­pu­lis­tische Parteien wie die AfD sind brisanter für die Demokratie als rechte Gewalt­täter.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg