Von der Energiekrise keine Spur: In Bioenergiedörfern werden Wärme und Strom kostengünstig aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt. In Marburg-Biedenkopf gibt es eine ganze Reihe solcher Dörfer.

„Wer bei uns angeschlossen ist, läuft jetzt mit einem breiten Grinsen durchs Dorf“, sagt der Vorsitzende der Genossenschaft des Bioenergiedorfs Oberrosphe, Hans-Jochen Henkel. Die Preise fürs Heizen seien nur halb so hoch wie andernorts und selbst für die ehrenamtlichen Tätigkeiten rund um das Hackschnitzel-Wärmekraftwerk gebe es eine Warteliste: „Wir haben keine Energiekrise“, sagt der technische Betriebswirt.

Der 850-Seelen-Ort nördlich von Marburg war 2008 das zweite hessische Bioenergiedorf. Die Idee ausgeheckt hatten der Pfarrer und der Förster: Mit einer Gemeinschaftsanlage für Hackschnitzel wollten sie das alte Burgwalddorf autark machen. Sie gründeten Arbeitsgruppen, reisten zum ersten deutschen Bioenergiedorf nach Jühnde und gaben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Heute sind 160 der 230 Haushalte im Ort an das Biomasseheizwerk angeschlossen. Dazu gibt es sechs Photovoltaik-Anlagen.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist die Zahl der Interessenten steil nach oben gegangen, berichtet Henkel. Allein in diesem Jahr werden zehn neue Haushalte an das Wärmenetz angeschlossen – normalerweise sind es zwei bis drei. Das liegt natürlich am Preis, der in Oberrosphe derzeit bei 8,3 Cents pro Kilowattstunde liegt. Und Henkel geht davon aus, dass der Preis auch in den nächsten Jahren unter 10 Cent bleiben wird, obgleich auch die Oberrospher mehr für ihre Holzhackschnitzel zahlen müssen. Aber sie profitieren auch von der Umsatzsteuerrückzahlung und machten bislang ordentlichen Gewinn.

In Oberrosphe müssen sich viele Haushalte kaum Gedanken um steigende Energiepreise machen – in dem Bioenergiedorf liefern Photovoltaik-Anlagen und ein Biomasseheizwerk Strom und Wärme.

Das funktioniert natürlich nur mit viel ehrenamtlichem Engagement. Mehr als 30 Männer und Frauen arbeiten für die Anlage. Allein zehn von ihnen haben einen Radlader-Führerschein gemacht, um die Hackschnitzel zum Kessel fahren zu können: „Wenn wir keine Personalkosten haben, müssen wir sie auch nicht auf den Wärmepreis aufschlagen“, sagt Henkel: „Das haben wir in Oberrosphe verstanden.“ Dennoch werden sie jetzt mit einer Machbarkeitsstudie prüfen, welcher Energiemix das Dorf am besten durch die Zukunft bringt.

Mit ihrer Idee hat der Wetteraner Stadtteil noch zwölf weitere Dörfer und eine Stadt im Landkreis Marburg-Biedenkopf angesteckt: Sowohl in der Bioenergiestadt Rauschenberg als auch in den Dörfern Unterrosphe, Schwabendorf, Josbach, Erksdorf, Großseelheim, Mardorf, Erfurtshausen, Fronhausen und Heskem-Mölln ist der überwiegende Teil der Haushalte an ein gemeinsames Nahwärmenetz angeschlossen. Sie decken ihren Energiebedarf weitgehend aus erneuerbaren Energien. Zuletzt wurden der Kirchhainer Stadtteil Kleinseelheim und der Neustädter Ortsteil Mengsberg zu Bioenergiedörfern. Der Kirchhainer Stadtteil Stausebach will 2023 starten.

Und die Beispiele machen weiter Schule: Der Rauschenberger Stadtteil Bracht will im Sommer kommenden Jahres mit dem Bau einer Heizzentrale und eines rund 26.000 Quadratmeter großen Solar-Kollektor-Feldes beginnen. Dazu gibt es einen großen Erdspeicher, dessen Wasser mit der Solarthermieanlage aufgeheizt wird – die Wärme wird dann im Winter verbraucht. Ergänzend ist eine Biomasseanlage geplant.

Entwickelt wurde das Konzept von der Universität Kassel. Damit wird Bracht zu einem Pilotprojekt des Landes Hessen. Das ist angesichts der auf 16 Millionen Euro geschätzten Investitionskosten auch gut so. Bislang sind rund 60 Prozent der Brachter Haushalte dabei, berichtet Klaus Pfalz vom Arbeitskreis Bioenergiedorf Bracht. Sie müssen Anteile zu je 6000 Euro zeichnen und die Kosten für den Anschluss an ihr Haus aufbringen. Dennoch betont auch Pfalz die Rolle der Ehrenamtlichen in den Bioenergiedörfern: „Ohne die positiv Verrückten geht es nicht.“

gec

Bild mit freundlicher Genehmigung von Gesa Coordes