Express: Herr Mauch, Sie haben viele technische Entwicklungen erlebt, auch den Wechsel von analogem zum digitalen Kino…
Thomas Mauch: Der Wechsel vom Analogen zum Digitalen war etwas, wovor ich am Anfang etwas Angst hatte, sich aber als ungeheuer leicht herausstellte. Das Digitale ist eigentlich, ja, ich würde sagen, etwas für faule Leute. Denn es ist wesentlich leichter als das Analoge. Deshalb gibt es im Moment auch so viele Kameraleute, junge Kameraleute, die feststellen, wie leicht das alles ist. Das Ergebnis: Es gibt zu viele und die werden alle schlecht bezahlt. Das ist nicht nur ein deutsches Phänomen, das ist über die ganze Welt verbreitet.
Im Moment werden alle unsere jungen Leute, weil das Digitale so leicht ist, sehr schlecht bezahlt. Letztes Jahr war ich auf einem Festival im Iran, habe sehr viel mit Studenten diskutiert und es stellte sich heraus, dass die das gleiche Problem haben: Die fanden das alle sehr einfach! Ergebnis: Es gibt sehr viele Kameraleute und die werden schlecht bezahlt.
Express: Hat diese Entwicklung vom Analogen zum Digitalen Auswirkung auf ihre künstlerische Arbeit?
Mauch: Nein, ich würde sagen, das hat sie nicht. Ich habe mich immer für die gleiche Art von Bildern, von Ausschnitt interessiert und ich muss sagen: Es hat mich nicht beeinflusst. Weil aber das Material sehr viel empfindlicher ist, braucht man eigentlich kaum noch auszuleuchten. Deshalb verstehen die jungen Leute auch nicht mehr so viel vom Licht. Denn sie hatten nie Schwierigkeiten für eine Beleuchtung zu sorgen, mit der man drehen konnte. Ich habe jedenfalls erlebt, dass Situationen, in denen wir früher ungeheuere Schwierigkeiten hatten, für genügend Licht zu sorgen, ganz leicht wurden. Das Material ist eben so empfindlich, man kann fast alles damit machen. Und dann kann man es auch noch verändern: Ich erinnere mich an einen fürchterlichen Moment, als ich vor einem größeren Film mit einem Techniker vom Studio sprach und ich ihn fragte, wie er das Original – “Negativ” kann man ja nicht mehr sagen – haben wolle. Woraufhin dieser sagte: “Das können Sie machen, wie Sie wollen, das kriegen wir immer hin.” Das heißt, der hat mich keineswegs irgendwie respektiert! Dem kam es darauf an: “Ich mach’ hier was aus dem Film. Was da geliefert wird, ach, das kriegen wir alles hin. So viele Fehler können Sie gar nicht machen, dass wir das nicht mehr hinkriegen.”
Express: Zu Beginn Ihrer Karriere sind Sie von der Fotografen-Ausbildung schnellzum Film gekommen – wie kam das?
Mauch: Ich wollte Fotograf werden und habe relativ schnell gemerkt, dass mich das irgendwie langweilt. Mir fehlte die Bewegung und die Dramaturgie innerhalb der Bewegung. Ich habe mich dann für Film entschieden. Mein Vater selber, der irgendwann einmal Fotograf werden wollte, es dann aber Gott sei dank bleiben ließ – sonst wäre ich wohl am Ende verhungert – hat mir seine Begeisterung für Fotografie vererbt. Die Fotografie fand ich aber, wie gesagt, in kurzer Zeit sehr langweilig und habe mich dann auf Film verlegt. Ich absolvierte dann eine Ausbildung von etwa anderthalb Jahren bei einer Münchener Dokumentarfilm-produktion. Dann habe ich mich als freiberuflicher Kamera-Assistent betätigt. Und da ich schon damals Edgar Reitz kennengelernt hatte, der ebenfalls bei dieser Dokumentarfilmproduktion frei angestellt war, hat er mich dann, nachdem wir uns ein bisschen angefreundet hatten, als Assistent genommen. Das war eigentlich so der Beginn meiner Karriere.
Express: War die Zusammenarbeit mit Edgar Reitz prägend für Ihre weitere Kameraarbeit?
Mauch: Ja, das war sie erstmal. Denn wir haben eine ganze Menge Dinge zusammen gemacht und was das schöne war: mit nicht sehr großem Etat. So war ich der einzige weitere Fachmann, den Ton haben wir zum Teil selber gemacht. Die ersten großen Dokumentarfilme für Bayer Leverkusen (heute Bayer AG, Anm. der Red.) zum Beispiel in Südamerika haben wir eigentlich nur zu zweit produziert, natürlich unterstützt von den jeweiligen Bayer-Mitarbeitern in den entsprechenden Ländern. Aber rein filmisch waren wir nur auf uns selber angewiesen, das war sehr lehrreich. Ich erinnere mich auch noch an Baumwollschäd-linge, kleine Tierchen, die wir in meinem Zimmer sozusagen züchteten, um sie bei der Geburt oder in anderen Situationen zu filmen, sodass mein Zimmer schließlich geradezu von diesen Tierlein wimmelte. Das Filmen gestaltete sich sehr interessant, denn damit stand ich vor der Aufgabe, wie man ganz, ganz kleine Tierchen ganz groß aufs Bild bringt. Das war nicht so ganz leicht und da habe ich dann Methoden herangezogen, die natürlich heute alle Fachleute kennen, ich damals aber noch nicht. Ich wusste nur, dass man die Optik immer weiter hinausziehen muss, um die Objekte zu vergrößern. So musste ich zum Beispiel einen Tubus basteln und all dies unter primitivsten Bedingungen. Es funktionierte aber sehr gut und kam auch sehr gut an, man musste es aber erst einmal richtig lernen.
Express: Sie haben einmal gesagt, dass sie ein konsequenter Gegner des Story-boards seien…
Mauch: … das stimmt!
Express: Warum?
Mauch: Weil man sich damit festlegt. Das ist manchmal wichtig, zum Beispiel im Studio, weil man dann bauen muss. Im Studio ist es natürlich sehr wichtig zu wissen, wie viel man baut und wo man baut und man nicht mehr bauen muss und was man unbedingt bauen muss. Dafür braucht man natürlich ein Story-board, das heißt, man braucht genaue Pläne, was man sich vorstellt. Das ist für den Studioarchitekten sehr wichtig. Aber bei dieser Art von Filmen, wie wir sie bisher gemacht haben, bei denen wir kaum im Studio gedreht haben – ich habe natürlich auch im Studio gedreht –, da wäre das ein Hemmnis. Von Vornherein einen genauen Plan zu machen, würde dafür sorgen, dass man nicht mehr offen ist für die Dinge, die einem geschehen, die einem passieren, die man sieht und von denen man sich beeinflussen lässt.
Express: “Die Wirklichkeit ins Kino lassen” war eine Zielsetzung des Jungen Deutschen Films – fehlt so etwas heute?
Mauch: Nein. Die Wirklichkeit ist natürlich ein philosophisches Problem. Was betrachte ich als Wirklichkeit, was betrachte ich als künstlich, was betrachte ich als gewollt künstlich, was betrachte ich als gewollt wirklich? Das sind philosophische Probleme. Aber die sogenannte Wirklichkeit, die uns im jungen Deutschen Film vorschwebte, war eher eine dokumentarisch-politische Wirklichkeit. Jede Generation hat ihre eigenen Vorstellungen, wobei sie dabei immer so tut, als wenn die ganz neu wären – sind sie nicht. Das gilt auch für die gestalterischen Dinge, die aufgekommen sind. So verstand man zum Beispiel unter Wirklichkeit, dass man mit wackelnder Handkamera etwas aufnimmt. Diese Methode habe ich dreimal in meiner Karriere erlebt. Dreimal oder viermal sagte jemand, nachdem man mal wieder die Kamera ordentlich aufs Stativ stellte oder auf einen Schienenwagen: “Jetzt machen wir mal was ganz Neues! Jetzt machen wir mal alles aus der Hand!” Und da sage ich dann: “Habe ich schon drei-, viermalerlebt.” Das ist nicht wirklich was Neues. Es gibt kaum Neues im Film.
Express: Wie bereiten Sie sich generell auf ein Projekt oder einen Drehtag vor?
Mauch: Das ist ein großer Unterschied, ob auf Projekt oder Drehtag. Sich auf ein Projekt vorzubereiten, ist erst einmal sehr viel Theorie, die man mit dem Regisseur erarbeitet, dann besichtigt man Motive … aber ein Drehtag selber ist etwas anders: Da dreht man das, was man am Vortag schon vorbereitet hat. Man hatte mit dem Regisseur besprochen, wie es am nächsten Tag weitergehen soll, und das wird dann folgerichtig entwickelt. Das heißt aber nicht – zumindest bei uns war das so – dass man genau daran festhält, was man am Vortag beschlossen hat, um Gottes willen, nein! Man war immer offen für neue Ideen, neue Vorstellungen und neue Arten von Technik, wie man die Dinge verwirklicht.
Express: Welche Ratschläge würden sie heute jungen Kameramännern geben? Sie sagten mal, früher sei man mutiger gewesen…
Mauch: Ja, aber nicht eigentlich “man”. Das liegt an der Veränderung der Situation der Arbeitgeber. Das Fernsehen hat sich seit der großen Zeit des sogenann-ten kleinen Fernsehspiels des ZDF, das ja immer noch das Idealvorbild für das Verhalten eines Fernsehsenders ist mit absolut offener Haltung gegenüber jungen Leuten, verändert. Diese Zeit ist vorbei, diese Haltung gibt es nicht mehr. Das Leben ist konservativer geworden. Es wird immer mehr vorbereitet. Die Förderorganisationen, sei es in München oder Potsdam, werden immer konservativer. Und zwar nicht deshalb, weil sie es unbedingt wollen, sondern weil sie Angst haben. Sie haben Angst, dass sie beschimpft werden: “Ihr habt mal wieder irgendwelche Idioten viel zu viel Geld gegeben! Könnt ihr das nicht besser kontrollieren?” Das sagt dann die konservative Branche. Das ist ein großes Problem. Die erwarten immer, dass der deutsche Film sich aus irgendeinem Grund ganz plötzlich gegen die Entwicklung stemmt und ganz plötzlich riesen Geschäfte macht. Und da man bei der Vielzahl der Leute, die an einem Film arbeiten, nicht jeden Einzelnen kontrollieren kann, hat man sich entschlossen:
“Wir kontrollieren ganz einfach die Bücher, die eingereicht werden!” Deshalb bestehen sie darauf, dass die Bücher ganz genau so gedreht werden, wie sie eingereicht werden. Das ist der Tod jeder Form von Improvisation und das ist der Tod jeder Form von Kunst, wenn man so will.
Um auf ihre eigentliche Frage zurückzukommen: Für junge Kameraleute: Seid auf alle Fälle neugierig! Seid auf alle Fälle neugierig und wenn euch irgendjemand sagt: “Das macht man so und so!”, dann glaubt nicht unbedingt alles!
Preisverleihung & Kameragespräche
Der mit 5000 Euro dotierte Marburger Kamerapreis wird am Samstag, 9.3., um 20 Uhr in der Alten Aula der Universität an Thomas Mauch verliehen. Die Preisverleihung wird durch die “Bild-Kunst Kameragespräche” mit dem Preisträger eingerahmt, bei denen es am Freitag, 8.3., um 17 Uhr sowie am Samstag, 9.3., um 12 und um 17 Uhr im Capitol in der Biegenstraße Werkstattgespräche mit Thomas Mauch gibt.
Das komplette Programm unter: www.marburger-kamerapreis.de
Interview: David Schindler