Nach unerwarteten und drastischen Einnahmeausfällen und zeitweiser Haushaltssperre 2016 ist das Stadtsäckel inzwischen wieder voller. Wie der Haushaltsentwurf 2018 aussieht und wo er als Kämmerer die Schwerpunkte setzt, erläutert Rathauschef Thomas Spies im Express-Interview.

Express: Erst 2016 gab es eine Haushaltssperre und einen Sparkurs mit deutlichen Kürzungen. Jetzt soll wiederum deutlich mehr Geld ausgegeben werden. Wie geht das zusammen?

Thomas Spies: 2016 hatten wir einen Einbruch der Gewerbesteuer von deutlich über 30 Millionen Euro. Das war ein Fünftel unseres Jahresbudgets für die Stadt. Da mussten wir gegensteuern. Zudem steht der größte Teil unserer Ausgaben fest: Personalkosten, Heizung, Straßenreinigung oder auch gesetzliche Pflicht­aufgaben binden ca. 90% unserer Mittel. Bei großen Veränderungen sind deshalb Maßnahmen wie Haushaltssperre und Nachtragshaushalt vor­ge­schrie­ben. Diese Haushalts­sperre bedeutete konkret, dass wir vor jeder Ausgabe nachdenken, ob sie wirklich nötig ist. Soziales und Kultur wurden 2016 gar nicht angefasst, wohl aber die laufende Ver­waltung, die an vielen Stellen einfach vorsichtiger agiert hat – und es wurden große Investitionen wie die Weidenhäuser Brücke erstmal verschoben.

Express: Und die Stadt hat einen Sparkurs umgesetzt, der etwa die freien Kulturschaffenden auf die Barrikaden gebracht hat …

Thomas Spies: Für das folgende Jahr 2017 mussten wir mit 15 Millionen Euro Defizit rechnen, nach einer Verbesserung der Gewerbesteuer am Ende noch mit 5 Mio. Defizit. Das Problem ist strukturell, das bedeutet: Man muss die eigene Organisation verbessern. Deshalb wurde vor allem substantiell Geld in der Ver­waltung gespart, an anderen Stellen dagegen zum Teil sogar deutlich mehr ausgegeben. Ein Beispiel: Die Sozialausgaben, also die Bereiche Jugend und Soziales, lagen 2017 vier Millionen Euro höher als 2016 – allein eine Million mehr für die Kinderbetreuung, über 300.000 mehr für den Stadtpass als direkte Leistung für arme Menschen. Allerdings haben wir – bis die Organisations­ver­besserung greift – vorübergehend auch einige freiwillige Sozialprojekte zurück­fahren müssen: von 3,6 Mio. Euro auf etwa 3,4 Millionen.
Das war also eher kein Sparhaushalt, sondern ein mäßiges Reduzieren, auch bei einzelnen freiwilligen Leistungen der Stadt – weil wir die Pflichtleistungen, die die Stadt für ihre Bürgerinnen und Bürger bereitstellt und zu denen wir auch Kinderbetreuung und Armutsausgleich zählen, nicht kürzen konnten und nicht kürzen wollten.

Express: Vor Jahresfrist gab es große Proteste gegen die geplante Er­höh­ung der Kindergarten­gebühren. Jetzt planen sie sogar die Streichung der Gebühren. Wie soll das gehen?

Thomas Spies: Marburg hat im Vergleich zu anderen Städten sehr niedrige Kindergartengebühren, die außerdem seit 20 Jahren nicht erhöht worden waren. Natürlich haben wir 2016 geschaut, wo wir Einnahmen verbessern können. Die Gewerbesteuer und die Grundsteuer waren gerade – also Anfang 2016 – erhöht worden, allein die Gewerbesteuer um rund 10 Millionen Euro. 2017 waren die Kindergartengebühren mit 300.000 Euro mehr der größte Block neben Zweit­wohn­sitz­steuer, Park­gebühren etc.
Das heißt, wir haben erst die Großen belastet, also das Gewerbe, und anschlie­ßend noch Gebühren, die in Marburg sehr günstig sind, etwas angepasst. Gleich­zeitig wird über ein Drittel der Eltern aus sozialen Gründen von den KiTa-Gebühren befreit. Wir verzichten in Marburg so auf rund eine Million Euro Ge­büh­ren für Kinderbetreuung aus sozialen Gründen. Das ist mehr als in ver­gleich­baren Städten.

Express: Und wieso kann die Stadt jetzt plötzlich auf die Gebühren ganz verzichten?

Thomas Spies: Das Land will die Elternbeiträge für Kinder von 3 bis 6 für sechs Stunden am Tag erlassen. Das Geld soll pauschal aus dem Kommunalen Finanz­aus­gleich an die Stadt gehen. Weil aber die Gebühren in Marburg generell sehr niedrig sind – wie eben erwähnt – und wir Eltern mit wenig Geld die Gebühren sowieso erlassen, können wir mit der Pauschale rechnerisch alle Gebühren, auch für die U-3-Betreuung, abschaffen.

Express: Wo kann die Stadt denn stattdessen sparen?

Thomas Spies: 2017 ging es um Defizitverminderung. Bei den Investitionen und der Bauunterhaltung waren wir zurückhaltend. Gespart haben wir in der Stadtverwaltung – da reden wir schon über Millionenbeträge. Vor allem müssen wir schrittweise Abläufe und Prozesse verbessern, auch durch die Digi­ta­li­sierung in der Verwaltung. Ein Beispiel: Bisher durchläuft eine Papierrechnung vom Eingang in unserer Poststelle bis zur Auszahlung etwa zehn Stationen und braucht dazu zwei Wochen – wenn alles reibungslos geht. Wenn wir durch Digitalisierung die Abläufe allein so beschleunigen, dass wir nur für einen mäßigen Anteil unserer Ausgaben Skonto wegen schneller Bezahlung geltend machen können, reden wir gleich über hunderttausende Euro. Mit Prozess­ver­besserungen können wir Einsparungen erzielen, ohne an Qualität zu verlieren.

Express: Was sind für Sie als Kämmerer die wichtigsten Punkte im Haushalt?

Thomas Spies: Das Wichtigste ist mir der Bereich Soziales. Die Ausgaben für Jugend und Soziales steigen 2018 weiter deutlich an, vor allem für Kinder­be­treuung und Teilhabe­sicherung. Für die freiwilligen Leistungen, die wir gemein­sam mit freien Trägern erbringen, gibt es ein zusätzliches Budget. Aber wir wollen gleichzeitig schauen, was die Projekte bringen, die wir fördern, sie evaluieren. „Mehr“ soll auch „besser“ sein.
Beispielsweise wollen wir prüfen, wie wir in der Jugendhilfe noch mehr auf ambulante Hilfe statt auf stationäre Lösungen setzen können. Wobei auch hier selbstverständlich Qualität an erster Stelle steht.
Das nächste ist der Bereich Kultur, der mir sehr wichtig ist. Zum Beispiel soll das KFZ alleine einen Zuschuss von 300.000 Euro bekommen, plus 160.000 Euro Miete. Auch German Stage Service oder Musikschule profitieren erheblich. Unser Zuschuss pro Eintrittskarte ist inzwischen bei vielen Einrichtungen höher als der Preis, den Besucher beitragen. Die Waggonhalle wird für 2,7 Millionen Euro saniert. Insgesamt gibt die Stadt 2018 fast 400.000 Euro mehr Zuschüsse für den Kulturbereich als 2017.
Ich will aber auch dahin kommen, dass es eine konzeptorientierte Förderung im Kulturbereich gibt.

Express: Was bedeutet das?

Thomas Spies: Wir besprechen miteinander Aspekte, die mitbedacht werden sollten, zum Beispiel wichtige Bereiche wie kulturelle Bildung, die Integration durch Kultur, gleiche Chancen für alle beim Zugang zu Kultur. Darüber ist die Stadt mit KFZ, Waggonhalle, Trauma, German Stage Service, Musikschule oder Kunstwerkstatt im Gespräch. Eine Frage lautet zum Beispiel: Wie kann man für die große Gruppe der Aus- und Übersiedler etwas anbieten, die in der Mar­bur­ger Kultur bisher kaum vorkommt.

Express: Wie sieht es beim Thema Stadtplanung aus?

Thomas Spies: Im Baubereich gibt es zwei wichtige Punkte: erstens den Woh­nungs­bau. Wir werden uns als Stadt, gemeinsam mit der GeWoBau, stärker im Wohnungsbau engagieren …

Express: Da hat die Gemeinnützige Wohnungsbau GmbH in den letzten Jahrzehnten sehr wenig gemacht …

Thomas Spies: Es war nötig, zunächst vor allem die Substanz der Wohnungen zu sanieren. Jetzt ist unser aktuelles Problem aber, dass es zu wenige Woh­nungen gibt. Deshalb müssen wir uns auch als Stadt noch mehr darum kümmern, dass neue Wohnungen entstehen.
Der zweite Punkt ist das Marburger Bildungsbauprogramm „BiBaP“. Schulen zu sanieren, kostet viel Geld. Dazu sind langfristige Planungen unter breiter Be­tei­li­gung der Betroffenen sehr sinnvoll.
BiBaP ist mit einem Investitionsvolumen von 30 Millionen Euro auf fünf Jahre angelegt und ein Erfolgsmodell: beteiligungsorientiert, transparent, verlässlich. Diese Strategie einer längerfristigen Planung gilt es, bei großen Investitionen auch auf andere Bereiche wie Kindergärten, Feuerwehr oder Straßenbau auszudehnen. Die Weidenhäuser Brücke zum Beispiel steht mit gut fünf Millionen Euro im Haushalt. Und das ist nur eine einzige Brücke. Im Straßen- und Radwegebau ist langfristig einiges zu tun. Wir sollten deshalb nicht mehr von Jahr zu Jahr rechnen, sondern gemeinsam planen, mit welchem langfristigen Budget welche Maßnahmen auf lange Sicht umgesetzt werden sollen. BiBaP ist mein Modell für eine langfristige, beteiligungsorientierte Haushaltsplanung.

Express: Ist nicht zu befürchten, dass ein Teil der Erhöhungen etwa für den Kultur- oder Sozialbereich in absehbarer Zeit wieder kassiert werden müssen – sollte es etwa wieder Gewerbesteuerausfälle geben oder die Landeszuweisungen zurückgehen?

Thomas Spies: Nein. Das Konzept ist, mit den begonnenen Struktur­ver­bes­ser­ungen und der Effizienz­steigerung durch die Digitalisierung langfristig wieder Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften. Ich möchte, dass wir die Investitionen der Stadt ganz oder zu einem erheblichen Teil aus diesen Überschüssen be­zah­len können – wie es bis 2013 regelmäßig war. Wir haben so viele wirtschaftlich gesunde Unternehmen und vergleichsweise hohe Gewerbesteuereinnahmen, dass wir es eigentlich schaffen müssten, wieder dahin zu kommen – und dann die Rücklagen zu bilden, mit denen wir auch ein schlechtes Jahr gut überstehen können.

Haushaltsentwurf 2018
Die Einnamen im Haushaltsentwurf 2018 für Marburg liegen bei 256 Millionen Euro, 26 Millionen mehr als im Vorjahr. 245 Millionen Euro Ausgaben sind 2018 für alle Pflichtaufgaben und freiwilligen Leistungen vorgesehen. Das sind 12 Millionen mehr als 2017.
Mit den 11 Millionen Euro Differenz zu den Erträgen soll ein Teil der geplanten Investitionen (28 Millionen Euro) abgedeckt werden.

Interview:Georg Kronenberg

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg