Was macht eigentlich der Marburger Seniorenbeirat? Im Gespräch berichtet Beiratsvorsitzender Hans-Joachim Wölk von Altersarmut, Digitallotsen und der geringen Sichtbarkeit von Senior*innen.

Der Soziologe Stefan Schulz schreibt in seinem Buch „Die Altenrepublik“: „Wenn die Zeit der Arbeit zu Ende geht, geht’s ums Geld, aber auch um die Geselligkeit. Beides schwindet.“ Genau bei diesen Punkten setzt der Marburger Seniorenbeirat an: Einsamkeit von Senioren überwinden und ihnen finanzielle Stabilität ermöglichen.
16 Senioren, sechs Vertreter aus dem Stadtparlament und sieben Mitglieder mit beratender Stimme bilden den Beirat, der Marburger Bürger ab 60 Jahren vertreten soll. Der Vorsitzende des Beirats, Hans-Joachim Wölk (81), kritisiert, dass die Seniorenbeiräte in Hessen sehr unterschiedlich in ihren einzelnen Aufgabenbereichen konstruiert sind: „Das hängt davon ab, wie die Stadtverordnetenversammlungen oder Kreistage diesen Aufgabenbereich definieren. In Frankfurt hat der Magistrat den Seniorenbeirat über alles Wichtige zu informieren. Hingegen räumt man in Marburg dem Seniorenbeirat weniger Mitsprache ein und informiert diesen lediglich über Angelegenheiten der städtischen Altenhilfe und Altenplanung.“ Das sei problematisch, weil manche städtische Angelegenheiten, die auf den ersten Blick wenig mit Senioren zu tun hätten, doch relevante Aspekte für die Ältere beinhalten können. Deshalb wünscht sich Wölk sich mehr Informationen und mehr Mitspracherecht.

In einer Seniorensprechstunde können sich Ältere direkt an den Beirat wenden und Hilfe bekommen. Eine älteren Frau, die in der Sprechstunde berichtete, wie gering ihre Rente ist und dass sie ihre Miete kaum aufbringen könne, habe der Beirat beispielsweise darauf hingewiesen, dass sie einen Anspruch auf Wohngeld habe, berichtete Wölk. „Mit einem kleinen Zimmer hätte sie sich zudem nicht zufriedengeben müssen. Sie hat Anspruch auf einen größeren Wohnbedarf“, sagt er. Einsamkeit sei für diese Frau auch ein Problem gewesen: „Wir haben ihr mitgeteilt, dass es da, wo sie wohnt, eine Stadtteilgemeinschaft gibt, die dankbar ist, wenn da Leute kommen, und die für ältere Menschen ganz spezielle Angebote machen. Also wir können helfen, aber das setzt voraus, dass ich auf Leute zu gehe oder Leute zu mir kommen. Momentan muss man das Gespräch richtig suchen.“

Seniorenbeiratsvorsitzender Hans-Joachim Wölk vor seinem Elternhaus. Er will für die Beiräte mehr Mitspracherecht. (Foto: Leonie Theiding)

Digitale Technik als Chance gegen Einsamkeit

Die Sprechstunde gehe medial unter, wenngleich der Seniorenbeirat bereits mehr Pressearbeit leiste. Insbesondere die Printmedien seien für den Beirat ein wichtiges Kommunikationsmedium: „Zeitung lesen vor allem die älteren Leute. Die wird nach dem Frühstück routiniert in die Hand genommen“, so Wölk.
Um so viele Kontaktwege wie möglich anzubieten, wird die Sprechstunde auch nach der Pandemie weiterhin zusätzlich digital angeboten. „Wer – aus welchem Grund auch immer – die Sprechstunde vor Ort persönlich nicht erreichen kann, hat die Möglichkeit, über eine Videokonferenz mit dem Seniorenbeirat ins Gespräch zu kommen“, sagt Petra Heuser vom Fachdienst „Altenplanung“. Die Fähigkeiten mit der entsprechenden Technik umzugehen, würden manchen Älteren jedoch fehlen, so Wölk, und das obwohl diese nicht nur für die digitale Sprechstunde, sondern auch in persönlichen Belangen wichtig seien. Der Seniorenbeirat empfiehlt deshalb die „Digitallotsen“. Sie sind in einer Kooperation des Beirats und der Freiwilligenagentur Marburgs entstanden und bestehen aus Ehrenamtlichen, die ihr Wissen über digitale Kommunikation weitergeben. „Häufig geht die Initiative von den Kindern aus, die sich wünschen, dass ihre Eltern sich Hilfe in Sachen Technik suchen“, sagt Lisa Wehlburg. Sie ist Anfang 30 und Digitallotsin. Die erwachsenen Kinder der Senioren würden zum Beispiel nicht in Marburg wohnen und dennoch den Kontakt zu ihren Eltern aufrechterhalten wollen. Das scheitere oftmals an den technischen Fähigkeiten der älteren Generation: „Gerne erklären wir manchen Senioren alle 14 Tage erneut, wie sie eine WhatsApp-Nachricht verschicken.“ Mithilfe der Digitallotsin erlernen die Senioren außerdem mit dem Smartphone zu telefonieren: „Für manche ist das ein echter Erfolg und bedeutet viel“, sagt die Ehrenamtliche.

Auch der Seniorenbeiratsvorsitzende Wölk hat erlebt, wie wichtig technisches Know-How ist. Seine erste Frau wohnte zum Ende ihres Lebens im Altersheim. Aufgrund der Pandemie habe sie nur wenig Kontakt zur Außenwelt gehabt, auch weil „sie sich mit den technischen Kontaktmöglichkeiten nicht auskannte – sie ist da vereinsamt gestorben“, sagt Wölk. Der gebürtige Marburger erklärt weiter, dass ältere Menschen oft abwinken und den Umgang mit den neuen Medien nicht mehr erlernen wollen. „Das fängt beim Smartphone an“, sagt er, „und ändert sich in dem Moment, in dem die Mobilität nachlässt. Der Seniorenbeirat will daher frühzeitig die Ängste vor den neuen Medien überwinden.“ Es seien genügend Freiwillige da, die auch zu den Senioren nach Hause kommen würden, um Nachhilfe bei der technischen Kommunikation zu geben. „Wichtig ist es, Digitalisierung für ältere Menschen positiv erfahrbar zu machen“, sagt der 81-Jährige. Die Einsamkeit dürfe nicht banalisiert werden: „Ohne Kontakt zur Außenwelt fühle ich mich in dieser Welt nicht mehr bedeutend. Außerdem hat die Möglichkeit der digitalen Begegnung etwas mit einer funktionierenden Demokratie zu tun.“ So profitieren auch die Mitglieder des Seniorenbeirats von der technischen Nachhilfe: Sie wurden durch die „Digitallotsen“ in Video-Konferenzen geschult – und konnten dadurch ihre Sitzungen während der Pandemie ins Digitale verlegen.

Leonie Theiding

Sprechstunde
Die Sprechstunden des Seniorenbeirats finden alle vier Wochen montags von 14 Uhr 30 bis 16 Uhr statt. Der nächste Termin ist am 19. Juli.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Cocoparisienne / Pixabay und Leonie Theiding