Filmemacherin Sepideh Farsi im Interview.

Mit „Die Sirene“ hat die iranischstämmige Filmemacherin Sepideh Farsi ihren ersten animierten Film gedreht. Setting ist der iranisch-irakische Krieg von 1980 – 1988. Im Marburger Kino Capitol läuft der Film am Mittwoch, den 6. Dezember, um 19:30 Uhr.

Wo waren Sie während des iranisch-irakischen Krieges?
Sepideh Farsi: Ich war genau wie Omid und Pari ein Teenager, als der Krieg ausbrach. Ich blieb bis 1984 im Iran und erlebte die zweite Hälfte des Krieges von Frankreich aus. Ich musste das Land verlassen, da ich im Iran nicht studieren durfte – ich saß im Gefängnis, weil ich in der High School als Aktivistin tätig war. Damals betrachteten wir uns als doppelte Dissidenten – wir wollten die Monarchie stürzen, aber wir wollten auch nicht, dass der Klerus die Macht übernimmt. Das Regime betrachtete uns als Feinde im Innern.

Welche Botschaft wollen Sie mit der Geschichte von Omid vermitteln?
Sepideh Farsi: Auf der Suche nach seinem Bruder, der an die Front gegangen ist, denkt Omid, obwohl er noch so jung ist, darüber nach, wie sein Leben ohne diese Revolution und diesen Krieg hätte aussehen können. Aber er gibt nicht auf und wird aktiv. So haben wir uns Anfang der 1980er Jahre gefühlt, als ob uns etwas gestohlen worden wäre. Es war eine geklaute Revolution – es war eine Tragödie, als hätten wir einen Schritt verpasst. Und im Laufe der Jahre wurde es nur noch schlimmer.

Zur Inszenierung: In den Kriegsszenen ist die Kamera oft nah am Boden, in den Szenen mit einer Figur ist sie höher. War das bei der Arbeit an den Bildern beabsichtigt?
Sepideh Farsi: Ich wollte eine ganz bestimmte „Decoupage“ im Film haben, und wir haben viel mit dem Storyboard-Team daran gearbeitet. Es gibt einen besonderen Einsatz von Kamerawinkeln, viele hohe und niedrige Einstellungen, um die Angst einer Figur zu betonen oder um eine stärkere Erzählperspektive einzunehmen und die Dramatik der Geschichte zu unterstreichen, vor allem in den Kriegsszenen, in denen die Figuren in Gefahr sind.

„Viele junge Menschen wollen in einer modernen, liberalen Gesellschaft leben.“

Sepideh Farsi

Die Botschaft des Films spiegelt besonders die heutigen Umwälzungen wider. Wie sehr haben Sie das erwartet?
Sepideh Farsi: Im Iran gibt es seit mehr als vierzig Jahren Aufstände gegen das Regime. Das, was heute passiert, kommt also nicht aus dem Nichts. An der Revolution „Frau, Leben, Freiheit“ ist die ganze Gesellschaft beteiligt. Viele junge Menschen – 60 Prozent der iranischen Bevölkerung sind unter 35 – wollen in einer modernen, liberalen Gesellschaft leben. Die Themen, die in „Die Sirene“ angesprochen werden, wären früher oder später relevant geworden.

Was erhoffen Sie sich für die iranische Gesellschaft?
Sepideh Farsi: Ich bin meinem Land immer sehr nahe geblieben. Trotz politischer Unterdrückung und Zensur haben die Iranerinnen und Iraner immer einen Weg gefunden, etwas zu erschaffen. Die iranische revolutionäre Bewegung ist auch von anderen rebellischen Bewegungen inspiriert – etwa in der Ukraine oder in Hongkong 2019. Trotz des harten Durchgreifens des Regimes gab es immer Raum für Widerstand. Es gibt tiefe Risse im iranischen Staat, und ich glaube, dass das Regime bald fallen wird.

Und worum geht’s im Film?

Die Sirene (Foto: Grandfilm)

Abadan, 1980. Die Ölhauptstadt des Irans trotzt der irakischen Belagerung. Der 14-jährige Omid bleibt bei seinem Großvater in der Stadt und wartet auf die Rückkehr seines älteren Bruders von der Front. Auf seiner Suche nach ihm trifft Omid auf außergewöhnliche Menschen, von denen jeder seine eigenen Gründe hat, Abadan nicht zu verlassen. Als sich die Lage immer weiter zuspitzt, entdeckt Omid ein Schiff im Hafen von Abadan, das er zu seiner Arche macht, um alle, die er liebt, zu retten …

Biografie

Sepideh Farsi wurde in Teheran geboren und kam 1984 nach Paris, um ein Mathematikstudium zu beginnen, das sie aber bald abbrach, um sich dem Film zu widmen. Eine ihrer ersten Arbeiten war ein Dokumentarfilm über die iranische Diaspora, „The World Is My Home“. Zwei Jahre später setzte sie ihre Karriere mit einem Porträt des indischen Filmemachers Homi Sethna fort, das mit dem Fipresci-Preis in Bombay und zwei Preisen in Frankreich (Cinéma du Réel) ausgezeichnet wurde. Immer noch mit ihrem Land verbunden, legte sie mit „Men Of Fire“ nach, einer Reportage über die Feuerwehrleute von Teheran. Im Jahr 2002 kehrte sie mit ihrem Film „Journey Of Maryam“, in dem ein Mädchen auf der Suche nach ihrem Vater ist und mit eigenen Augen ein von der Religion belagertes Land entdeckt, zu einer Identitätsfrage zurück. 2003 folgte „Dreams Of Dust“, eine Reise zwischen Leben und Tod. 2006 drehte sie „The Gaze“, in dem das Thema des Exils und der Rückkehr ins Land erneut im Mittelpunkt der Handlung steht. Im Frühjahr 2008, erneut auf Streifzügen durch Teheran, drehte sie „Tehran Without Permission“ mit einem Mobiltelefon (aufgrund von staatlichen Einschränkungen beim Drehen). 2009 war sie Mitglied der Jury für den besten Erstlingsfilm beim Internationalen Filmfestival von Locarno. Der Film und ihr politisches Engagement führten dazu, dass sie aus ihrem Land seit 2009 verbannt wurde. 2014 drehte sie „Red Rose“, der die Tabus des iranischen Kinos bricht, indem er Sexszenen einbezieht und die Beziehungen zwischen der jungen Protestgeneration und der Generation, die das Schah-Regime herausgefordert hatte, thematisiert. Ihre letzte Dokumentation „7 Veils“ gewann 2017 den großen Preis des FIDMarseille – International Film Festival Marseille. Farsis jüngster Film „Die Sirene“ ist ihr erster animierter Film.

pe/red

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Renaud Monfourny und Grandfilm