Wer vor dem Krieg in der Ukraine flieht, muss sich in Deutschland erst einmal zurechtfinden. Die Hochschulgruppe BRUKS bietet Geflüchteten in Marburg mehr als nur eine Anlaufstelle. Aus unserer Serie “Der Krieg und die Folgen”.

Es ist eine vertraute Atmosphäre, die Gäste beim Familiencafé der Hochschulgruppe Bruks empfängt. Als würden sich die Besucher schon seit Jahren im Kerner am Lutherischen Pfarrhof treffen – und nicht erst seit Mitte 2022. An einer langen Tafel im Gewölbekeller sitzen rund ein Dutzend Jugendliche, die leidenschaftlich miteinander diskutieren. Immer wieder wird gelacht und applaudiert. Zwischendrin läuft ukrainische Popmusik. Sie spielen “Mafia” – ein Gesellschaftsspiel, bei dem die Teilnehmer ihren kriminellen Gegenpart – die Mafiosi – ausfindig machen und hinrichten müssen. Auch in Deutschland ist das Spiel beliebt – hier trägt es allerdings den Namen “Werwolf.” Angeleitet werden die Jugendlichen dabei von Ekaterina, die aus der Ukraine kommt. Jeden Dienstag übt sie mit den Jugendlichen im Familiencafé. An diesem Abend wird es noch einige Stunden dauern, bis die letzte Mafia-Runde vorbei ist.

Bruks ist eine Vereinigung von belarussischen, russischen, ukrainischen und kasachischen Studierenden, die Kriegsflüchtlingen ehrenamtlich hilft. Am 6. April wurde die studentische Initiative in Marburg gegründet. „Jeder hat hier einen Ort, an der er machen kann, was er machen will,” erklärt Student Dimi. Im Familiencafé treffen sich nicht nur die Mafia-Spieler; auch Tanzkurse, ein Backkurs und ein Psychologiekurs finden dort statt. Menschen, die vor Diktatur oder Krieg fliehen, können dort aufeinandertreffen und sich austauschen. Im Mittelpunkt stehen dabei Familien, Kinder und Jugendliche.

„Nach Kriegsbeginn hatten wir das Bedürfnis zu handeln. Bruks ist unsere Reaktion auf den Krieg,“ sagt Katharina, die wie Dimi in der Hochschulgruppe tätig ist. Gemeinsam mit 16 weiteren Mitgliedern engagieren sie sich für alle Menschen, die ihre Heimat im Zuge des Kriegs in der Ukraine verlassen mussten – oder es in Zukunft tun möchten. Das Familiencafé ist nur ein Projekt der Gruppe – eines jedoch, das regen Anklang findet. Unterstützt werden die Mitglieder dabei von der Familienbildungsstelle Marburg.

“Bruks hat eine Atmosphäre geschaffen, in der man sich sicher fühlt. Als ob man zu seiner Mutter oder seinem Vater kommt,” berichtet Olga, die beinahe jedes Familiencafé besucht. Zusammen mit ihren drei Kindern ist sie aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw geflohen. Hier in Deutschland habe sie häufig das Gefühl, fremd oder lästig zu sein. “Wenn ich hierher komme, habe ich aber das Gefühl, dass man sich freut, dass ich da bin.” Am Familiencafé schätzt Olga außerdem, dass es so regelmäßig stattfindet und dass die freiwilligen Helfer ihre Motivation nicht verlieren – für sie keine Selbstverständlichkeit.

Ein weiteres Projekt der Hochschulgruppe ist der Bruks-Chat – einer Telegram-Gruppe, die mittlerweile über 700 Mitglieder hat. Wie im Familiencafé können sich dort Geflüchtete austauschen und Fragen zum Leben in Deutschland stellen. Häufig seien es Formulare, mit denen die Menschen aus der Chat-Gruppe Schwierigkeiten haben, berichtet Dimi. Kürzlich erst habe eine ukrainische Frau ein Schreiben der Schule ihres Sohnes gepostet – komplett auf Deutsch verfasst. „Unser Grundsatz für den Chat lautet: Keine Nachricht ohne Antwort! Wenn es irgendwie geht, dann helfen wir,“ erklärt Dimi. Viele Probleme ließen sich bereits über den Chat lösen – etwa wenn andere Mitglieder ihre Erfahrungen mit deutschen Formularen dort teilten.
In anderen Fällen sei hingegen ein Dolmetscher notwendig – etwa bei Arztbesuchen. Auch der wird über den Chat vermittelt. Mittlerweile verfügt Bruks über einen Pool an Studierenden, die ehrenamtlich dolmetschen.

Auch zwei Demonstrationen hat Bruks bereits organisiert – jeweils eine im April und eine im Juli. Damit setze man nicht nur ein klares Zeichen gegen den Krieg. Die Demonstrationen seien auch ein Weg, am politischen und gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilzuhaben, erklärt Katharina. Denn für viele Geflüchtete sei es sehr wichtig, sich zu integrieren.
Für sie und Dimi haben die Demonstrationen noch eine weitere Dimension. Beide stammen aus Russland und sind fürs Studium nach Marburg gekommen. „Uns ist wichtig, dass wir in Deutschland demonstrieren können und mit politischen Parteien reden können. Auch die Menschen in Russland oder in Belarus sollen sehen, dass es in anderen Ländern Menschen gibt, die gegen den Krieg protestieren.“

Lars Bieker

Weitere Informationen: https://bruks-marburg.de/

Bild mit freundlicher Genehmigung von Hochschulgruppe BRUKS