Herde könnte nach Wiesenbach umziehen

Sie stehen direkt am Lahnwanderweg vor den Toren Feudingens: Sieben kanadische Bisons und fünf Wisente. Die gewaltigen Wildrinder gehören Rentner Achim Wickel, der das private Artenschutzprojekt vor acht Jahren gestartet hat. Und nun ziehen Bisons und Wisente über die Wiesen an den Ausläufern des Rothaargebirges als seien sie in den Weiten Kanadas oder der Karpaten. Allerdings ist das weitläufige Gelände rund um Achim Wickels mehr als 350 Jahre alten Hof eingezäunt. Wanderer, Touristen und Familien bewundern Bisons und Wisente an ihren Futterstellen direkt am Gatter. Und bald  dürfte die ungewöhnliche Zucht noch mehr Zaungäste anlocken. Vier der urigen Riesen sind trächtig und erwarten in den nächsten Wochen Nachwuchs. 

Doch wie kommt man darauf, ausgerechnet Bisons und Wisente zu halten? „Man muss schon ein bisschen bekloppt sein“, räumt der 66-Jährige ein, der viele Jahre als Stadtjugendpfleger in Hofheim (Taunus) und zuletzt als stellvertretender Kulturamtsleiter in Haiger gearbeitet hat. Für ihn geht es vor allem um den Artenschutz. Sowohl die Bisons als auch die Wisente waren fast ausgerottet und konnten nur knapp vor dem Aussterben gerettet werden. 

Jetzt sind Wickels Wisente Teil eines EU-Projekts. Schon zweimal hat er Jungtiere in die Südkarpaten in Rumänien gebracht, wo sie erfolgreich ausgewildert wurden. Um vor Bären und Wölfen fliehen zu können, müssen sie mindestens zwei Jahre alt sein. Die polnische Professorin Wanda Olech von der Warschauer Universität für Life Sciences, die das EU-Projekt leitet, war eigens auf dem Hof. Achim Wickel hat sich das Projekt in den Karpaten auch selbst schon angesehen. Das Feudinger Artenschutzzentrum ist für die Wissenschaftlerin ein „Inselbetrieb“. Wenn die großen Vorkommen der Wisente in Osteuropa von Infektionen wie der Blauzungenkrankheit dahingerafft werden, könnten solche Herden den Bestand retten. 

Mit den ursprünglich aus einem norddeutschen Tierpark stammenden Bisons ist es allerdings komplizierter. Eigentlich sollten die großen Waldtiere in Sibirien ausgewildert werden, sobald die Gruppe die Größe einer kompletten Herde erreicht hat. Das ist in Kürze der Fall. In der Vergangenheit war sogar eigens ein russischer Wildbiologe vom Moskauer Institut für evolutionäre Forschung nach Feudingen gereist. Doch durch den Krieg in der Ukraine musste der Kontakt eingefroren werden. Achim Wickel sieht sich gezwungen, zwei seiner Bisons zu schlachten, weil sein Gehege sonst nicht mehr genug Platz bietet. 

Und auch bei den Wisenten stehen zumindest langfristig Veränderungen an. Der 66-Jährige möchte in Zukunft kürzer treten. Deshalb hat er dem Dorf Wiesenbach seine Tiere als Geschenk angeboten. Der Breidenbacher Ortsteil liegt knapp 20 Kilometer entfernt kurz hinter der Landesgrenze im hessischen Hinterland. Und noch viel wichtiger: Das Dorf hieß ursprünglich Wisentbach und trägt das Wildtier im Ortswappen. 

Für die Hege der Tiere gibt es schon Interessenten. Wickel zufolge gibt es auch sehr gute Chancen, dass die Hege als EU-Projekt gefördert wird. Derzeit beantragt er Zuschüsse. Auch im Stadtparlament Breidenbachs waren die Wisente schon zweimal Thema. Jetzt ist der Bürgermeister dabei, nach adäquaten Flächen für die seltenen Tiere zu suchen. Ob und wann es zu einem Umzug kommt, ist daher noch offen.

Behalten möchte Achim Wickel in jedem Fall die Bisons, die Gäste auf den Hof locken sollen. Schließlich möchte die Familie langfristig ein Café und Ferienwohnungen betreiben. Aber auch das ist noch Zukunftsmusik. Die Bisons sind aber auch ruhiger, leichter zu halten und weniger kompliziert bei ihren Futterwünschen. So muss Wickel für die Wisente regelmäßig Weidenzweige holen, die er an kommunalen Straßen schneiden darf. Fühlen sie sich gestört, fauchen die Urtiere auch Besucher verärgert an.

Das Wisent und Bison Artenschutzzentrum ist in der Straße „Im Dernbach“ am Lahnwanderweg und dem Zubringer zum Rothaarsteig zu finden. Für Interessierte bietet Achim Wickel auf Anfrage Führungen: Tel. 02754-8714. 

gec

Rettung im letzten Moment

Die Wisente waren in den 1920er Jahren akut vom Aussterben bedroht. Alle heute lebenden Wisente stammen von zwölf in Zoos und Tiergehegen gehaltenen Tieren ab. Die niedrige genetische Variabilität gilt als eine der wesentlichen Gefahren für den langfristigen Erhalt der Art. Heute gibt es wieder einen Bestand von freilebenden Wisenten, der auf mehr als 7000 geschätzt wird. Sie leben vor allem in Osteuropa. 2013 wurde eine achtköpfige Wisentherde im Rothaargebirge ausgewildert. 

Die kanadischen Waldbisons waren um 1800 noch zahlreich in den Wäldern Kanadas vertreten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden sie so stark bejagt, dass sie als ausgestorben galten. 1957 wurde gerade noch rechtzeitig eine kleine Herde entdeckt. Inzwischen gibt es wieder mehr als 7000 Tiere.

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg | Marbuch Verlag GmbH