Wie könnte die Welt ohne Wirtschaftswachstum aussehen? Ökonom Niko Paech hat dazu ganz konkrete Pläne. Am 30. Juni stellt der Wissenschatler seine Postwachstumsökonomie in Marburg vor.

Um den Klimawandel aufzuhalten, setzt der Siegener Wirtschaftswissenschaftler Prof. Niko Paech auf eine Welt ohne Wachstum. Er hat die Theorie von der Postwachstumsökonomie entwickelt, für die sich immer mehr Menschen interessieren. Am 30. Juni referiert er ab 18 Uhr 30 im „Politischen Salon“ der Marburger Volkshochschule.

Paechs Lösungsansätze sind radikal: Die Industrieproduktion in Deutschland sollte schrittweise auf die Hälfte gedrosselt und die dann noch benötigte Arbeitszeit so umverteilt werden, dass alle nur noch 20 Stunden arbeiten. Zugleich sollen die Güter so sorgsam gepflegt und repariert werden, dass sie doppelt so lange halten. Autos, Waschmaschinen, Rasenmäher und Werkzeuge könnten gemeinsam genutzt werden. Und als wichtigste Maßnahme: Möglichst niemals fliegen und niemals ein Kreuzfahrtschiff besteigen. Eine einzige Flugreise nach New York verursacht pro Person vier Tonnen CO2. Damit ist der Jahresverbrauch, den das Umweltbundesamt für umweltverträglich hält, bereits weit überschritten – er liegt bei weniger als einer Tonne CO2 pro Jahr. Mit grüner Technik wie Windrädern lasse sich das nicht lösen, sagt Paech. Um das Zwei-Grad-Klimaziel einzuhalten, sei eine radikale Reduktion des Verkehrs und des Konsums nötig.

Der 62-Jährige lebt, was er lehrt. Er führt ein Leben ohne Fleisch, Smartphone, Auto oder Fernseher. Geflogen ist er nur einmal in seinem Leben – 1993 zu seinem Doktorvater nach Washington DC. Er hat nur vier Hosen – zwei Jeans, eine Handwerker- und eine Cargohose, alle geflickt – und kauft fast keine Weihnachtsgeschenke. Einzige Schwächen: Kaffee, Bücher, CDs und das Wirtshaus, in dem nach seiner Überzeugung auch die strengste wissenschaftliche Auseinandersetzung enden sollte.
Von Verzicht spricht er allerdings nicht: „Das ist ein Gewinn – eine Befreiung vom Überfluss, eine Befreiung von Ballast“, sagt Paech. Zudem zeige die Forschung, dass viel Geld und Konsum nicht glücklicher mache: „Die Reduktion ist ein Selbstschutz vor Reizüberflutung und Konsum-Burnout.“ Dafür hätten die Menschen mehr Zeit, ihre Güter zu genießen, gemeinsam in Gärten zu wirtschaften, Lebensmittel selbst anzubauen, Dinge zu reparieren und zu tauschen.

Paech ist Wirtschaftswissenschaftler geworden, weil er verstehen wollte, „warum wir eine ökologische Krise ansteuern“. Auf das Thema stieß er schon als Jugendlicher. Er ist an der holländischen Grenze in Sichtweite des Atomkraftwerks Lingen und in Riechweite eines riesigen Schweinemastbetriebes und einer Ölraffinerie aufgewachsen. Die Industrie leitete so oft ungeklärte Abwässer in die Vechte, dass auch das Angeln mit seinem Vater kein reines Vergnügen war. Er engagierte sich beim BUND, beim Nabu und schließlich bei den Grünen, für die er bei der Landtagswahl 1990 im südlichen Emsland kandidierte. Heute ist er längst ausgetreten und nennt die Partei einen „Hort der Heuchelei“. Da werde moralische Überlegenheit nach außen gekehrt, aber – etwa mit vielen Flügen – ein entgegengesetztes Leben geführt. Reisen nach Tibet und in die Anden, Urlaubs- und Abenteuerhype seien aber unvereinbar mit Klimaschutz.

Vier Hosenn reichen ihm völlig: Wirtschaftswissenschaftler und Wachstumskritiker Niko Paech. (Foto: Michael Messal)

Nach der Promotion hat er parallel zu seiner Arbeit am Lehrstuhl für Außenwirtschaftstheorie an der Universität Osnabrück mehrere Jahre als Unternehmensberater für den ökologischen Landbau gearbeitet. Paech war der erste Agenda-21-Beauftragter der Stadt Oldenburg, bevor er mit einem Forschungsprojekt an die Uni zurückkehrte und sich über nachhaltiges Wirtschaften jenseits von Fortschritts- und Wachstumsorientierung habilitierte.
Acht Jahre lang vertrat er den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. 2006 prägte er den Begriff der Postwachstumsökonomie und entwickelte die Theorie immer weiter. Für seine Arbeit ist Paech mehrfach – etwa mit dem Zeit Wissen-Preis „Mut zur Nachhaltigkeit“ – ausgezeichnet worden. Gemeinsam mit Erhard Eppler hat er 2016 ein Buch (Titel „Was Sie da vorhaben, wäre ja eigentlich eine Revolution“) über Wachstum, Politik und Ethik gestaltet. Er coachte aber auch Projekte wie den Oldenburger Verschenkmarkt, unterstützt Attac und Greenpeace, schraubt an Fahrrädern in Repair-Cafés und war viele Jahre ehrenamtlicher Moderator eines Verbraucherschutzmagazins für einen lokalen Fernsehsender.
Karrierefördernd war das wohl nicht. Als Paech sich 2014 am Oldenburger Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik auf eine Professur bewarb, geriet der Forscher in die Grabenkämpfe zwischen eher nachhaltigen und eher klassischen Ökonomen. Knapp verfehlte er die Professur, nachdem das Präsidium in das Besetzungsverfahren eingegriffen hatte, um seine Berufung zu verhindern.

Nach diesen Auseinandersetzungen wechselte der Wissenschaftler 2016 als außerplanmäßiger Professor an die Universität Siegen, wo er im Rahmen des neuen Masterstudiengang Plurale Ökonomik lehrt. Es handelt sich um den einzigen Studiengang dieser Art in Deutschland. Plädiert wird für eine ergebnisoffene Vorgehensweise in Lehre und Forschung. Dazu gehören unterschiedliche Methoden, Ansätze und Ziele des Wirtschaftens. Paech lehrt dort Instrumente des Nachhaltigkeitsmanagements und bietet dort ein komplettes Modul zur Postwachstumsökonomik an.
Dort hat er – auf eigenen Wunsch – nur eine halbe Stelle. Von einer 20-Stunden-Woche kann aber nicht wirklich die Rede sein. Neben den zahlreichen ehrenamtlichen Aufgaben und dem Saxophonspielen in der Band hält er jede Woche zwei bis drei Vorträge auf Tagungen, vor Fairtrade-Gruppen, Handwerkern, Unternehmern oder Politikern.
Während ihn die „Zeit“ als Deutschlands berühmtesten Wachstumskritiker gezeichnet, halten ihn manche Kollegen für einen „Spinner mit unrealistischen Ideen“. Er ist allerdings überzeugt: „Der Veränderungsprozess kann in den Nischen heranreifen, sich ausbreiten und damit die Gesellschaft verändern“.

Gesa Coordes

Termin & Anmeldung
Wer Paech hören möchte, kann sich bis zum 26. Juni bei der Volkshochschule zu dem kostenfreien Kurs anmelden. Er findet in der Zeit von 18.30 bis 20.45 Uhr im Atelier der Volkshochschule (Deutschhausstr. 38) statt. Weitere Informationen unter www.vhs-marburg.de.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Julius Silver / Pixabay und Michael Messal