Bürgerbegehren gegen Move 35 ist „zwingend“ abzulehnen

Das Bürgerbegehren zum umstrittenen Marburger Mobilitätskonzept Move 35 ist gleich aus mehreren Gründen rechtswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt der Professor für Verwaltungsrecht, Martin Will, den die Stadt Marburg mit der rechtlichen Prüfung beauftragt hatte. Die Stadtverordnetenversammlung muss das Bürgerbegehren daher „zwingend“ ablehnen, heißt es in der Mitteilung der Stadt. Entscheidungsspielraum gebe es dabei nicht. Damit wird es voraussichtlich keine Abstimmung der Marburger Bürgerinnen und Bürger über Move 35 geben. Gegen den Beschluss können die Initiatoren jedoch Klage vor dem Verwaltungsgericht einreichen. Das wollen sie nun prüfen. Ziel des von SPD, Grünen, Klimaliste und Linken beschlossenen Konzepts ist es unter anderem, den Autoverkehr möglichst zu halbieren.

Wie erwartet ist die nötige Anzahl der gültigen Unterschriften nicht das Problem: Mehr als 8000 Unterschriften hatte die von CDU, FDP und „Bürgern für Marburg“ vorangetriebene Initiative eingereicht. Davon waren 6827 Unterschriften gültig. Aussortiert werden mussten zum Beispiel minderjährige oder nicht in Marburg gemeldete Unterzeichner. Dennoch haben die Move-Gegner damit weit mehr als die nötigen rund 2900 Unterschriften gesammelt.

Juristisch erfüllt das Bürgerbegehren die Anforderungen des Gesetzgebers allerdings nicht: „Insbesondere sind die Fragestellung und die Begründung aus gleich mehreren Gründen rechtlich unzulässig“, erklärt Marburgs Wahlleiterin Nicole Pöttgen. So ist nach der rechtlichen Prüfung durch Prof. Will nicht klar genug, was mit dem Begehren erreicht werden soll. So werde aus der Fragestellung nicht deutlich genug, ob das Mobilitätskonzept komplett abgeschafft oder nur die 77 erwähnten Maßnahmen neu entwickelt werden sollen. Es sei auch nicht klar, ob die Leitlinien und Verkehrsanalysen anerkannt und beibehalten werden sollen. Auch die Frage nach regelmäßigen Bürgerversammlungen sei rechtswidrig, da die Stadtverordnetenversammlung nicht entscheiden könne, ob, wie und wo eine Bürgerversammlung stattfinde. Zudem erlaube ein Bürgerbegehren grundsätzlich nur eine Frage. Die Move-Gegner stellen jedoch zwei Fragen gleichzeitig, die unterschiedlich beantwortet werden können.

Unzureichend und damit ebenfalls rechtswidrig sei die Begründung, weil sie nicht so verfasst sei, dass sich die Bürgerinnen und Bürger anhand des Textes ein Urteil bilden können. So könnten sie sich kein Bild davon machen, welche Maßnahmen sie mit ihrer Unterschrift konkret verhindern.

Zudem fehlt ein Kostendeckungsvorschlag, der zeigt, welche Ausgabe gestrichen oder welche zusätzlichen Einnahmen gemacht werden, um die von den Initiatoren auf 225.000 Euro geschätzten Kosten für die Neukonzeptionierung zu finanzieren. Zugleich wurden die Kosten für die abzuhaltenden Bürgerversammlungen überhaupt nicht beachtet, obwohl das Bürgerbegehren alle zwei Monate Sitzungen in allen 25 Ortsbezirken fordert. Das sind rund 300 Bürgerversammlungen in zwei Jahren und koste allein für Raummiete, Technik und Bewerbung (ohne Personal) mindestens 300.000 Euro.

Die Prüfung deckt sich in weiten Teilen mit der Einschätzung von Edgar Wunder, dem Experten vom Fachverband „Mehr Demokratie“, der Bürgerinitiativen bei der Abfassung ihrer Begehren berät. Er war im „Marburger Express“ schon im Sommer zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Bürgerbegehren „definitiv ungültig“ sei. Dazu kommentierte der Marburger CDU-Vorsitzende Dirk Bamberger damals: „Dieser selbsternannte ‘Experte’ liegt extrem daneben und zeigt sehr offensichtlich, dass er u.a. von Haushaltsrecht überhaupt keine Ahnung hat.“ Jetzt schreibt der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Seipp: „Wir sind überrascht über die rechtliche Auffassung des Magistrats. Wir werden uns die Vorlage genau ansehen und warten die Einschätzung unserer Juristen ab, bevor wir uns konkret äußern.“

Spies bietet Gespräche an

Unterdessen möchte Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) den Unmut ernst nehmen, der sich in der Zahl der Unterschriften gegen Move ausdrückt: „Die Sorge, dass man in Marburg in seiner Beweglichkeit eingeschränkt würde – insbesondere von denjenigen, die auf das Auto angewiesen sind -, muss ausgeräumt werden“, betont Spies. Zudem sagt er, dass Stadt und Politik früher und deutlicher über das Mobilitätskonzept hätten informieren müssen, um Missverständnisse zu vermeiden und die Menschen mitzunehmen. Der Magistrat sei deshalb seit mehreren Wochen in den Stadtteilen unterwegs, um mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren.

Gesa Coordes

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Der Wortlaut des “Bürgerbegehrens zur Sicherung der verkehrlichen Zugänglichkeit unserer Stadt Marburg” lässt sich unter www.move35.de (unter Liste Bürgerbegehren Marburg) nachlesen.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Gesa Coordes